Der Weg für Gerhard Schröder vom Staatsmann a. D. zur Unperson begann im Rückblick 2005. Für die entscheidende letzte Etappe brauchte er allerdings nur gut drei Wochen. Es gibt in der Tat keinen Grund, einem Ex-Politiker zuzuhören, der eine Erdgasleitung von Russland über die Ostsee nach Lubmin durchsetzte, mit der er die deutsche Energieabhängigkeit von Russland verstärkte und das Verhältnis zu Polen und dem Baltikum demolierte, um Wladimir Putin zu Diensten zu sein. Und der dann bei genau der halbstaatlichen russischen Gasfirma anheuerte, deren Interessen er schon als deutscher Regierungschef bedient hatte. Schröders Satz am Vorabend von Putins Überfall auf die Ukraine: „Warum sollte er so etwas tun?“ – Dieser Satz wird einmal unter dem Stichwort ‚Schröder, Gerhard‘ in den Geschichtsbüchern stehen.
Nach einer Umfrage von Civey sprechen sich fast zwei Drittel der Deutschen dafür aus, Schröder wirtschaftlich zu sanktionieren. Dafür müsste sein Weinkeller nicht enteignet werden. Es gibt einen naheliegenderen Schritt, der andererseits deutlich über den schon erfolgten Entzug der Hannoverschen Ehrenbürgerwürde hinausgeht: die Streichung des seit 2005 vom Steuerzahler finanzierten Ex-Kanzlerbüros.
Wenn es um die Zumutung geht, dass Bürger Ruhestandspolitikern die Imagepolitur nach Dienstschluss bezahlen sollen, muss sich der Blick zwangsläufig auch auf Angela Merkel richten. Aber was heißt: auch? Aus verschiedenen Gründen drängt sich bei ihr erst recht die Frage auf, mit welchem Verdienst für das Land sie ihre Forderung nach einer Art Altkanzleramt rechtfertigt. Zu ihrem Vermächtnis gehört ein auf Rekordgröße aufgepumptes Kanzleramt inklusive neuer Anbaupläne für 600 Millionen Euro.
Und auch in ihrer Vorstellung von einem Büro Merkel übertrifft sie ihren Amtsvorgänger deutlich. Für sich hält die Kanzlerin a. D. neun Mitarbeiter für angemessen, davon zwei in der Besoldungsstufe B6, was monatlich 10.412 Euro entspricht. Außerdem ließ sie schon durch geneigte Medienmitarbeiter verbreiten, eine Stiftung mit ihr als Vorsitzende fände sie ebenfalls richtig und wichtig. Natürlich nicht finanziert durch Mittel privater Mäzene, jedenfalls nicht überwiegend, sondern mit dem Geld der ungefragten Steuerzahler.
In ihrer sechzehnjährigen Amtszeit absolvierte Merkel eine ganze Reihe plötzlicher Wendungen. Auf dem Deutschen Katholikentag 2008 sagte sie beispielsweise: „Ich halte es nicht für sinnvoll, dass ausgerechnet das Land mit den sichersten Atomkraftwerken die friedliche Nutzung der Atomenergie einstellt. Deutschland macht sich lächerlich, wenn es sich dadurch ein gutes Gewissen machen will, dass Atom- und Kohlekraftwerke stillgelegt werden und gleichzeitig Strom, der aus denselben Energieträgern erzeugt worden ist, aus den Nachbarländern importiert wird.“
Bekanntlich verfolgte sie einige Jahre später exakt diese von ihr durchaus zutreffend als lächerlich erkannte Politik, wobei sie 2011 beim Atomausstieg erst noch den Ausbau der konventionellen Kraftwerke ankündigte, um kurz vor Amtsende auch noch die Abwrackung der Kohlemeiler durchzusetzen – und zwar mit der Begründung, abgesichert durch russisches Gas könnte ein Industrieland problemlos in die doppelte Todesspirale springen. Ihre Energiestrategie – und darin besteht die Pointe ihrer bei allen Brüchen im Einzelnen doch erstaunlich konsistenten Politik – bildete nur ein Detail in ihrem großen Konzept der allgemeinen Verantwortungsauslagerung.
Nach genau diesem Muster konnte Merkel auch keine Notwendigkeit einer eigenen vernünftig ausgerüsteten Armee erkennen, solange das von ihren Leuten ständig als reaktionär und uneuropäisch beschimpfte Polen über mehrere einsatzfähige Panzerdivisionen verfügt.
Selbst auf einem kleineren Gebiet setzte sie konsequentes Auslagern durch, nämlich in der Arbeit des Auslandsgeheimdienstes. Ihre Regierung nahm ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts hin, nach dem der BND die Kommunikation ausländischer Terrororganisationen nur noch sehr eingeschränkt überwachen darf, obwohl sie die Möglichkeit gehabt hätte, ihm durch eine gesetzliche Klarstellung den nötigen Spielraum zu geben, den Nachrichtendienstler brauchen. Aber auch hier sagte sie sich offenbar: Solange Deutschland immer wieder Terrorwarnungen von anderen Geheimdiensten erhält, die natürlich mit Mitteln arbeiten, die in Berlin Mitte als unmöglich gelten, kann man sich genau dort ein gutes Gewissen machen.
Seit dem Atomausstiegsbeschluss 2011 verdoppelte sich die Menge des aus Russland importierten Erdgases fast. Dass ein eigener Flüssiggasterminal nicht schlecht wäre, fällt den Erben der Merkelschen Verdrängungspolitik erst jetzt auf, da sie verzweifelt nach Alternativen zu dem Brennstoff aus dem Osten suchen.
Nach 16 Jahren Kanzlerschaft hinterließ Merkel ein in jeder Hinsicht schwächeres Land, in der Energieversorgung angewiesen auf andere und im besonderen Maß auf Russland, in der Technologie – von Mikrochips bis zu Solarzellen – abhängig von Fernost, dazu mit beschämend heruntergewirtschafteter Infrastruktur, obwohl in langen Merkeljahren Hochkonjunktur herrschte.
Sein Motiv für das Russland-Engagement nach Dienstschluss verheimlichte Schröder nie. Nach den Jahren Kanzleramt, meinte er 2005, wolle er endlich Geld verdienen. Aus welchen Beweggründen Merkel das Land in ihrem Sinn umformte, lässt sich nicht ganz so leicht sagen. Jedenfalls hatte sie einen bemerkenswerten mentalen Erfolg damit, große Teile des Landes nicht vor Schaden, sondern vor einer zu großen Dosis Realität zu bewahren. Mit ihrer Forderung nach einem Altkanzlerinnenamt plus eigener Stiftung setzt Merkel das, was sie eigentlich immer tat, auch im Ruhestand fort: Sie versucht, die Pflege ihres Bildes für die Geschichtsbücher an einen steuerzahlerfinanzierten Apparat auszulagern.
Angela Merkel erhält eine Pension von etwa 15.000 Euro monatlich. Das sollte reichen, um aus eigener Tasche eine Sekretärin zu beschäftigen, die eventuell eingehende Dankesbriefe abheftet. Geht ihr Ehrgeiz darüber hinaus, kann sie sich gern private Stifter suchen.
Das sollte auch für alle künftigen Ex-Kanzler gelten. Falls Olaf Scholz nach seiner Amtszeit noch das Bedürfnis nach Büro, Mitarbeitern und einer Stiftung verspüren sollte: Die Warburg-Bank übernimmt gern die Finanzierung.