Tichys Einblick
SPD-Bundesparteitag

Olaf allein zu Haus

Die SPD fremdelt mit ihrem eigenen Bundeskanzler: Da geht es Olaf Scholz nicht besser als seinen sozialdemokratischen Amtsvorgängern. Wo es um die Realitäten geht, hat er bei den Delegierten auf dem Bundesparteitag mit seiner Rede einen schweren Stand. Bejubelt wird er nur für Sozialutopien.

IMAGO/Political Moments

„Du bist hier gut aufgehoben“, ruft die Sitzungsleiterin Olaf Scholz zu. Damit wird gleich zu Beginn der Ton gesetzt, den sich die SPD-Führung wünscht für die Rede des Bundeskanzlers vor den 600 Delegierten: Olaf ist einer von uns, und wir stehen zu ihm.

Nur wenige Momente später wird überdeutlich, dass das nicht stimmt.

Direkt vor dem Scholz-Auftritt spielt die Parteitagsregie nach dem Vorbild von US-Inszenierungen ein Videofilmchen ein, das mehr auf die Tränendrüse drückt, als Hollywood es jemals wagen würde. Die Funktion des Clips ist klar – und dieselbe wie die Funktion von Musik in Kinostreifen: Das Publikum soll wissen, was es zu fühlen hat.

In dem Video wird das berühmte Willy-Brandt-Wort von „Mehr Demokratie wagen“ etwas kühn variiert. „Mehr Fortschritt wagen“: So heißt es heute bei den Sozialdemokraten. In der Scholz-Rede danach wird klar werden, was die real existierende SPD damit meint: mehr Geld ausgeben.

Genosse Olaf erscheint ohne Krawatte und bekommt freundlichen Auftrittsapplaus. SPD-Bundeskanzler haben traditionell ein schwieriges Verhältnis zu ihrer Partei. Aber die Delegierten wollen sich erkennbar nicht dem Vorwurf aussetzen, ihrem Regierungschef schon ganz am Anfang die kalte Schulter zu zeigen.

Scholz versucht ungelenk, das anfängliche Fremdeln mit dem Saal durch eine Schmeichelei abzubauen. Er gratuliert der am Freitagabend neugewählten Parteiführung. So weit, so normal. Doch dann versteigt er sich zu der Formulierung, die Vorstandswahl sei „ein gutes Zeichen einer starken sozialdemokratischen Partei“. Unwillkürlich fragt man sich, ob er das ernst meint: Freut sich die SPD jetzt wirklich schon darüber, dass sie es schafft, einen Vorstand zu wählen?

Scholz wäre nicht Scholz, wenn er nicht alle daran erinnerte, dass der letzte Wahlsieg nur seiner Sturheit zu verdanken war – und dass ihm niemand widersprochen hat. Tatsächlich ist ihm die Partei damals erstaunlich widerspruchslos gefolgt – allerdings in einem Rennen, das so gut wie jedermann für völlig aussichtslos hielt, zumindest anfangs. Jetzt sitzt doch recht überraschend ein Sozialdemokrat im Kanzleramt – und prompt muckt die Partei wieder auf.

Da will Scholz vom Start weg gegensteuern: „Die SPD-Geschlossenheit wird so bleiben“, ruft er aus. Aber es klingt eher wie eine Beschwörung als wie eine Überzeugung.

Nicht zufällig beginnt der Kanzler seinen Vortrag mit dem Ukraine-Krieg. Natürlich weiß Scholz, dass seine Partei bei dem Thema alles andere als geschlossen ist. Als er die deutsche Hilfe für die Ukraine gegen Russland verteidigt, wird prompt der Applaus auch hörbar spärlicher. An einer Stelle hat man den Eindruck, dass Verteidigungsminister Boris Pistorius alleine lauter klatscht als der Rest der Delegierten zusammen. Und die Kamera erwischt den in der Wolle gewirkten Parteilinken und Fraktionschef Rolf Mützenich dabei, wie er grimmig guckt und die Hände demonstrativ ganz unten lässt.

„Wir unterstützen die Ukraine weiter bei ihrem Verteidigungskampf“, ruft Scholz geradezu trotzig. Er widmet dem Thema so viel Zeit und Raum, dass klar wird, wie umstritten sein Kurs in der Partei ist. Zwischendurch versucht er, die Seele der roten Delegierten mit Sätzen zu besänftigen wie: „Wir haben Deutschland durch diesen Winter gebracht.“ Das ist zwar Quatsch, aber der Kanzler versucht halt alles, um sein Parteivolk zu umschmeicheln.

Olaf Scholz, man muss das einmal aussprechen, ist ein rhetorischer Albtraum. Nicht umsonst verfolgt ihn sein ganzes politisches Leben lang der Spitzname „Scholzomat“ – wegen seiner berüchtigt sinnfreien Wortstanzen wie: „Das bildet die Grundlage für die Kraft, die wir für die Zukunft brauchen.“ Wenn der Kanzler vom Manuskript abweicht und mal frei redet, kommen immer nur Wörter wie „Legislaturperiode“ und „gewährleisten“ und „Legitimationswirkung“ dabei heraus.

