Tichys Einblick
G20-Gipfel in Hamburg

SPIEGEL mobilisiert zur G20-Demo

Was reitet den SPIEGEL? „Globalisierung außer Kontrolle“ – der aktuelle Titel, als Covermotiv der böse Wolf, die Erde zwischen den Zähnen: „Traut euch! Radikal denken, entschlossen handeln – nur so ist die Welt noch zu retten.“ Ein Demo-Aufruf zum G20-Gipfel.

Neun Seiten Globalisierungskritik im aktuellen SPIEGEL-Heft. Es wirkt wie ein großer Demonstrationsaufruf für den G20-Gipfel. Auf mehr als einer Seite werden wie ein Kunstwerk ästhetisch ansprechend acht Plakate und Aufkleber zum G20-Gipfel in Hamburg präsentiert: „Feminists against G20“, „Fight G20“ (Aufruf für den Revolutionären Block), „Gegenmacht aufbauen!“ – prominenter und attraktiver hätte der SPIEGEL die Plakate mit Datum, Uhrzeit und Treffpunkt der G20-Demonstrationen des „Revolutionären Blocks“ und anderer gewaltbereiter Gruppen der linksextremen Szene nicht platzieren können. Geworben wird auf den Plakaten für eine „Revolutionäre Demo“, für Blockaden und direkte Aktionen. Die Hamburger Polizei wird sich beim SPIEGEL bedanken.

Im Artikel überschlagen sich Autoren mit Globalisierungskritik: „Einige gewinnen viel, aber viele verlieren einiges. Dieser Gedanke zieht Kreise, weit über das linke Spektrum hinaus.“ „Die bürgerliche Mitte empfindet Unbehagen daran, in welche Richtung sich die Welt entwickelt.“ „Kirchengruppen, Umweltverbände, Flüchtlingsräte, Friedensbewegte. Sie eint der Glaube an das Gute im Menschen und das Schlechte im System.“
„Die Auswege“

Aber, so der SPIEGEL, es gibt auch eine „gute Nachricht“. Unter der Zwischenüberschrift „Die Auswege“ wird dem Leser erklärt, wie die Welt „gerecht“ und die Globalisierung gebremst werden kann: „Es gibt Wege, die Welt gerechter zu machen und die Umwelt zu schützen … In Portland im US-Bundesstaat Orgeon will die Stadt von diesem Jahr an von Betrieben einen zehnprozentigen Aufschlag auf die Körperschaftsteuer verlangen, wenn der Firmenchef über 100-mal mehr verdient als ein normaler Mitarbeiter. Übersteigt der Faktor 250, wird ein Plus von 25 Prozent fällig.“ Wie damit die Globalisierung gebremst wird, verstehe ich zwar nicht. Ähnliche Forderungen erhebt bekanntlich die Partei DIE LINKE in Deutschland.

Und der SPIEGEL hat auch ein Rezept, wie die Welt vor dem Klima-Gau zu retten ist: „Wirklich konsequent und klimagerecht wäre es, wenn jeder Mensch dasselbe Recht auf Verschmutzung der Atmosphäre eingeräumt bekäme. Zwei Tonnen CO2 pro Kopf und Jahr halten Klimaforscher für akzeptabel.“ Der SPIEGEL rechnet vor, dass Deutsche und Amerikaner sich entsprechend bescheiden müssten, weil sie jetzt 16,1 bzw. 9,5 Tonnen verbrauchen. In Brasilien dagegen sei alles in Ordnung, denn die Brasilianer befänden sich nur geringfügig über dem gewünschten Niveau. So einfach ist das also: Deutsche und Amerikaner müssen sich einfach an den Lebensstandard der Brasilianer anpassen. Noch klimafreundlicher wäre es vermutlich, wenn wir uns an den Lebensstandard etwa in Nigeria anpassen, denn dort wird noch weniger C02 verbraucht.

