Und immer wieder Stefan Tidow. Der Staatssekretär im Bundesumweltministerium ist bisher in Deutschland immer noch eine eher unbekannte Nummer. Doch der Cicero-Bericht über die Geheimakten aus dem Bundeswirtschaftsministerium verleihen Tidow eine bisher unbekannte Prominenz.
Bereits jetzt hat die Antwort des Bundeswirtschaftsministers auf seine engsten Verbündeten im Kampf gegen die Atomkraft einen legendären Status erreicht. Es zeigt die besondere Vertrautheit der Beteiligten untereinander.
„Lieber Patrick, lieber Stefan, ich habe aufbauend auf Eurem famosen Papier ein FAQ gemacht, weil ich glaube, man muss das ERZÄHLEN. Wenn Ihr drüber lesen wollt – alle anderen auch. Ich würde vorschlagen, dass dann morgen 12.00 an die Betreiber zu mailen. Lg R“
Patrick Graichen und Stefan Tidow vereint ein besonderes Band. Tidow war einmal Angestellter bei Graichen. Im Jahr 2016 war Tidow Projektleiter Industriepolitik bei der Agora Energiewende. Graichen war damals noch Direktor der einflussreichen Denkfabrik. Dass man als Projektleiter Industriepolitik der Agora Energiewende auch außerhalb von NGOs Karriere machen kann, zeigt der Fall Michael Schäfer. Schäfer hat dieselbe Position wie Tidow besetzt und sollte Chef der Deutschen Energie-Agentur (DENA) werden. Er ist der berühmte „Trauzeuge“ Graichens. Dass Schäfer wie Tidow Angestellter Graichens war, haben Spiegel und Co. dabei nur selten erwähnt. Es hätte aus dem vetternwirtschaftlichen Einzelfall wohl zu viel Licht auf das gesamte Netzwerk geworfen, das nicht nur persönliche Komponenten besitzt.
Um die Bedeutung der Personalie Tidow zu verstehen, muss man dorthin zurückgehen, wo der Siegeszug der Öko-Lobby begann: in der rot-grünen Regierung unter Gerhard Schröder. Nicht Joschka Fischer, sondern Jürgen Trittin war es, der die Grünen als langfristige Kraft etablierte. Ins Umweltministerium zogen jene Männer ein, die bis heute innerhalb wie außerhalb des Ministeriums Einfluss besitzen. Etwa Jochen Flasbarth (SPD), der als Abteilungsleiter im BMU begann, später Chef des Umweltbundesamtes wurde und anschließend Staatssekretär des Ministeriums. Oder Rainer Baake, die Graue Eminenz der Energiewende, der die Agora ins Leben rief und den Merkel im Zuge ihres Atomausstiegs wieder reaktivierte. Sein persönlicher Referent zu Trittins Zeiten war: Patrick Graichen.
In diese Riege kann man auch Stefan Tidow stellen. Er kommt 2003 ins BMU. Dort arbeitete er im Ministerbüro und im Grundsatzreferat „Umwelt und Wirtschaft“. Geht man davon aus, dass der Atomausstieg das eigentliche Vermächtnis von Jürgen Trittin ist und die Trittin-Connection dieses Erbe verteidigt, dann ist die nächste Lebensstation von Tidow keine Überraschung. Ab 2008 arbeitete er wieder für die Bundestagsfraktion der Grünen, und ab 2009 als Büroleiter von Jürgen Trittin. Auch das ist ein bestechendes Indiz, wo die eigentliche Macht bei den Grünen liegt – und das auch heute in den Ministerien egal ist, ob der Chef Lemke oder Habeck heißt. Am Anfang waren Trittin und Baake. Da bekommt es einen herben Beigeschmack, dass auch die ehemalige Bundeskanzlerin lieber dem Abschied des Grünen-Urgesteins beiwohnt als dem CDU-Parteitag.
Von 2016 bis 2021 ist Tidow Staatssekretär der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz im Land Berlin. Bei seiner Berufung schrieb der Tagesspiegel, er sei bisher „politisch noch nicht aufgefallen“. Die Berliner Morgenpost weiß dagegen schon: Der ehemalige Büroleiter Trittins sei ein grünes Urgestein. Tidow arbeitet geräuschlos, fällt nicht sonderlich auf. Wie er arbeitet, das zeigt jedoch der Cicero-Bericht eindeutig. Die Vorgänge stehen dabei in krassem Gegensatz zu den Erzählungen des Bundeswirtschaftsministeriums, demnach fachlich-objektive Einschätzung im Vordergrund stände. Wer das 2022 bestritt, bekam es mit dem Twitteraccount des BMWK zu tun:
Seit 2021 ist Tidow Staatssekretär im Bundesumweltministerium. Ein Jahr darauf, im Zuge des beginnenden Ukraine-Krieges und der Debatte um eine Laufzeitverlängerung ist er es, der zusammen mit Niehaus und Graichen die Verlängerung ausknobelt. Es ist zwar Niehaus, der einen Vermerk, der sich für die Verlängerung ausspricht, in das komplette Gegenteil wandelt. Es ist jedoch Tidow, der dies als Vorgesetzter durchreicht – und diesen nur an Graichen. Die ursprüngliche fachliche Auswertung verschwindet zugunsten des ideologisch auf Linie gebrachten Papiers im Nirvana. Die Zuschrift an Graichen: „noch keine förmliche Zulieferung und nur für Dich“. Zusammen mit seinem ehemaligen Agora-Direktor zieht das Duo „Patrick und Stefan“ den Atomausstieg durch. Der Cicero schreibt:
„Die zwei grünen Staatssekretäre waren die zentralen Figuren im monatelangen Gezerre um die AKW-Laufzeitverlängerung. Sie tauschten sich ständig aus, sprachen – den E-Mails zufolge – mehr miteinander ab als mit ihren Ministern.“
Tidow ist dabei nur eine Chiffre. Er steht dafür, wie die Öko-Clique arbeitet. Und er steht für die verbliebene Agora-Mannschaft, die durch Ratsmitgliedschaften mit der Denkfabrik verbunden sind. Allein fünf Staatssekretäre gehören derzeit einem Agora-Rat an; Tidow etwa sitzt seit Beginn der Ampel-Koalition im Rat der Agora Energiewende. Geändert hat sich daran nichts; im Gegenteil, auch der Nachfolger von Patrick Graichen, Philipp Nimmermann, sitzt als Staatssekretär in der Runde. Dazu kommen die seit Jahren und Jahrzehnten im Mittelbau der Ministerien eingesetzten Beamten, die ökologisch auf Linie sind. „Wenn das der Wirtschaftsminister wüsste!“, will man da ausrufen.
Doch Habeck hat allein neun Referatsleiter in seinem Ministerium handverlesen eingesetzt – obwohl die Stellen hätten ausgeschrieben werden müssen. Aber vielleicht werden uns auch in diesem Fall Ministerium und Medienstrom darüber belehren, dass dies ohne das Wissen des verhinderten Kanzlerkandidaten passiert sei. Dabei hat Habeck in der heutigen Stellungnahme bezüglich der Mauscheleien selbst gesagt: „Insofern ist also die Annahme, dass da eine Art Geheimwissen wäre, das mich nicht erreicht hätte, falsch.“ Darf man das bereits als Geständnis werten?