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Sommerinterview: Genosse Steinmeier im Wahlkampf für die SPD

Steinmeier macht Wahlkampf für die SPD – wie es sich für ein treues Parteimitglied gehört. Apropos gehört: Gehört dürfte er noch nicht haben, dass der Bundespräsident unparteiisch und überparteilich zu sein hat. Dass er verbinden und nicht spalten soll. Die Verfasser des Grundgesetzes haben sich dabei was gedacht.

Screenprint: ZDF

Herr Steinmeier, der – aus der Verkettung einer Reihe von Zufällen und aus dem Grund, weil Angela Merkel in ihrem vortrefflichen Witz der Republik eine Nase drehen wollte – nun in Bellevue für eine Reihe von Jahren Quartier gefunden hat, vermittelt den Eindruck, dass ein Bundespräsident nicht allzu viel zu tun hat, wenn er genügend Zeit besitzt, Wahlkampf für die SPD zu machen, wie es sich für ein treues Parteimitglied gehört. Apropos gehört – gehört dürfte Frank-Walter Steinmeier noch nichts davon haben, dass der Bundespräsident unparteiisch und überparteilich zu sein hat, dass er verbinden und nicht spalten soll.

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Eigentlich war es eine schöne Idee von den Verfassern des Grundgesetzes, dass als Pendant zur notwendigen Härte und Klarheit im politischen Wettbewerb, besonders in Wahlkampfzeiten, in denen die eigenen Standpunkte und die Kritik am politischen Gegner deutlich, ja überdeutlich werden muss, der Bundespräsident vermittelt und für den Zusammenhalt sorgt, über den Parteien als Repräsentant aller Deutschen für die weltanschauliche und parteipolitische Neutralität des Staates steht. Man kann es auch so formulieren: Er soll nicht ständig wie ein in der GEW ergrauter Lehrer beurteilen, was demokratisch ist und was nicht; er soll Demokratie leben, vorleben, nicht seine Beurteilung vorgeben. Im großen Bellevue-Palast in Berlin findet sich offensichtlich niemand, der ihm das erklärt.

Im ZDF-Sommerinterview doziert Steinmeier nun in der weltanschaulichen Festigkeit eines Staatsbürgerkundelehrers, dass nicht nur in Deutschland, sondern in der ganzen westlichen Welt die Demokratie vor einer „Bewährungsprobe“ stünde, vor so einer Art Klassenarbeit in Staatsbürgerwürdigkeitskunde. Und damit hat Steinmeier in einem von ihm nicht einmal erahnten Sinne sogar Recht, denn die westlichen Demokratien stehen in der Tat vor der Frage, ob sie sich dynamisieren, ob sie sich verjüngen, entkrusten, demokratisieren wollen. Ob sie zum Wechsel, der von Demokratie lebt, zurückfinden können, zum freien und fairen Diskurs politischer Alternativen oder ob die Demokratie in einer Establishment-Oligarchie verödet, in der es nur um Macht- und Postenerhalt eines Zirkels von Leuten geht, denen das Schicksal der Bürger „wuppe“ zu sein scheint.

Steinmeier hat es deutlich ausgedrückt, worum es ihm geht, es geht nicht um die Verteidigung der Demokratie, sondern um die Verteidigung des Establishments, des Ancien Regimes. Steinmeier spricht von der Entfremdung der Menschen von der Politik, womit nicht die Politik, sondern die Classe Politique, die Brandmauer-Aristokratie gemeint ist. Er hätte richtiger von der Entfremdung der Politik, der Brandmauer-Aristokratie von den Bürgern sprechen sollen, denn nur darin kann ja der Sinn der Brandmauer bestehen: in der Abschottung vor der Wirklichkeit, vor den renitenten Bürgern. Das Motto dieses Ancien Regimes lautet, dass der Staat die Sicherheit der Bürger nicht garantieren kann. Sorry, unser Personenschutz, den ihr bezahlt, reicht nur für uns.

Wut statt Trauer
Die Verwandlung der Bürger in wehrlose Opfer
Eine kleine Erinnerung an die grundlegende Staatsphilosophie ist vonnöten. Hobbes und andere haben dargelegt, dass die Bürger das Gewaltmonopol des Staates akzeptieren, wenn der Staat das Gewaltmonopol dazu nutzt, die Sicherheit der Bürger zu garantieren. Der Umkehrschluss lautet allerdings, dass, wenn der Staat die Sicherheit der Bürger nicht mehr garantieren kann, er das Gewaltmonopol verliert, dass, wenn der Staat nicht mehr den Aufgaben in der öffentlichen Sicherheit, in der Bildung, in der Infrastruktur, in der Verteidigung, im Gesundheitswesen, wenn er seinen Hoheitspflichten nicht mehr nachkommt, wofür er Steuern einnimmt, er sein Recht, Steuern zu erheben, verwirkt. Dann muss das Leben in Deutschland tatsächlich, wie es einst Steinmeiers Genossin Özoguz gefordert hat, täglich neu ausgehandelt werden.

