Alles war schon vorbereitet. Werner Glas (Name geändert) musste nur noch seinen Hund zu Freunden bringen. Übers Wochenende, wie er ihnen vorlügen wollte. Die Vorstellung aber, sich ohne Abschied umzudrehen und zu gehen, brachte Glas nicht übers Herz. Also unterließ er den Suizidversuch. Obwohl ihm die Welt hoffnungslos schien. Im Januar 2021. Die Bearbeitung des Antrags auf Coronahilfen zog sich über Monate. Das Finanzamt wollte eine Nachzahlung. Jetzt gleich. Das Finanzamt sperrte das Konto, die Bank nahm den Unternehmerkredit zurück. Glas war pleite und gescheitert. Dazu kam das trostlose Januarwetter und die soziale Isolation in Folge der politischen Pandemiemaßnahmen.
Drei Jahre später ist Glas froh, seinen Suizidversuch unterlassen zu haben. Er ist doch wieder auf die Beine gekommen und die politisch befohlene Isolation war nicht so endlos, wie sie im Januar 2021 schien. Doch es gibt auch andere Situationen. Eine Studie der Ludwig-Maximilians-Universität in München beschäftigte sich laut Tagesspiegel mit der Frage, unter welchen Bedingungen Menschen einen assistierten Suizid wählen. Demnach waren die Betroffenen oft älter und litten unter einer Vielzahl an Krankheiten. Auch ergab sich, dass eher Frauen und Akademiker den assistierten Suizid suchen.
Dieser assistierte Suizid ist ein politisch heikles Thema. Die große Koalition hat ihn 2015 verboten, das Bundesverfassungsgericht das Verbot 2020 aufgehoben. Jeder Mensch habe ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben, begründeten die Richter ihr Urteil. Doch es ist eine unklare Situation entstanden, die Assistenten mit einem Bein im Gefängnis stehen lässt. Knackpunkt ist die Freiverantwortlichkeit. Sie dürfen nur assistieren, wenn der Betroffene souverän darüber entscheiden kann. Das gilt aber nicht für den Fall, dass er unter einer psychischen Krankheit leidet. So entsteht ein Graubereich, in dem Laien darüber entscheiden müssen, ob ein Verzweifelter psychisch krank oder aus anderen Gründen verzweifelt ist.
Im Juli hat der Bundestag mit großer, über die Fraktionen hinausreichender, Mehrheit einen Antrag beschlossen, die Bundesregierung möge das Thema regeln. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) erklärte das zur Chefsache. Seitdem ist nichts passiert. „Das ist verantwortungslos“, sagt der Arzt und Abgeordnete Stephan Pilsinger (CSU). Die Unionsfraktion erinnert daran, dass schon zum 31. Januar ein Konzept hätte vorliegen sollen. „Das ist auch vor dem Hintergrund der aktuellen Statistiken zu steigenden Selbsttötungen unverantwortlich“, sagt der religionspolitische Sprecher Thomas Rachel.
Die Zahl der jährlichen Suizide ist auf über 10.000 Betroffene im Jahr gestiegen. Doch die Statistik zu interpretieren, fällt schwer. Das beginnt schon mit der Fallzahl. Nicht alle selbst gewählten Todesfälle gehen in die Statistik ein. Etwa, wenn jemand sein Ende mit einem Autounfall herbeiführt – und damit auch das Leben anderer riskiert. Die Münchener Studie führt die steigende Zahl auf die Tendenz zum assistierten Suizid zurück. Doch das ist eher Spekulation, wie die Wissenschaftler selbst einräumen. Genauso gut könnten soziale oder wirtschaftliche Spätfolgen der Pandemiepolitik als mögliche Gründe genannt werden.
Eine Gruppe um die Abgeordneten Ansgar Heveling, Lars Castellucci, Stephan Pilsinger, Kirsten Kappert-Gonther, Benjamin Strasser und Kathrin Vogler drängt nun auf eine Regelung, in der die Assistenz darauf zielt, die Menschen zum Leben zu ermutigen und nicht, ihren Abgang zu erleichtern. Sie fordern daher ein engmaschiges Netz an Beratung. Etwa durch Ärzte oder Psychiater. Aber auch durch Schuldnerberater wie im Fall von Werner Glas, die einem Betroffenen aufzeigen können, dass über das deutsche Insolvenzrecht der Weg aus einer Pleite durchaus möglich ist.
„Niemand soll durch Dritte, die es angeblich ,gut meinen`, in den schnellen Tod getrieben werden, obwohl es eigentlich noch Lösungsmöglichkeiten und Auswege aus der momentan als unerträglich empfundenen Situation gibt“, sagt der Arzt Pilsinger. Erst recht sollten Sterbehilfevereine verhindert werden, „die damit auch noch Geld verdienen und denen durch die derzeitige Rechtslücke Tür und Tor geöffnet ist“. Dieser Form der „geschäftsmäßigen Suizidassistenz will die Gruppe das Handwerk nehmen, „ohne den Menschen gleichzeitig das Recht auf selbstbestimmtes Sterben zu nehmen“.
Sollten Sie das Gefühl haben, dass Sie Hilfe benötigen, kontaktieren Sie unbedingt die Telefonseelsorge. Unter der kostenfreien Rufnummer 0800-1110111 oder 0800-1110222 bekommen Sie Hilfe von Beratern, die Ihnen Hilfe bei den nächsten Schritten anbieten können. Hilfsangebote gibt es außerdem bei der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention. Im Netz gibt es – Beispielsweise bei der Stiftung Deutsche Depressionshilfe – auch ein Forum, in dem sich Betroffene austauschen können.