Tichys Einblick
Nach den Wahlen

Die SPD kämpft gegen ihre eigenen Wähler

Nancy Faeser bleibt trotz ihrer peinlichen Niederlage in Hessen Bundesinnenministerin. Keine steht wie sie für die SPD 2023. Deren ehemaligen Wählern hat sie den Kampf erklärt.

IMAGO / Jan Huebner

Nancy Faeser hat den hessischen Wahlkampf im Dezember eröffnet. Bei Maischberger. Im ARD-Talk erklärte sie auch, die Mitte der Gesellschaft sei anschlussfähig für Rechtsextremismus. Die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung geht in ihren Studien davon aus, rechtsextrem sei schon, wer den Begriff „Ausländer“ verwendet.

Der „Kampf gegen Rechts“ ist zum Kernanliegen der SPD geworden. Besonders Innenministerin Nancy Faeser stellt ihn in die Mitte ihrer Arbeit. 1972 gewann die Partei indes bundesweit hinter ihrem Spitzenkandidaten Willy Brandt 45,8 Prozent der Stimmen. Die SPD und ihre Wähler standen in der Mitte der Gesellschaft. Heute hält die SPD diese Mitte für rechts – und hat sich den Kampf gegen Rechts zum wichtigsten Ziel gesetzt. Die SPD kämpft heute also gegen ihre eigenen Wähler. Dazu passt, dass die AfD in Hessen von keiner anderen Partei so viele Stimmen abgeworben hat wie von der SPD.

364 Tage im Jahr sind die einstigen Wähler der Feind von Nancy Faeser und der SPD, am Wahltag sollen sie das vergessen und ihre Stimme eben dieser SPD schenken. Es mag Sozialdemokraten überraschen, rational denkende Menschen indes nicht: Das funktioniert nicht. In Bayern ist die SPD auf 8,4 Prozent zurückgefallen. Eine Splitterpartei. Ihr Spitzenkandidat Florian von Brunn hat in der Bundespressekonferenz kurz gesprochen. Von ihm etwas wissen wollte keiner der Journalisten. Er verschwindet jetzt wieder im Nirwana der Unbekanntheit.

In Hessen holte die SPD immerhin 15,1 Prozent und wurde drittstärkste Partei. Trotzdem wiegt diese Niederlage schwerer als die in Bayern. Die Sozialdemokraten dort gelten schon lange als Sektierer, fernab von jeder Regierungserfahrung. Hessen aber war einst die westdeutsche Hochburg der SPD. Kassel hätten die Sozialdemokraten sogar dann gewonnen, wenn sie dort einen Kotbeutel zur Wahl gestellt hätten.

52 von 55 Wahlkreisen hat die CDU 2023 in Hessen gewonnen. Die drei anderen die Grünen. Darunter auch Kassel Stadt. Die Hochburg ist geschleift. Die hessische SPD verzwergt sich unter Nancy Faeser. Die Innenministerin hat der vermeintlich anschlussfähigen Mitte der Gesellschaft den Kampf erklärt – die Mitte hat ihn angenommen und weigert sich folglich, die Partei zu wählen, die sie zum Gegner erklärt hat. Logik ist eine harte Mutter.

Nach der Wahl beklagen sich Sozialdemokraten nun, ihre Themen hätten im Wahlkampf keine Rolle gespielt. Das wäre eine gute Erklärung für die Niederlage. Wenn sie denn stimmen würde. Nur ist das Gegenteil richtig. Die SPD hat den Kampf gegen Rechts zu ihrem Thema gemacht. Aber: Wenn ich den Kampf gegen die AfD in den Mittelpunkt des Interesses stelle, dann steht die AfD im Mittelpunkt des Interesses. Logik ist eine harte Mutter.

Beispielhaft ist der Bundestagsabgeordnete Sebastian Roloff. Er klagt auf Twitter: „Wir müssen dringend aufarbeiten, warum wie mit unseren Themen nicht durchgedrungen sind. Die Zuspitzung auf populistische Inhalte hat uns jedenfalls nicht geholfen.“ Nur: Wer hat denn diese populistischen Inhalte zum Thema gemacht? Roloff gehört zu den Sozialdemokraten, die landauf und landab ziehen, um gegen „Hass und Hetze“ oder „die Verrohung der Sprache“ zu „kämpfen“. In seinem Twitter-Profil schreibt er dann als Leitmotto: „f..k die AfD“. Die Punkte sind von TE eingefügt, Roloff schreibt sie aus.

Dass ein Politiker unglaubwürdig wirkt, der gegen die Verrohung der Sprache kämpft, aber schon in seinem Profil mit ordinären Worten um sich wirft – auf diese Idee kommt jemand wie Sebastian Roloff nicht. Dass der Wähler sich für so jemand nicht entscheidet, versteht Roloff nicht. Nicht, wenn die SPD bei 9,7 Prozent steht, nicht bei 8,4 Prozent und selbst wenn die SPD in Bayern auf 4,9 Prozent rutscht, wird Sebastian Roloff vermutlich noch denken, er mache alles richtig, nur die Mitte der Gesellschaft sei halt rechtsextrem.

