Tichys Einblick
Der Glaube allein genügt nicht

Spielt das Bistum mit erdachten Zahlen?

In der Unternehmensberatungsbranche in Hamburg wird kolportiert, dass einige Beratungsunternehmen den Auftrag des Bistums abgelehnt hätten. Ursächlich hierfür soll gewesen sein, dass die Beratungsfirmen nach einer Analyse des Ist auch ein valides und sinnvolles Sanierungskonzept mit dem Bistum erarbeiten wollten.

ALBERTO PIZZOLI/AFP/Getty Images

Die vom Bistum Hamburg beabsichtigte Schließung von vorerst acht Schulen (TE berichtete), ist längst kein regionales Thema mehr. Bundesweit stößt das Vorgehen der Hamburger Katholiken auf Kopfschütteln – und auch in anderen Bistümern geht die Angst um vor dem bischöflichen Sparhammer. Denn: Hamburgs Generalvikar Ansgar Thim ließ auf seiner nichtssagenden Erklärungstour durch die betroffenen Schulen nicht nur deutlich erkennen, dass auch zahlreiche andere Bistümer vor ähnlichen Problemen stünden – die das Bistum beratende Gruppe „Ernst&Young“ soll, so Thim, auch andernorts bereits tätig sein.

Doch die Grundlage der radikalen Beschlüsse des Bistums wird zunehmend infragegestellt. Ließen schon die wagen Darstellungen des Beratungsunternehmens mehr Fragen offen, als sie beantworteten, so stellt ein interner Bericht eines Mitarbeiters des Landesrechnungshofs Hamburg, selbst Vater einer betroffenen Schülerin, die Frage, welches Ziel die „Dramatisierung der wirklichen, finanziellen Situation“ tatsächlich verfolge.

Ist die Bistumsleitung in ihrem wirtschaftlichen Unverstand am Ende irgendwelchen Scharlatanen aufgesessen, die mit dem Drama eigene Interessen bedienen? Oder will sich das Bistum tatsächlich von allem trennen, das kostet statt Gewinn zu bringen? Stellt es sich ein auf eine Zeit, in der katholische Kirche wieder in der Diaspora überleben muss?

TE liegt der interne Bericht vor. Da die Stellungnahme bundesweit für betroffene Bistümer Relevanz haben kann, entschied sich TE für die Veröffentlichung.

Das Bistum macht Bilanzpolitik

Mit der derzeitigen Dramatisierung der finanziellen Lage, versucht das Bistum einen Gedanken des Notstands bei den Katholiken zu implantieren. Die bilanzielle Lage hat jedoch nicht zwingend etwas mit der Frage der dauerhaften Sicherung der Liquidität zu tun.

Von Kirche zu Wirtschaftsbetrieb
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Um den Finanzbericht des Bistums für 2016 verstehen zu können, muss man ein paar Dinge wissen. Vorgelegt wird hier eine Bilanzierung nach dem HGB, also die, die auch in der Wirtschaft verwendet wird. Eine Bilanz nach HGB hat mehrere Funktionen: Sie zeigt dem Kaufmann, wie er gewirtschaftet hat – und sie zeigt den Gläubigern des Unternehmens, wie ihre Chancen stehen, dass sie ihr Geld vom Unternehmen bekommen. Es geht um die Frage: Habe ich genug Geld und Vermögen, um im schlimmsten Fall allen, denen ich als Unternehmer etwas schulde, ihr Geld zurückgeben zu können.

Ein Bistum ist jedoch kein Unternehmen. Es ist eine Körperschaft öffentlichen Rechts, die gar nicht insolvent werden kann, weil sie jederzeit die Möglichkeit hat, sich bei ihren Mitgliedern über die Erhöhung der Kirchensteuer oder die Einführung neuer Abgaben neues Kapital zu verschaffen. Was einem Bistum sehr wohl passieren kann, ist, dass es vorübergehend zahlungsunfähig wird.

