Die Beleidigung von Politikern wurde lange Zeit nicht gesondert bestraft. Das änderte sich 2021, als die damalige Merkel-Koalition von Union und SPD das Strafrecht verschärfte. Seitdem gilt in Paragraf 188 des Strafgesetzbuches: Wird eine Beleidigung „gegen eine im politischen Leben des Volkes stehende Person“ begangen, drohen bis zu drei Jahre Freiheitsstrafe oder Geldstrafe. Die Strafverfolgungsbehörden dürfen von Amts wegen gegen eine „Politikerbeleidigung“ ermitteln – nicht nur auf Antrag der Betroffenen. Damit eine Beleidigung als „Politikerbeleidigung“ eingestuft wird, muss sie mit der „Stellung des Beleidigten im öffentlichen Leben zusammenhängen“. Außerdem musste die Beleidigung geeignet sein, das „öffentliche Wirken“ des Politikers „erheblich zu erschweren“. Diese Voraussetzung soll laut einem Vorschlag aus dem SPD-regierten Niedersachsen gestrichen werden.
Die niedersächsische Justizministerin Kathrin Wahlmann (47, SPD) will in der am 28. November beginnenden Justizministerkonferenz (JuMiKo) einen Antrag einbringen, mit dem die Voraussetzungen der „Politikerbeleidigung“ abgesenkt und die Strafverfolgung vereinfacht werden sollen. Behörden könnten künftig leichter wegen Beleidigungen von Politikern ermitteln. SPD-Ministerin Wahlmann möchte die Einschränkung (Erschwerung des öffentlichen Wirkens eines Politikers) aus dem § 188 Strafgesetzbuch (StGB) streichen. Damit müsste von der Justiz kein Kausalzusammenhang mehr zwischen Beleidigung, Vertrauensverlust in Politiker und Beeinträchtigung des politisch-demokratischen Gemeinwesens hergestellt werden. Was übrigens im Fall des „Schwachkopf“-/Habeck-Memes ohnehin kausal nicht hergeleitet werden kann.
StGB § 185 müsste eigentlich reichen: Wer einen anderen Menschen beleidigt – unabhängig ob Politiker oder nicht – muss mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit einer Geldstrafe rechnen. Es kann nicht gelten: Alle Menschen sind gleich, nur Politiker sind gleicher. Wenn die Beleidigung öffentlich ist, drohen ohnehin bis zu zwei Jahre Haft. Ermittelt wird allerdings nur, wenn Betroffene einen Strafantrag stellen. Angebracht wäre also etwas anderes: Die Änderung des StGB §188 von 2021 gehört zurückgeschraubt, anstatt die Politikerbeleidigung noch weiter zu verschärfen bzw. die Strafverfolgung zu erleichtern.
Ändern würde sich mit der Initiative aus Niedersachsen auch der Umfang der Ermittlungen. Gegen reguläre Beleidigungen kann ja nur auf Strafantrag der Betroffenen ermittelt werden. Wenn die Voraussetzungen für die „Politikerbeleidigungen“ gesenkt würden, könnten die Behörden auch in mehr Fällen von Amts wegen ermitteln. Ein neues Profilierungsfeld für eifrige Justizvertreter?
