Lars Klingbeil war das Gehirn des SPD-Wahlkampfes 2021. In der Partei ist klar, dass der überraschende Sieg der Sozialdemokraten auch auf sein Konto geht. Die Spekulationen über die Beute, mit welcher der Generalsekretär nach der gewonnenen Schlacht entlohnt werden soll, hat neuen Zündstoff erhalten, seitdem Norbert Walter-Borjans nicht mehr im Rennen um die Parteispitze ist. Für Aufsehen sorgte eine Äußerung des Niedersachsen am Mittwoch. „Es ehrt mich sehr, dass mein Name für die Aufgabe des SPD-Vorsitzenden genannt wird“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. „Der Vorsitz ist ein sehr wichtiges, traditionsträchtiges und reizvolles Amt, in dem man viel bewegen kann.“ Das deuteten die Medien als subtiles Bewerbungsschreiben.
Die Wende überrascht. Denn eigentlich dürfte sich Klingbeil eher ein Ministeramt wünschen. Die Ambitionen werden ihm länger nachgesagt. Klingbeil wurde in Soltau geboren, nicht weit vom Bundeswehrstützpunkt in Munster entfernt, sein Vater war Soldat. Nach einer linksradikalen Jugend – Klingbeil war nach eigenen Angaben in der Antifa – machte er während seines Studiums eine realpolitische Wende durch, weil er bei einem Praktikum 2001 die Anschläge in den USA miterlebte. Er suchte den Kontakt zu Gerhard Schröder, in dessen Wahlbüro er arbeitete, und mit dem er bis heute ein gutes Verhältnis unterhält. Zuletzt lud der Zögling den Altkanzler am 15. September zu einem Gespräch nach Walsrode.
Heute gehört Klingbeil zum Seeheimer Kreis, und damit zu den eher moderaten Kräften innerhalb der deutschen Sozialdemokratie. Die Verbindung zu Munster begründen auch Klingbeils Verbindung zur Bundeswehr. Dass der traditionell tiefschwarze Wahlkreis Rotenburg I – Heidekreis den Sozialdemokraten seit 2013 direkt in den Bundestag wählt, ist der Beweis, dass Klingbeil als vertrauenswürdig genug gilt, die Interessen des Standorts zu vertreten. In der Vergangenheit war er Mitglied im Förderkreis Deutsches Heer, bis 2017 saß er im Präsidium der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik. Auf die Aussage, dass er sich auch mit Vertretern von Rheinmetall getroffen habe, antwortete er der Taz, dass er sich nicht daran erinnern könne. Die Linken sehen ihn als Rüstungslobbyisten. Zusätzlich setzt er sich für den Drohneneinsatz ein – ein höchst umstrittenes Thema in den eigenen Reihen.
Ein Co-Vorsitzender Klingbeil wäre zugleich eine klare Rückenstärkung für einen Kanzler Scholz. Die SPD signalisierte mit ihrer Wahl zugleich, wie sehr sie den neuen Regierungschef an die Leine nehmen – oder Freiheiten gewähren möchte. Klingbeil gilt als Pragmatiker. Und die Bindungen zu Scholz sind eng. Es wäre demnach auch ein Vertrauensvotum. Die Frage bleibt, inwiefern die Parteilinke eine solche Kurskorrektur Richtung Mitte-links tolerieren würde. Vielleicht könnte ein Kompromiss so aussehen, dass Klingbeil zum Co-Vorsitzenden aufsteigt und Kevin Kühnert als Generalsekretär nachrückt, um das strategische Gleichgewicht zu wahren. Kühnert hat definitiv Ambitionen auf den roten Chefsessel – doch wie so häufig, könnte der strategisch denkende Berliner den Niedersachsen gewähren lassen und einen günstigeren Zeitpunkt abwarten. Der Posten des Generalsekretärs ist der eines politischen Wadenbeißers. Kühnert könnte nicht nur Richtung Opposition – sondern auch gegen Scholz kläffen. Klingbeil wäre dann später dran.