Als Kronzeugen für diesen Blödsinn führt das Hamburger Nachrichtenmagazin Angela Merkel ins Feld: Sie habe schon vor Jahren „Sympathie“ für eine solche Vorgabe geäußert. Kein Wunder – typisch Merkel! (Übrigens: Im gleichen SPIEGEL findet sich ein schöner Leitartikel über Merkels Politikstil, der als „Schluckaufpolitik“ beschrieben wird.)

Globalisierung – ja bitte!

Globalisierungsgegner, die im SPIEGEL hochgejubelt werden, machen die Globalisierung dafür verantwortlich, dass die Kluft zwischen Reich und Arm in Ländern wie den Vereinigten Staaten tiefer wird. Aber führt die Globalisierung wirklich zu mehr Ungerechtigkeit? Die Vereinten Nationen haben in einer Studie festgestellt, dass die Armut in der Welt in den vergangenen 50 Jahren mehr abgenommen hat als in den 500 Jahren davor.

Ja, es gibt immer noch Hunger und Leid auf der Welt, die keinen Menschen gleichgültig lassen dürfen. Aber der viel geschmähte Kapitalismus und seine Protagonisten – „die Reichen“ – sind, anders als oft behauptet, nicht die Ursache von Elend und Leid auf dieser Welt. Die Länder in Afrika, in denen Menschen Hunger leiden müssen, leiden nicht an zu viel, sondern an zu wenig Marktwirtschaft. Wer das nicht glaubt, der sollte sich mal das Country Ranking der Heritage Foundation über die wirtschaftliche Freiheit anschauen.

Das Ranking zeigt, wie wirtschaftlich frei, also wie marktwirtschaftlich, die Länder dieser Erde organisiert sind. An der Spitze stehen Hongkong, Singapur, Neuseeland, die Schweiz und Australien. Vergleichsweise eher frei sind auch Länder wie Kanada, Taiwan, Großbritannien, Luxemburg, Südkorea, Norwegen, Deutschland usw. Und am Schluss des Rankings (Platz 178 – 180) stehen die sozialistischen Länder Kuba, Venezuela und Nordkorea. Auch fast alle afrikanischen Länder rangieren unter denen, die wirtschaftlich sehr unfrei sind. Und jetzt überlegen Sie mal: Von wo fliehen die Menschen nach wo? Sie fliehen aus wirtschaftlich unfreien Ländern (also mit wenig Kapitalismus) in wirtschaftlich freiere (also mehr kapitalistische) Länder. Nicht die Globalisierung und der Kapitalismus sind das Übel, sondern sie sind die Lösung des Problems. Armut entsteht dort, wo es zu wenig Kapitalismus gibt.

Mehr Kapitalismus ist der Ausweg

Der Kapitalismus insgesamt hat das Leben auf unserem Planeten so sehr verbessert, wie es zuvor kein Wirtschaftssystem vermocht hat. 1820 lebten 85 Prozent der Weltbevölkerung von weniger als einem Dollar am Tag, heute sind es nur noch 20 Prozent. Die Bewohner eines Entwicklungslandes werden heute durchschnittlich 65 Jahre alt, vor 100 Jahren waren es gerade einmal 30. „Der Kapitalismus“, schreibt der SPIEGEL-Redakteur Jan Fleischhauer in seinem Buch „Unter Linken“, „kann sich zu Recht rühmen, seine Versprechen geradezu beispielhaft einzulösen. Mit dem Sozialismus verhält es sich regelmäßig umgekehrt. Er vermag nicht eines seiner Versprechen zu halten, tatsächlich ist es noch jedes Mal gründlich schiefgegangen, wenn seine Befürworter sich anschickten, die kühnen Ideen in die Tat umzusetzen.“