Ob der Vorschlag Niedersachsens auf der Justizministerkonferenz eine Mehrheit findet, ist offen. Das Haus von Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU) teilte mit, dass man die seit 2021 geltende Rechtslage noch nicht abschließend bewerten könne. Eisenreich ist Sprecher der unionsgeführten Länder. Sein Ministerium verweist auf Probleme bei der Anwendung des aktuellen Paragrafen. „Die bisherige Strafverfolgungspraxis zur neuen Fassung von Paragraf 188 Abs. 1 Strafgesetzbuch zeigt teilweise Schwierigkeiten bei der Anwendung der Norm“, sagte ein Sprecher Eisenreichs. „Das betrifft insbesondere das Tatbestandsmerkmal der ‚Eignung der Tat, das öffentliche Wirken der Person des öffentlichen Lebens erheblich zu erschweren‘.“
Dass Politiker häufiger als andere Beleidigungen ausgesetzt sind, rechtfertigt im übrigen keine privilegierte Behandlung von Politikern. Und manches muss man eben als Politiker aushalten. Würde StGB §188 geändert, wie es Niedersachsens SPD-Justizministerin im Sinn hat, würde es über die 800 Habeck’schen und 500 Baerbock’schen Strafanzeigen hinaus wohl zu einer unüberschaubaren Inflation an Strafanzeigen von Politikern aller Ebenen und einer Überlastung der Strafverfolgungsbehörden und zumal der Gerichte kommen. Dabei ist die Rechtsprechung hier jetzt schon unüberschaubar. Siehe die zahllosen Verfahren dazu hier.
Verfassungsrechtler Lindner sieht „Verstoß gegen Grundgesetz“
Der Augsburger Verfassungsrechtler Josef Franz Lindner sieht den Vorstoß aus Niedersachsen sehr kritisch. „Wenn man das Tatbestandsmerkmal der erheblichen Erschwerung des öffentlichen Wirkens aus dem Paragrafen 188 Strafgesetzbuch herausnähme, dürfte es den Staatsanwaltschaften tatsächlich leichter fallen, von Amts wegen gegen eine Politikerbeleidigung zu ermitteln und zu einer Verurteilung kommen“, sagte er der WELT. „Ich sehe allerdings Probleme mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und vor allem mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz.“
Die Gefahr, dass eine Beleidigung von Politikern deren öffentliches Wirken erschwere, sei gerade der Grund dafür, dass man Politiker bei den Beleidigungstatbeständen anders behandele als andere Bürger. „Wenn man das Tatbestandsmerkmal des öffentlichen Wirkens nun aber herausnähme, käme dieser Grund für die Ungleichbehandlung von Politikern und anderen Personen nicht mehr zum Tragen. Die Argumentation wäre dann doch, dass die Ehre von Politikern mehr wert ist als die von normalen Bürgern. Hier sehe ich einen Verstoß gegen das Grundgesetz.“
Ein Übrigens 1 und 2 und 3
Erstens: In den USA gibt es kein Gesetz gegen Politikerbeleidigung. Sehr wohl aber in der Türkei. Man stelle sich vor, Donald Trump würde nach seinem Amtsantritt Tausende vor Gericht stellen lassen, die ihn im Netz doof, debil, verrückt usw. genannt haben, und diese Leute würden dann zu Haftstrafen verurteilt.
Zweitens: Habecks Partei-Genosse Joschka Fischer hatte 1984 den Vizepräsidenten des Bundestages, Richard Stücklen (CSU), mit dem Ausspruch bedacht: „Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch, mit Verlaub!“. Folgenlos! Wie sich die Zeiten ändern: Habeck ist schon zutiefst gekränkt und lässt eine Netzspitzel-Agentur aufmarschieren, wenn er in einer Bildcollage statt mit „Schwarzkopf“-Shampoo mit „Schwachkopf“ assoziiert wird.
Drittens: Die deutschen Michels würden noch schweigsamer und wieder zu einem Volk von Flüsterern werden. Mehr als die Hälfte (53 Prozent) aller Befragten im Alter zwischen 18 und 39 Jahren hat laut INSA mittlerweile ohnehin Scheu, ihre Meinung frei zu äußern. Interessant auch: 74 Prozent der Wähler der AfD sind es, die sich ihre Meinung schon mindestens einmal verkniffen haben. Auf der anderen Seite des politischen Spektrums wähnt man die freie Meinungsäußerung indes nicht so sehr in Gefahr. Lediglich 27 Prozent der Grünen traute sich schon einmal nicht, ihre Ansichten zu äußern. Klar: „Grün“ ist ja mainstreamig, da muss man kaum etwas befürchten, wenn man die Klappe aufmacht.