Historische Prozesse werden oft von Zeitgenossen verkannt, die Zeichen der Zeit, die man nicht mit gelegentlichen Irrlichtern verwechseln darf, auch. Keine der agierenden Parteien hat den tiefen und grundsätzlichen Paradigmenwechsel auch nur ansatzweise begriffen, in dem sich Deutschland, aber auch Europa und Nordamerika befinden. Politik findet nach wie vor als business as usual statt. Es geht stattdessen schlicht um die Frage, ob es Deutschland gelingt, den Anschluss an die Zukunft zu finden, oder ob der Abstieg beginnt. Lakonisch könnte man sagen, die Weltgeschichte ist ein auf und ab, nur haben die Bürger dieses Landes ein Mitspracherecht.
Der heutige Tag ist in seiner politischen Dimension weit vom Jahr 1989 entfernt, es geht auch nicht um die Beendigung einer Diktatur, sondern um einen Wechsel, wie er zum Wesen unserer Demokratie gehört, doch wird in der CDU anscheinend der Ernst der Lage verkannt. Die Parteivorsitzende Angela Merkel tritt zurück, um den Weg für einen Neuanfang der Partei zu öffnen. Gleichzeitig hält sie am Amt der Bundeskanzlerin fest, weil sie der Meinung ist, dass die Bundesregierung eine sehr gute Arbeit leistet, was nur nicht auffalle, weil sie in der „Arbeitskultur“ ein schlechtes Bild abliefere und deshalb niemand die Erfolge der Koalition sähe. Sie distanzierte sich ausdrücklich vom Begriff des Vermittlungsproblems, weil das Problem viel tiefer reiche, nur ist der Begriff „Arbeitskultur“ nicht weniger ein Pappkamerad als das Wort vom Vermittlungsproblem. Wieder wagt man sich nicht an die Analyse der Prozesse, die das Land in Turbulenzen stürzen, sondern erfindet brav ein neues Wörtchen. Glaubt die Bundeskanzlerin allen Ernstes, dass die Probleme gelöst wären und die Spaltung überwunden würde, wenn die Bundesminister öfter lächelten und sich parteiübergreifend innig lobten. Vielleicht würden gemeinsame Urlaubsfahrten helfen?
Das Rennen für die Wahl zum Parteivorsitzenden ist eröffnet. Annegret Kramp-Karrenbauer erklärte ihre Absicht zu kandidieren, auch Jens Spahn. Weder die eine, noch die andere Kandidatur überrascht. Weder über die eine, noch über den anderen lässt sich wirklich etwas sagen. Spahn gilt als konservativ, wobei die Betonung auf „gilt“ liegt, denn er befürwortete das von den Grünen hegemonisierte Projekt Jamaika und bewunderte Jürgen Trittin als „coole Socke“. Das muss man als Konservativer erst einmal hinbekommen. Über Annegret Kramp-Karrenbauer lässt sich nur sagen, dass sie geschickt ist. Die Frage ist schließlich, ob man Positionen bezieht, weil sie einen persönlich weiterbringen, oder bringt man sich persönlich ein, um Positionen in Politik umzusetzen.
Würde die CDU Friedrich Merz zum Parteivorsitzenden wählen, dann könnte es sein, dass sie für den Mann votierte, der vor über einem Jahrzehnt die große Politik verlassen hatte und der er möglicherweise nicht mehr ist. Sie würden ihren Traum wählen, die Zeit zurückdrehen zu können. Das kann die CDU nicht. Sie braucht einen Neuanfang, eine Frau oder einen Mann, der die Zeichen der Zeit erkennt und die Zukunft noch vor sich hat. Sie hat keine Zeit zu warten, sie muss durchstarten. Es ist Zeit für eine konservative Wende hin zur Wirklichkeit.