Dass die Diskussion um Waffenverbote einerseits am Problem bewusst vorbeigeht, um eine Scheindebatte zu eröffnen, und anderseits sich gegen die deutschen Bürger und nicht gegen islamistische Terroristen richtet, ist doch jedem klar. Steinmeier, der häufig die relativierende Floskel „ich glaube“ verwendet, will die Befugnisse des BKA ausweiten. Dass dabei nicht im Blick der islamistische Terror steht, den Steinmeier auch bewusst nicht benennt, sondern nur abstrakt von einer „terroristischen Gefahr“ und von Terrorismus redet, verdeutlicht, worum es eigentlich geht. Es geht darum, die Opposition, wenn sie zu stark wird, als terroristisch zu markieren, um gegen sie mit den Mitteln der politischen Polizei vorzugehen. Die Demokratie ist wirklich in Gefahr. Unter dem Vorwand, auf die Ereignisse in Solingen zu reagieren, will man die Sicherheitsorgane in eine politische Polizei umformen, die letztlich dafür sorgt, dass künftig die Bürger islamistischen Terror zu erdulden haben, denn wir sind ja ein weltoffenes Land – offen für jedes Messerattentat.

Steinmeier formuliert deutlich den Machtanspruch des Establishments, dass, wer die Grundfesten der Herrschaft des regierenden Klubs angreift, keine politische Macht bekommen darf. Dabei setzt er unter der Hand wie schon in DDR-Zeiten geläufig, die „Demokratie“ mit der Herrschaft des regierenden Klubs, ob es nun das Politbüro oder das Brandmauerkombinat ist, gleich. Oder hat der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Bundesinnenministerin Nancy Faeser abberufen, die mit Polizeigewalt gegen eine der „Grundfesten der Demokratie“, gegen die Pressefreiheit, vorgegangen ist, oder die Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, deren Ministerium die Hoheitsrechte bei der Visaverschenkaktion verhöhnt hat?

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Im Umkehrschluss stellt der Genosse Steinmeier klar, dass die Macht in den Händen der Grünen und vor allem der SPD zu bleiben hat. Steinmeier nennt die Lage „objektiv“ schlecht, als sei Deutschlands Situation ein göttliches Verhängnis, von den Marsmenschen oder von der Hexe Gingema zusammengebraut. Dabei ist Deutschlands Zusammenbrechen Resultat des unheilvollen Wirkens der Regierungen Merkel-Steinmeier, Merkel-Scholz, Scholz-Habeck-Lindner. Das, was Steinmeier objektiv nennt, ist subjektiv verschuldet.

Um sich das abweichende Wahlverhalten „einiger“ im Osten zu erklären, beruft er sich auf den platten Ideologismus des Staatssoziologen Steffen Mau. Wie man sich in der Pandemie auf den Hofvirologen Drosten verlassen hat, soll nun der Hofsoziologe Mau affirmative Hilfe leisten und eine Schar „junger ostdeutscher Autoren“, die, obwohl literarisch nicht relevant sind, stattdessen preis und stipendienversorgt werden, weil sie im Sinne des Establishments den „Klassenstandpunkt“ einnehmen. In der DDR hießen diese Romane „Schlacht unterwegs“ oder „Menschen an unserer Seite“.

Frank-Walter Steinmeier macht Wahlkampf für die SPD. Er kritisiert die Grünen, weil sie sich eine andere Koalition als mit der SPD vorstellen können. Er begibt sich auf eine Reise durch Ostdeutschland, um handverlesen und ausgewählt, die 5 bis 7 Prozent Bürger zu treffen, die SPD wählen und Steinmeier sagen, was Steinmeier hören will.

Vom König in Preußen Friedrich Wilhelm I. heißt es, wenn er das Berliner Stadtschloss verließ, sich die Bürger tunlichst nicht auf der Straße blicken ließen. Denn alle wussten, dass Friedrich Wilhelm einen Knüppel bei sich hatte und diejenigen, derer er habhaft wurde, tüchtig durchbläute und dabei rief: „Lieben sollt ihr mich!“

Nein, einen Knüppel hat Frank-Walter Steinmeier nicht dabei, er ist ja auch kein König. Er ist der Mann, der aus der Verkettung einer Reihe von Zufällen und aus dem Grund, weil Angela Merkel in ihrem vortrefflichen Witz der Republik eine Nase drehen wollte, ins Berliner Schloss gekommen ist.


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