Tichys Einblick
Die bösen Tage des Mark Zuckerbergs

Staatsfeind Nummer zwei – oder drei, vier oder 27

Durch seinen Talk mit Alice Weidel hat sich Elon Musk wieder die Rolle des Ober-Schurken erarbeitet. Davor gab Mark Zuckerberg diese Rolle. Sie darf in keiner linken Erzählung fehlen.

picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Godofredo A. Vásquez

Leo Trotzki war ein russischer Revolutionär, der Begründer der Roten Armee und Stalins härtester Gegenspieler. Wobei das unpräzise ist. Eigentlich hat der sowjetische Diktator Trotzki nach Belieben beherrscht, ins mexikanische Asyl getrieben und dort ermorden lassen. Doch davor hat Stalin ihn ein ganzes Jahrzehnt lang dringend gebraucht. Jedes Mal, wenn in seiner Sowjetunion etwas schiefgegangen ist, war das eine Folge der Untergrundarbeit Trotzkis. Zumindest in der offiziellen Darstellung. Linke brauchen einen Sündenbock, dem sie die Schuld für all das geben können, was sie verbocken – denn sie verbocken viel. Und ein einfacher Sündenbock ist zu wenig. Der muss dämonische Züge tragen und ihm muss der Mythos einer Allmächtigkeit vorausgehen.

Für einen glorreichen Tag kam Facebook-Gründer Mark Zuckerberg diese Rolle zu. Er hat deutsche Linke verärgert, weil er auf seinen Meta-Plattformen die Meinungsfreiheit wieder zulassen will. Weil er – für den Anfang nur in den USA – Faktenchecker abschaffen will. Die hat Facebook verpflichtet, um als neutrale Hüter über Wahrheiten zu wachen. Doch zum Beispiel in Deutschland sind das Aktivisten wie die von Correctiv, deren eigene Arbeit man gesichert „dreckige Lüge“ nennen darf. Das linke Lager bis hin zu Friedrich Merz und Sozialdemokraten in der Bild-Redaktion sieht durch Zuckerberg das Ende „unserer Demokratie“™ kommen und entsprechend war er für ihre Vertreter ein Tag lang der Sündenbock mit dämonischen Zügen, der an allem die Schuld trägt, was in ihrer Welt schiefläuft – und das ist so einiges.

Eine Auswahl an stilistischen Blüten von denen, die sich selbst Qualitätsjournalisten nennen: Zuckerberg lasse „alle Masken fallen“, schreibt etwa die Zeit. Der Facebook-Gründer werfe sich dem designierten amerikanischen Präsidenten Donald Trump zu Füßen. Das sei das Gegenteil des Sieges der Freiheit, formuliert die FAZ. Und die Süddeutsche Zeitung hält es für „opportunistisch und gefährlich“, was der Staatsfeind Nummer zwei treibt. Das alles schreiben die deutschen „Qualitätsjournalisten“ auf X, der Plattform des Staatsfeindes Nummer eins, Elon Musk. Diese Plattform bereitet zwar ihrer Meinung nach den neuen Faschismus vor. Aber trotzdem müssen sie genau dieses X für ihren Kampf wählen, weil X der letzte Ort ist, an dem die Vertreter dieser qualvoll sterbenden Zeitungen noch ein relevantes Publikum finden. Deutscher Linker zu sein, macht in diesen Tagen keinen Spaß und lässt einem nicht viel Stolz übrig.

Zuckerberg ist der Erbe einer jüdischen Familie aus Polen und Österreich. Er ist ein 40 Jahre alter, erfolgreicher Start-uper, der gerade sein Vermögen riskiert, weil er in die Entwicklung der Raumfahrt und virtueller Welten investiert. Er ist Ehrendoktor an der Harvard Universität. Oder wie ihn deutsche Haltungsjournalisten in ihrem gymnasiastischen Bekennerrausch nennen: ein gefährlicher Opportunist, der alle Masken fallen lässt und sich Trump unterwirft, das Gegenteil von Freiheit. Die Linke braucht Sündenböcke (sich Trump unterwerfen) und diese müssen von einer mythischen Allmacht (gefährlich) umgeben sein.