Selbst die Verfasser des oben zitierten Brandartikels kommen nicht ganz an den Fakten vorbei und weisen auf Tatsachen hin, die eigentlich ihren ganzen Artikel widerlegen: „Laut Weltbank hat sich extreme Armut – die Schwelle liegt bei 1,90 Dollar verfügbarem Einkommen pro Tag – in den vergangenen Dekaden erheblich verringert. 1990 lebten 34,8 Prozent der Weltbevölkerung am Existenzminimum, damals waren es 1,84 Milliarden Menschen. Ihre Zahl hat sich bis 2013 mit 766 Millionen Menschen mehr als halbiert, der Anteil liegt nur noch bei 10,7 Prozent. Besonders in China hat sich das Leben deutlich verbessert – gerade weil die Volkswirtschaft ein wichtiger Teil der Weltwirtschaft geworden ist. Vor gut einem Vierteljahrhundert waren 756 Millionen Chinesen extrem arm, mehr als die Hälfte der Nation, heute sind es noch 25 Millionen: nicht mal zwei Prozent der Bevölkerung.“ In dem Artikel wird als Grund für diese Verbesserung in China genannt, dass das Land „ein wichtiger Teil der Weltwirtschaft geworden ist“. NEIN. Das ist nicht der Grund, sondern die Folge von etwas ganz anderem: Vor 25 Jahren, als die Menschen in China hungerten, herrschte dort Sozialismus. Inzwischen haben sich die Chinesen zur Marktwirtschaft bekannt und sind in mancher Hinsicht kapitalistischer als wir Europäer. Kapitalismus wirkt Wunder – er hilft vor allem gegen Armut.

Die Kehrseite der Globalisierung

Doch die Probleme sollten dabei nicht verschwiegen werden: Durch die Globalisierung und den technischen Fortschritt stehen die Arbeiter in den westlichen Industrieländern in einem direkten Wettbewerb mit denen in Schwellenländern. Das trifft besonders für die gering qualifizierten und wenig gebildeten Arbeiter in den entwickelten Ländern zu. Sie sind daher, dies muss man einräumen, die Verlierer der Globalisierung, da ihre Löhne wegen des internationalen Wettbewerbs tendenziell fallen müssen. Oder ihre Arbeitsplätze verschwinden, weil Menschen in Schwellenländern ihre Arbeit für einen geringeren Lohn durchführen können.

Die Globalisierungskritik ist moralisch höchst fragwürdig. Sie ist, wie der Wirtschaftsethiker Ulrich Chiwitt treffend feststellt, „in Wahrheit nichts anderes als eine Verteidigungsstrategie jener Mittelschichten in den reichen Industrieländern, die Sorge haben, im Wettbewerb mit den Entwicklungsländern ihr Einkommen nicht mehr halten zu können“. Vom Standpunkt eines weniger qualifizierten Arbeiters in Deutschland oder den USA ist es verständlich, wenn er die zunehmende Spreizung zwischen Arm und Reich beklagt. Aber wie ist es, wenn man einen globalen Standpunkt einnimmt?

Die Globalisierung und die Transformation der Weltwirtschaft heben in China oder Indien vielleicht drei oder vier Menschen aus der Armut in die Mittelschicht, währenddessen gleichzeitig ein Deutscher oder ein Amerikaner aus der Mittelschicht in die Unterschicht absteigt. Chrysta Freeland zitiert in ihrem Buch über „Die Superreichen“ den Finanzvorstand einer amerikanischen Technologiefirma: „Wir fordern einen höheren Gehaltsscheck als der Rest der Welt. Wer aber ein zehnfach höheres Gehalt will, der muss auch den zehnfachen Wert schaffen. Es klingt hart, aber vielleicht sollten sich die Leute in der Mittelschicht mit einer Gehaltskürzung abfinden.“ Das tun sie natürlich nicht. Sie marschieren in Hamburg gegen die Globalisierung oder sie wählen Globalisierungskritiker wie Donald Trump, Marine Le Pen oder Sarah Wagenknecht.

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