Was möchte das Bistum mit der Bilanz nach HGB erreichen?

Es handelt sich um eine Darstellungsform, die in der Wirtschaft Standard ist. Jeder kaufmännisch affine Akteur in der Wirtschaft weiß aber auch, dass die Aussagefähigkeit einer HGB-Bilanz wegen der zahlreichen Ermessensspielräume und besonderen Abbildungsregeln, klare Grenzen hat.
Wenn man mit den Augen eines Kaufmanns auf den Finanzbericht des Bistums schaut, dann fällt auf

Nicht erkennbar ist, ob die Schulgrundstücke bereits immer Bestandteil der Aktiva der Finanzberichte des Bistums waren.

Eine Rückstellung wird gebildet, wenn zukünftige Risiken realistisch erscheinen. Es geht also nicht um Verbindlichkeiten, sondern um eine Prognose, welche Verbindlichkeiten auf mich zukommen können. Was die Pensionen betrifft, gibt es dafür ziemlich komplizierte, sehr detaillierte Berechnungsregeln und Bilanzierungsvorgaben. Stichwort Versicherungsmathematik. In diesem Bereich hat sich in 2009 die gesetzliche Grundlage geändert.

Daneben spielt die Lage am Kapitalmarkt eine große Rolle (Zinssatz). Um fundiert beurteilen zu können, was da tatsächlich das Problem ist, braucht man allerdings Daten, die das Bistum nicht zur Verfügung stellt. Eines aber gilt für Pensionen immer: Es muss sichergestellt werden, dass die Pensionäre ihr Geld auszahlt bekommen. Im Finanzbericht 2016 ist die Summe, die das Bistum den pensionierten Lehrern und Co gezahlt hat, mit rund 20 Mio. Euro beziffert.

Die Schulen fallen zuerst
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Wovon man mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit ausgehen kann, ist, dass die Qualität des Problems der Pensionsrückstellungen im katholischen Schulverband bislang auf einem Level war, das wenig mit Insolvenz zu tun hatte. Wäre das der Fall gewesen, hätte der Verband für seine Jahresabschlüsse von den Wirtschaftsprüfern kein Testat, die Geschäftsführung keine Entlastung erhalten und wir könnten dann wohl jetzt dem Staatsanwalt bei der Arbeit zusehen – entweder dabei, wie er die Geschäftsführung des Schulverbands vor den Kadi bringt oder die Bistumsleitung wegen grober Verletzung ihrer Aufsichtspflicht. Beides sehen wir beruhigender Weise gerade nicht.

Bei dem Thema Rückstellungen für Pensionen ist die Sachlage sehr intransparent und das von E&Y aufgezeigte hohe exponentielle Aufwachsen der Verpflichtungen in den nächsten Jahren zweifelhaft. Hier stellt sich die Frage nach der Methode der versicherungsmathematischen Herangehensweise bei der Bewertung der Pensionsrisiken.

Nach den derzeitigen Äußerungen des Bistums sollen vermutlich alle glauben, dass die Lage so dramatisch ist, dass der Krisenzustand ausgerufen werden müsste. Dafür erscheinen die agierenden Personen im Bistum allerdings noch sehr entspannt.

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In der Unternehmensberatungsbranche in Hamburg wird kolportiert, dass einige Beratungsunternehmen den Auftrag des Bistums abgelehnt hätten. Ursächlich hierfür soll gewesen sein, dass die Beratungsfirmen nach einer Analyse des Ist auch ein valides und sinnvolles Sanierungskonzept mit dem Bistum erarbeiten wollten. Dies hätte Zeit und zusätzliches Geld gekostet. Daran war dem Bistum wohl nicht gelegen, was dann final zu einem „Kurzauftrag“ an E&Y geführt hat, und daraus resultierend zu den abrupten Entscheidungen Anfang Januar.
Es bleibt der Geruch einer bilanziellen Dramatisierung der wirklichen, finanziellen Situation.
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