Tichys Einblick
SPIEGEL-Interview

Kubicki will Jamaika um jeden Preis

Im aktuellen SPIEGEL-Interview vermittelt FDP-Vize Wolfgang Kubicki den Eindruck, er wolle Jamaika um jeden Preis. Auch unter Preisgabe zentraler FDP-Positionen.

© Morris MacMatzen/Getty Images

Während Christian Lindner zu Recht immer wieder betont, es sei keineswegs eine ausgemachte Sache, sondern höchst unsicher, ob Jamaika komme, vermittelt sein Vize Kubicki im SPIEGEL-Interview den Eindruck, als ob Jamaika bestimmt komme, wenn nur „Vertrauen“ zwischen Grünen und FDP aufgebaut werde. Dafür müsse man lediglich „gegenseitige Zerrbilder“ auflösen. Viele Grünen-Politiker hielten die FDP für „herzlose Neoliberale“ und viele Freidemokraten hielten die Grünen für „ideologiefixierte Verbotsapostel“, beklagt Kubicki. Was, bitte schön, ist denn daran falsch? Seit wann schämt sich die FDP dafür, „neoliberal“ zu sein? Und stimmt es denn nicht, dass die Grünen ideologiefixierte Verbotsapostel sind? Sind das denn „Zerrbilder“, wie Kubicki meint, oder ist es einfach wahr?

„Flüchtlingspolitik“

Offene Flanken, rote Linien
Maybrit Illner: Der Herr erspare uns eine Regierung aus CDU/CSU/FDP und KGE!
DER SPIEGEL wirft zu Recht ein: „Wir hatten die FDP zuletzt so verstanden, dass sie in der Flüchtlingspolitik der CSU näher steht als den Grünen.“ Kubickis Antwort: „Nein“. Zur Begründung führt er an, die Grünen seien auch für ein Einwanderungsgesetz. Das sind jedoch zwei völlig verschiedene Fragen. Kubicki vermengt hier bewusst zwei Themen, die nichts miteinander zu tun haben, um den Eindruck zu erwecken, es gebe keine unüberbrückbaren Gegensätze zwischen FDP und Grünen. Die FDP, namentlich Christian Lindner, hat im Wahlkampf Positionen zur Flüchtlingspolitik vertreten, die sehr viel näher bei der CSU liegen als bei den Grünen. DER SPIEGEL hat das schon richtig wahrgenommen. Kubicki plädiert für eine Erleichterung des Familiennachzuges, was er in Schleswig-Holstein schon vorexerziert.
Europapolitik

In der Europapolitik vertritt Kubicki exakt das Gegenteil dessen, was Lindner im Wahlkampf vertreten hat und was im FDP-Programm steht. DER SPIEGEL weist Kubicki zu Recht darauf hin, im Wahlprogramm der FDP stehe, dass der ESM langfristig abgeschafft werden solle. Kubicki dagegen hält Schäubles Plan, den ESM langfristig in einen europäischen Währungsfonds umzubauen, für eine gute Idee. Und was fällt ihm zu Griechenland ein? DER SPIEGEL weist darauf hin, dass im FDP-Wahlprogramm das letzte Griechenlandrettungspaket als Fehler bezeichnet wird.

Unenttäuschbar
Jamaika nützt nur Merkel
Kubicki interessiert das nicht: „Man kann das auch anders sehen. Ich bin ja auch Volkswirt.“ Seine geniale Idee als Volkswirt lautet, man müsse mehr Geduld mit Griechenland haben (haben wir nicht längst viel zu viel und zu lange Geduld gehabt?) und man müsse Griechenland stärken, „indem man die griechische Regierung veranlasst, durch gezielte Investitionen ihre eigene Wirtschaftskraft zu stärken“. Wie bitte? Die Griechen sollten endlich mal anfangen, marktwirtschaftliche Reformen zu machen! Das wäre eine liberale Position. Die Forderung nach staatlichen Investitionen zur Lösung der Probleme Griechenlands kenne ich bislang eher von der Linken. Zudem plädiert Kubicki in dem Interview für eine „Harmonisierung von Steuer- und Sozialsystemen“ in der EU. Dabei ist ja nicht einmal klar, ob Macron sich mit seiner liberalen Reformpolitik in Frankreich durchsetzen kann. Aber, wo bitte schön, sind die Vertreter einer liberalen Steuer- und Sozialpolitik in Italien und anderen Südländern? Bedeutet eine EU-Harmonisierung nicht höchstwahrscheinlich noch mehr Umverteilung und Sozialtransfers?
Nato-Vereinbarungen „albern“