Mark Zuckerberg ist bei weitem nicht der erste allmächtige Sündenbock der Linken. Allein in Deutschland ist ihre Parade lang: Musk, Trump, Wladimir Putin, Hubert Aiwanger, Friedrich Merz, Christian Lindner, Sebastian Kurz, JK Rowling, Viktor Orbán, Jair Bolsonaro, Joshua Kimmich, Guido Westerwelle, Helmut Kohl, Heino, der Sänger von Rammstein, Ronald Reagan… Die Liste ist viel zu lang, um je vollständig sein zu können. Es gibt mehr als nur einen Staatsfeind Nummer eins, es gibt auch eine Nummer zwei, drei, oder 27. Despoten wie Putin, die durch ihr Lebenswerk in der Tat Verachtung verdienen, sind eher die Ausnahme.

Manche der von Linken Auserwählten sind nur Sündenböcke auf Zeit so wie Joshua Kimmich, der während der Ära der G-Diskriminierungen noch an jedem Schnupfen in Peru schuld war, weil er sich in München nicht hat impfen lassen. So wie die Lüge von der Impfung, die andere vor Ansteckungen schütze, erledigt war, durfte er einfach wieder Fußball spielen. Also fast. In Katar zwangen ihn Aktivisten wie Manuel Neuer oder Leon Goretzka, an ihrer Seite den Politclown mitzuspielen. Kimmich folgte brav. Einmal Sündenbock war ihm genug.

Wobei linke Sündenböcke sogar zu Beratern linker Regierungen aufsteigen können. Wie etwa Hendrik Streeck. In der Pandemie war die Meinung des Virologen abweichend genug von den herrschenden Standards, dass Politkommissare wie der ZDF-Clown Jan Böhmermann andere Kollegen öffentlich tadelten, weil sie Streeck zu Wort kommen ließen. Dessen Aussagen gefährdeten – natürlich – „unsere Demokratie“™. Da war er wieder, der mythisch allmächtige Sündenbock. Kein halbes Jahr später war diese Gefahr der Demokratie der Berater der rot-grün-gelben Regierung. Die Kurzatmigkeit ist der Erkennungssound der Linken.

Andere bleiben ihr Leben lang der mythisch allmächtige Sündenbock der Linken – sogar bis in deren Tod oder Krankheit hinein ätzten Linke gegen ihre Hassobjekte. Etwa Helmut Kohl, Guido Westerwelle oder Ronald Reagan. Politiker wie sie stilisierten die Linken zu Dämonen. Etwa Kohl. In den 80er Jahren gab es ein ganzes Genre an Büchern, die den deutschen Kanzler zum Teil internationaler Nationalisten machten, die als Geheimbündler die Weltherrschaft erlangen wollten. An ihre eigenen Märchen glaubten die linken Verschwörer immer noch, selbst als Kohl in der zweiten Hälfte seiner Amtszeit das Aufgehen Deutschlands in der größer werdenden EU vorbereitete.

Linke sehen sich selbst gerne als Aufklärer, die sich streng an „die Wissenschaft“™ halten. Doch das tun sie nicht. Sie zitieren Wissenschaftler nur, wenn die das vertreten, woran sie eh glauben. Widersprechen sie dem, werden sie – wie Streeck – schnell zum Feindbild. In Wirklichkeit sind Linke Beschwörer okkulter Mythen, an die Anhänger glauben müssen, um Anhänger sein zu können. Weil diese Mythen kritischer Prüfung in den allermeisten Fällen nicht standhalten. Linke sind das Gegenteil von Aufklärern, sie sind Gläubige einer Religion, in der sie ihr eigenes Ego als Gott anbeten.

Linke verachten die Ungläubigen. Aber noch mehr hassen sie die Gläubigen, die von ihrem Weg abweichen. Wie in jeder Religion. Und so erklärt sich denn auch der Wutausbruch der kurzatmigen Haltungsjournalisten von Zeit, FAZ oder SZ gegen Zuckerberg. In der Pandemie hat er auf ihrer Seite gestanden, als es darum ging, jeden Kritiker der Maßnahmen zu dämonisieren. Jetzt ist er der Verräter, der sich künftig der Meinungsfreiheit statt ihrer Lehrer verpflichtet sieht. Doch Zuckerberg kann sich trösten. Aus zwei Gründen. Erstens ist er ein Milliardär, der Erfolg hat und sein Leben genießen kann, während die SZ-Redakteure fürchten müssen, von der nächsten Kündigungswelle mitgenommen zu werden. Und zweitens ist der Atem von linken Haltungsjournalisten so kurz und ihr Gedächtnis so schlecht, wie ihre Analysen unreflektiert sind.

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