Tichys Einblick
60. Jahrestag des Baus der Berliner Mauer

Steinmeier gedenkt des Baus der Berliner Mauer – vergisst aber die aktuellen Bezüge

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier fand die passenden Worte - überraschenderweise, wie man sagen muss. Aber er verpasste die Chance, Probleme von heute anzusprechen, die mit den Lehren aus der DDR in Zusammenhang stehen.

IMAGO / Future Image

Es war eine würdige Veranstaltung, mit der in Berlin des 60. Jahrestags des Baus der Berliner Mauer und der Installierung des Todesstreifens durch Deutschland gedacht wurde. In entsprechender Kulisse, der Mauergedenkstätte an der Bernauer Straße, fand Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier passende Worte. Die Botschaft des Staatsoberhauptes war nicht – wie so manchmal – verschnörkelt und ungenau, sondern klar und eindeutig. Er nannte die DDR, das was sie war: einen Unrechtsstaat!

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Er unterscheidet sich damit klar von Bundeskanzlerin Merkel und nicht wenigen anderen bis tief in die CDU/CSU und die SPD hinein. Weiter Links ist mit aufrichtiger Anteilnahme für die Opfer des Schießbefehls und die in die tausende gehenden Gefangenen in den Zuchthäusern der DDR sowieso nicht zu rechnen. Steinmeier ehrte die Opfer der Diktatur und mahnte zugleich die Bewahrung unserer freiheitlichen Demokratie an, die sich stets auch immer wieder neuen Gefährdungen entgegenstellen müsse. Ebenso fand der Bundespräsident noch andere, von einem Sozialdemokraten auf seiner Ebene, selten gehörte Worte. So erinnerte er nicht nur an Willy Brandt und Egon Bahr, deren Verdienste für die Entspannungspolitik er lobte, sondern er dankte auch dem amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan für dessen 1987 am Brandenburger Tor ausgesprochene Aufforderung an den sowjetischen Staatschef Michail Gorbatschow, die Berliner Mauer niederzureißen.

Steinmeier wörtlich: „Er richtete seinen Wunsch an die richtige Adresse. Denn entschieden werden konnte nur in Moskau, die Herren in der DDR hatten längst abgewirtschaftet.“ Der Staat DDR sei von seinem Beginn an nicht durch ein Votum seiner Bevölkerung legitimiert gewesen und deshalb untergegangen. Selbst für den von seiner eigenen Partei fast vergessenen Helmut Kohl fand er dessen historischer Leistung angemessene Worte. Kohl habe für ein wiedervereinigtes Deutschland gestanden, vor dem niemals wieder Nachbarn Angst haben müssten.

Kurzum: eine staatsmännische Rede. Steinmeier verschonte die Öffentlichkeit mit den heute üblichen verquasten Relativierungen vom Gegensatz der Systeme, in dem er den Gegensatz von Freiheit und Diktatur klar artikulierte.

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Und dennoch bedürfen die Worte des ersten Mannes im Staate einer Kommentierung. Nicht gestern, aber vielleicht demnächst wäre es seines Amtes, gerade vor dem Hintergrund seiner Worte angebracht, einmal über konkrete Entwicklungen in unserer Gesellschaft zu sprechen. Wenn zwei Drittel der Deutschen schon in einer zweiten Allensbach-Umfrage bekennen, daß sie sich nicht mehr trauten, zu bestimmten Fragen ihre Meinung zu äußern, weil sie in diesem Fall berufliche und gesellschaftliche Nachteile befürchteten – Beispiele sind hier Begriffe wie Nation, Migration, Gender/Feminismus und Corona-Politik -, müssten im Schloß Bellevue alle Alarmsignale heulen.

Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik hat das UN-Referat für „Menschenrechte und Folter“ eine Beschwerde gegen die Bundesrepublik Deutschland angenommen. Es geht um brutale Polizeigewalt während einer Demonstration von Gegnern der Corona-Politik der Bundesrepublik am 1. August diesen Jahres in Berlin. Erste Befragungen, auch des Berliner Innensenators Geisel (SPD) durch UN-Beauftragte, sind bereits erfolgt. Die Bundesregierung selbst ist aufgefordert, innerhalb von 60 Tagen der UNO in New York einen umfassenden Bericht vorzulegen. Jeder anständige Demokrat im Lande müsste sich dafür schämen und erwartet zu Recht ein Wort des Bundespräsidenten.

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