Nebenbei erklärt Kubicki, die in der Nato einvernehmlich getroffenen Vereinbarungen, nämlich zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Verteidigungsausgaben vorzusehen, für „albern“. Das traut sich nicht einmal Merkel. Kubicki sagt das offenbar, um auch hier Gegensätze zu den Grünen aus dem Weg zu räumen. Will Deutschland offiziell erklären, dass man sich nicht an gemeinsam in der Nato getroffene Vereinbarungen hält, indem man diese einfach als „albern“ vom Tisch wischt? Dabei ist die Forderung, sich an diese Vereinbarung zu halten, keineswegs eine Idee Trumps, wie es oft dargestellt wird, sondern wurde berechtigterweise auch schon von Barack Obama vertreten.

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Förderung der Elektromobilität

Ein Jamaika-Projekt könne sein, so Kubicki im SPIEGEL, sich gemeinsam zu überlegen, wie man „die Elektromobilität so fördern (könne), dass sie sich rechnet“. Wie bitte? Bei Merkel und den Grünen wird er dafür Zustimmung ernten. Aber die FDP soll jetzt Subventionen oder Steuervorteile für Elektromobilität als Kern eines „Jamaika“-Projektes aushandeln, nachdem Lindner genau das im Wahlkampf abgelehnt hat? Aufgabe des Staates ist es keineswegs, eine bestimmte Technologie zu favorisieren und zu subventionieren. Welche Technologie sich durchsetzt, soll der Verbraucher entscheiden. Das war die FDP-Position im Wahlkampf und so sehen es übrigens – wie Umfragen belegen – eindeutig auch die FDP-Wähler.

Das Gegenteil des Wählerwillens

Was Kubicki in diesem Interview erklärt, steht nicht nur im Gegensatz zu dem, was die FDP im Wahlkampf und im Wahlprogramm gesagt hat, es widerspricht auch den Meinungen der FDP-Wähler. Eine jüngst veröffentlichte Focus-Umfrage zeigt, dass die FDP-Wähler in Fragen der Flüchtlingspolitik genau das Gegenteil der Positionen der Grünen vertreten und sogar näher bei den Meinungen der AfD-Wähler stehen.

Welche Wahlauswirkungen?
CDU-FDP Koalition in Kiel für leichten Familiennachzug
Diese Wähler haben die FDP wegen den Positionen gewählt, die sie im Wahlkampf vertreten hat. Wenn Kubicki diese Positionen zur Flüchtlingspolitik nunmehr räumt und auch in anderen zentralen Punkten auf die Positionen der Grünen einschwenkt bzw. sich bei diesen anbiedert, dann verspielt er das Vertrauen, mit dem Wähler der FDP eine zweite Chance gegeben haben. Eine dritte Chance werden sie ihr bestimmt nicht geben, wenn sie wieder – wie bereits 2009 – von dem abrückt, was sie im Wahlkampf vertreten hat. Das wäre das Ende der FDP. Christian Lindner steht jetzt vor der Wahl, kurzfristig auf Basis der Kubicki-Positionen die FDP nach Jamaika zu schicken (und damit in den Untergang) oder aber standfest zu bleiben und langfristig der deutsche Sebastian Kurz zu werden.

** Der Autor dieses Beitrages ist seit 23 Jahren FDP-Mitglied.

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