Tichys Einblick
175 Jahre „Paulskirche“

Jubiläum 1848 – eine Steinmeier-Rede aus dem Zettelkasten

Der Bundespräsident blamiert sich und sein Amt als Redner der reinen Leere zu einem Zentralereignis der deutschen Geschichte. Steinmeier-Reden erinnern an die Lektüre von Jerry-Cotton-Heften: Wer ein Heft gelesen hat, hat alle gelesen!

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier

IMAGO / Revierfoto

Was ist die Maßeinheit für den Abstand zwischen einer misslungenen und der nächsten misslungenen Rede? Wir verraten es nicht. Wir haben uns einfach nur wieder einmal eine Rede des Bundespräsidenten Steinmeier zu Gemüte geführt. In schriftlicher Fassung. Denn „live“ hätte uns die präsidiale Singsangstimme des Mannes, der gerne den Erinnerungspolitiker und Mahner gibt, zu sehr vom Inhalt abgelenkt.

„Es war ein wunderbarer Frühling. Und das begriffen die Menschen 1848 längst nicht nur meteorologisch. Es war ein politischer, ein gesellschaftlicher Frühling, eine Zeit der großen Hoffnungen und Erwartungen, vor allem aber auch ein begeisterter Aufbruch.“ So fing die Rede zum 175. Jahrestag der ersten Nationalversammlung in der Paulskirche an – auch diesmal wieder in der Paulskirche. Und schon da reizte es uns, die Rede zu persiflieren. „Meteorologisch“ – ganz ohne Klimawandel?

War es eine zum Nachdenken anregende Rede? Nein, es wurde eine Rede mit Versatzstücken aus dem Zettelkasten eines Redenschreibers. Wenn es denn wenigstens eine komprimierte Geschichtsstunde gewesen wäre! Aber es wurde nur eine Rede, die den mittlerweile wohl abgesenkten Kriterien eines Proseminar-Referats entspricht. Zitate noch und noch: Christopher Clark drei mal, Timothy Garton Ash zwei mal, Kennedy einmal, fünf von über 800 Abgeordnete namentlich genannt: Robert Blum aus Leipzig, Gabriel Riesser aus Hamburg, Arnold Ruge aus Breslau, Georg Friedrich Kolb aus der Pfalz, dazu der Präsident der Paulskirchen-Versammlung Heinrich von Gagern. Und natürlich ein wenig „Ukraine“.

Und dann waren da noch die Steinmeier-Sätze, die zum Paraphrasien oder auch zum Persiflieren einluden:

Dass die Vollendung der Paulskirchen-Pläne 1871 mit der Reichsgründung kam: für Steinmeier nicht der Rede wert. Null auch über die Vorgeschichte: Befreiungskriege gegen Napoleon, Karlsbader Beschlüsse (die wir als Netzdurchsuchungsgesetz und Cancel-Culture wieder haben) …

Und so weiter! Steinmeier-Reden erinnern an die Lektüre von Jerry-Cotton-Heften: Wer ein Heft gelesen hat, hat alle gelesen! Nichts Originelles! Nichts Kantiges! Nichts Selbstkritisches zum Zustand im „besten Deutschland, das es jemals gegeben hat“ (Steinmeier, 3. Oktober 2020).

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