Im Beisein der Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes, der IG Metall und von Verdi, vollzog sich auf dem Parteitag der SPD ein Kampf zweier Linien, dessen endgültiger Ausgang für die weitere Zukunft der Partei von einiger Bedeutung ist. Während die Parteispitze für die Fortführung einer Koalition mit den Christdemokraten mit dem Argument warb, die SPD könne als Juniorpartner von CDU/CSU weiterhin viele soziale Verbesserungen für die „kleinen Leute“ erreichen, setzten die Kritiker dieses Ansatzes erkennbar auf die Hoffnung, aus der Opposition heraus ließe sich unter der Führung der SPD eventuell schon bei Neuwahlen, spätestens jedoch bei der nächsten regulären Bundestagswahl eine rot-grüne Mehrheit erreichen.
Selten zuvor hat ein Mitglied der Parteispitze so unverblümt und drastisch den Funktionären und Mitgliedern der SPD die tatsächliche Lage der Partei vor Augen geführt wie die neue Fraktionsvorsitzende. Das dürfte maßgeblich dazu beigetragen haben, dass mit 362 Delegierten eine Mehrheit des Parteitags dem Antrag der Parteiführung zugestimmte. Nahles legte den Delegierten nämlich dar, dass die Wähler der SPD keineswegs von ihr erwarten, eine Regierung anzuführen. Vielmehr reicht es ihnen aus, wenn die SPD unter der Führung von CDU/CSU eine Reihe sozialer Verbesserungen realisiert, die die Christdemokraten von sich aus nicht realisieren würden. Die SPD wird von ihnen als eine Art Gesamtbetriebsrat der Deutschland AG betrachtet, der in enger Abstimmung mit den Gewerkschaften dafür sorgt, dass die „kleinen Leute“ vom wirtschaftlichen Fortschritt auch etwas abbekommen. Da sich dieses Modell in den meisten Großunternehmen ziemlich bewährt hat, wird es nicht nur von vielen Bürgern, sondern auch von den Gewerkschaftsspitzen als auf die Politik übertragbar betrachtet.
Wie schon 2013 drängen daher insbesondere die DGB-Gewerkschaften die SPD zu einer Koalition mit den Christdemokraten. Sie betrachten sie damit als eine Art Co-Manager einer christdemokratisch geführten Koalition, der im täglichen Regierungsgeschäft für die Berücksichtigung der Interessen der „kleinen Leute“ zuständig ist. Wie man dies macht, wissen sie von ihren Betriebsräten bei den großen Dax-Konzernen wie Volkswagen, Daimler, Siemens oder BASF, die als Co-Manager in diesen Unternehmen dafür sorgen, dass die Interessen der Beschäftigten beim Erwirtschaften des betriebswirtschaftlichen Reichtums nicht zu kurz kommen. Gleiches soll die SPD daher auf der volkswirtschaftlichen Ebene tun.
Das entspricht zwar nicht dem Konzept einer linken Volkspartei, die alleine oder zusammen mit gleichgesinnten Partnern ihre kapitalismuskritischen Vorstellungen von sozialer Gerechtigkeit verwirklicht, wohl aber den Interessenlagen nicht nur der Gewerkschaften, sondern eines Großteils der „kleinen Leute“.