„Wir müssen Entscheidungen treffen, die uns in der Lage halten, der Ukraine weiter solidarisch zu helfen.“ Das ist in Wahrheit eine Ansage an die FDP, dass der Kanzler vorhat, die Schuldenbremse weiter auszusetzen. Kluge Sozialdemokraten würden ihren Vormann im Kampf gegen den ungeliebten Koalitionspartner da unterstützen. Aber die Ukraine ist offenbar für immer mehr Rote ein rotes Tuch.

Der Kanzler wirkt fahrig, übernächtigt, verspricht sich oft. Wäre es nicht Olaf Scholz, man könnte meinen, der Mann ist verunsichert. Vielleicht weil er weiß, dass er bei diesem Thema im Saal trotz allem Anfangsapplaus ziemlich allein ist?

Übergangslos springt Scholz von einem Thema zum nächsten. Zur Einwanderung wiederholt er das Mantra: Wir brauchen Arbeitsmigration. Hare, hare, rama, rama. Dass seit vielen Jahren keine Einwanderung in den Arbeitsmarkt stattfindet, sondern praktisch ausschließlich eine Einwanderung in unser Sozialsystem – das ist die grün-linke Lebenslüge. Scholz ergänzt sie: Künftig soll jeder, der will, schnell die deutsche Staatsbürgerschaft bekommen.

Dann springt er, wieder übergangslos, zu Israel. Und wieder erlebt man einen seltsam unsicheren Olaf Scholz, dem man anmerkt, dass er schon wieder ein schwieriges Thema anspricht: eines, bei dem er weiß, dass er nicht zu den Delegierten redet, sondern eher gegen sie anredet.

Den größten Applaus bekommt er, als er antimuslimische Äußerungen verurteilt. In Israel wird man sich sehr darüber freuen.

Dann hüpft Springteufel Scholz, wieder ohne jeden Übergang, zum Bundeshaushalt. Hier bleibt er seiner Linie treu und erwähnt mit keinem Wort, dass nun mal einfach Geld in der Kasse fehlt. Viel Geld. Unbeirrt erklärt er: „Es wird keinen Abbau des Sozialstaats geben.“ Dafür erntet er den längsten Applaus überhaupt.

Weil das für ihn so gut funktioniert, badet Olaf Scholz weiter im Sozi-Wohlfühlbecken. Oder anders: Er driftet ab ins ökonomische Wunderland. „Der Sozialstaat ist Grundlage des Wohlstands in Deutschland“, ruft er allen Ernstes. Da wird es dann doch schon sehr unernst. „Ein Tarifgehalt von unter 16 Euro die Stunde ist nicht in Ordnung“, ruft er weiter. Da jubelt das Parteivolk.

„Am meisten haben wir in dieser Legislaturperiode getan für Arbeitnehmer mit kleinem Einkommen“, sagt er. Das ist natürlich bizarr falsch: Mit Abstand am meisten hat die SPD getan für diejenigen, die gar nicht arbeiten. Doch der Kanzler verbreitet hier einfach Falschmeldungen: So behauptet er, Bürgergeld bekämen „diejenigen, die gerade mal keine Arbeit haben“. Das ist Rosstäuschung: Diejenigen, die gerade mal keine Arbeit haben, bekommen Arbeitslosengeld. Bürgergeld bekommen diejenigen, die lange – und allzu oft dauerhaft – nicht arbeiten.

Was Scholz nicht sagt: welche Unsummen an Steuergeld die SPD von arbeitenden Menschen an nicht arbeitende Menschen umverteilt.

Pflichtschuldig streift er kurz den Klimawandel („wenn wir den nicht stoppen, kann man auf diesem Planeten dann nicht mehr atmen“) und sagt völlig zusammenhanglos: „Wir haben Wachstumspotenziale in Deutschland. Wir müssen sie entfesseln.“

Zum Schluss behandelt er den sogenannten internationalen Rechtspopulismus. Da herrscht Totenstille im Saal. Das verstehen die Sozialdemokraten tatsächlich nicht: Wieso überall in der Welt die Wähler nach rechts wandern. Auch hier bleibt Scholz sich und dem roten Selbstverständnis treu: Eigene Fehler kommen bei ihm in der ganzen Rede nicht ein einziges Mal vor. Nur die anderen machen alles falsch. Weiter, immer weiter.

Dass es genau dieses starrsinnige, unbelehrbare Festhalten am eigenen Irrweg ist, der die Menschen von der SPD weg- und anderen Richtungen zutreibt: Davor verschließt die SPD fest die Augen. Man erinnert sich unwillkürlich an das große Einstein-Wort: „Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten.“

Stattdessen schwingt Olaf Scholz die moralische Großkeule: „Weil’s einem schlecht geht, darf man keine rechtsradikalen Ideen haben.“ Dafür gibt es lang anhaltenden Applaus. Das ist der einzige Moment, wo man den Eindruck hat, dass die Delegierten und der Kanzler wirklich auf einer Welle senden:

Als es darum geht, dass die SPD nichts anders machen will.

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