Mitte Dezember 2024 veröffentlichte das Statistische Bundesamt (Destatis) die aktuelle Statistik zur Staatenlosigkeit. So wurden zum Jahresende 2023 im Ausländerzentralregister 29.500 Personen als staatenlos erfasst. Ein neuer Höchststand, auch wenn betont wird, dass dieser gegenüber dem Vorjahr nahezu konstant blieb. Anfang der 2000er Jahre bewegte sich die Zahl der Staatenlosen noch unter 14.000 und verdoppelte sich ab 2014 rasant durch die erhöhte Fluchtmigration. Über die Hälfte der Staatenlosen sind männlich; die Zahl der im Ausland geborenen Staatenlosen ist seit Ende 2014 von 11.100 auf über das Doppelte mit 24.500 gestiegen.
Wie es zu diesem hohen Anstieg kommt, bleibt zum Teil fraglich. Nach dem Übereinkommen der Vereinten Nationen von 1954 wird als staatenlos eingeordnet, wem kein Staat die Staatsangehörigkeit attestiert. Die Zahl der Staatenlosen wird in Deutschland anhand der Beantragung eines Aufenthaltstitels oder während eines Asylverfahrens erfasst.
Oft fehlen hier offizielle Dokumente. Dass Migranten angeben, ihre Ausweisdokumente auf der Flucht verloren zu haben, ist dabei allerdings nur ein Aspekt: Ein gewichtiger weiterer Grund ist, dass das Herkunftsland unter Umständen keine Staatsbürgerschaft zuerkennt: Destatis selbst führt als Grund „Gesetze, die Personen wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit, ihrer Religion oder ihres Geschlechts diskriminieren“, an.
So wurde beispielsweise erfasst, dass fast die Hälfte (48 %, d.h. 14.100) der anerkannt Staatenlosen in Syrien geboren wurden. Abgesehen von der Problematik, dass im Zuge des Bürgerkrieges die Angabe, Syrer zu sein, die Einreise nach Deutschland erleichterte, die Korrektheit der Zahlen also zumindest in Frage gestellt werden kann, wird in Syrien bestimmten ethnischen Gruppen, etwa den Kurden, die Staatsangehörigkeit verwehrt. Und das, obwohl die 1948 verabschiedete Allgemeine Erklärung der Menschenrechte in Artikel 15 das Recht auf Staatsangehörigkeit festschreibt. Zudem konnte die Staatsangehörigkeit in Syrien bis 2011 nur über den Vater vererbt werden. Mittlerweile leben übrigens etwa fünf Prozent der syrischen Bevölkerung in Deutschland.
Ein weiterer Grund sind nichtregistrierte Geburten. Etwa ein Viertel der Staatenlosen sind Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. In Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern erhalten keine deutsche Staatsbürgerschaft, es sei denn, die Eltern oder ein Elternteil lebt seit über fünf Jahren in Deutschland und besitzt ein unbefristetes Aufenthaltsrecht. Die Geburtsregistrierung wird so weder in dem Herkunftsland noch im Zufluchtsland durchgeführt.
Ähnlich ergeht es vielen Kindern, die in Flüchtlingslagern geboren wurden, und die gewissermaßen die Staatenlosigkeit der Eltern „erben“, oder die als staatenlos gelten, da offizielle Dokumente die Herkunft nicht beweisen.
Die Einreise nach Deutschland erschwert Staatenlosigkeit kaum, denn auch Staatenlose können über einen Asylantrag oder als Schutzsuchende in Deutschland Fuß fassen. Ebenso können sie im Zuge einer Familienzusammenführung nach Deutschland kommen, wenn sie hier lebende nahe Verwandte vorweisen können.
Angesichts der deutschen Asyl- und Migrationspolitik, die einerseits hohe bürokratische Hürden aufbaut, es auf der anderen Seite aber zugleich an Konsequenz in der Durchsetzung geltenden Rechts mangeln lässt, besteht daher Grund zu der Annahme, dass einige Geflüchtete ihre Staatsangehörigkeit gezielt verbergen, da ihnen dies Vorteilen verschafft: Mit der staatlich anerkannten Staatslosigkeit werden sie gleichgestellt mit anderen ausländischen Staatsangehörigen. Sie erhalten also das Recht auf Arbeit, Bildung und den Zugang zu Sozialleistungen, während eine Abschiebung in das Herkunftsland nicht durchgeführt werden kann.
Die Staatenlosigkeit bietet also Schutz vor Rückführung und wird schnell zum dauerhaften Abschiebehindernis erklärt. Die betreffenden Personen müssen ihre Duldung zwar alle paar Monate verlängern, erhalten aber eine Erleichterung bei der Einbürgerung. Sie können statt nach acht bereits nach sechs Jahren eingebürgert werden. Die daraus resultierende häufigere Einbürgerung ist laut Destatis ein Grund für den verhältnismäßig geringen Anstieg der Staatslosen in Deutschland im Jahr 2023: Es fanden 3600 Einbürgerungen von Staatenlosen statt. Entzogen werden kann diesen Personen die deutsche Staatsangehörigkeit nur dann, wenn sie dadurch nicht wieder staatenlos würden.