Nancy Faeser hat zwei Vereinsverbote und zwei Razzien inszeniert, als in Hessen die Wahlen schon liefen. Öffentlich-Rechtliche wie der RBB haben darüber berichtet, als wäre sie eine Drachentöterin, die das Volk vor einer schweren Gefahr bewahrt habe. Doch die beiden Vereine hatten zusammen keine 300 Mitglieder. Die allermeisten Deutschen dürften von diesen Vereinen vor den Razzien nichts gehört – und die Namen schon wieder vergessen haben. Die Wähler haben Faeser daher weniger als Retterin wahrgenommen – sondern eher als eine Ministerin, die ihr Amt zu Zwecken des Wahlkampfs missbraucht hat.

Vor der Bundespressekonferenz beklagt sich Faeser nun, mit ihren Themen nicht durchgedrungen zu sein. Als Beispiel nennt sie eine kaum wahrgenommene Veranstaltung, in der sie sich für höhere Löhne am Bau ausgesprochen hat. Die Baubranche bricht gerade zusammen: Preise und Zinsen sind zu hoch, es mangelt an Arbeitern und Material, Verwaltung und Auflagen erdrücken jedes Baugeschehen. Doch das sollten die Journalisten wegdrücken. Wenn es nach Nancy Faeser gegangen wäre, hätten sie darüber berichtet, dass es am Bau darum geht, dass Nancy Faeser sich höhere Gehälter für die Arbeiter wünscht.

Jetzt ließe diese in der Bundespressekonferenz vorgetragene Klage auf eines schließen: Nancy Faeser sei dumm. Doch das stimmt nicht. Niemand wird Innenminister, der dumm ist. Hinter Faesers Forderung steht eine linke Vorstellung von Medien. Die sollen nicht nach der Relevanz der Realität berichten – sondern nach der Relevanz der politischen Eliten. Wenn Nancy Faeser höhere Gehälter am Bau fordert, dann soll es in der Berichterstattung über die Baubranche um Faesers Forderung gehen.

Die Aktuelle Kamera hat genau so funktioniert. Noch im Juni 1989 hat sie die Republik-Flüchtlinge in Prag und in Ungarn ignoriert. Stattdessen meldete sie eine Übererfüllung des Plans nach der anderen. Und die Zuschauer erfuhren ganz genau, welcher Apparatschik welchen Termin wahrgenommen hat. Das funktioniert unter einer linken Regierung – dass man Journalismus so organisiert. Doch es funktioniert nicht gesellschaftlich. Wie DDR und Aktuelle Kamera geendet sind, ist hinlänglich bekannt.

Kaum ein anderer ist so sehr SPD 2023 wie Nancy Faeser. Ihr Vater war schon Politiker: Erst Bürgermeister, dann ließ er sich mit dem gut bezahlten Job eines Direktors im Planungsverband Rhein-Main versorgen. Faesers Vater war ein Mensch, den sein Leben in politische Ämter gebracht hat – Nancy Faeser ist ein Mensch, deren Leben darauf ausgerichtet war, politische Ämter zu erreichen: Jusos, sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaften, 18 Jahre Abgeordnete im Landtag, Schattenministerin im Land, Innenministerin im Bund – Faesers Zuhause ist die politische Käseglocke.

Das Leben der Wähler ist für Faeser nur etwas, das die Wähler noch anschlussfähiger für Rechtsextremismus macht: Der Heizhammer enteignet faktisch Hausbesitzer? Unkontrollierte Einwanderung gefährdet die Sicherheit auf Straßen, Bahnhöfen und in Parks? Klimakleber halten Arbeitnehmer auf deren Weg zur Arbeit auf? Islamische Radikale feiern in Deutschland die Vergewaltigung und den Mord an jüdischen Menschen, ja sogar die Schändung von deren Leichen? Faeser gehört zu den Sozialdemokraten, die für so etwas von Mitarbeitern formulierte Worte des Mitleids runterrattern, um dann die Hauptsorge auszusprechen: dass das den politisch Rechten nicht nutzen dürfe.

In dieser verengten Sicht auf die Welt erklärt Faeser der Bundespressekonferenz: „Ich habe viel erreicht.“ Das glaubt sie wirklich. Weil sie zwei Vereine verboten hat, die kaum einer kennt und die zusammen keine 300 Mitglieder haben. Faeser wird die illegale Einwanderung nicht stoppen. Islamische Rechtsextremisten wie die der Grauen Wölfe nicht bekämpfen. Die Attentäter von AfD-Chef Tino Chrupalla nicht ernsthaft verfolgen. Das sind für Faeser Forderungen der Mitte und die ist anschlussfähig für Rechtsextremismus und der Kampf gegen diesen Rechtsextremismus der Mitte bleibt das wichtigste Ziel von Faeser und der SPD. Nur haben Faeser und die SPD ein Problem: Diese Mitte hat das erkannt und wählt daher die SPD einfach nicht mehr.

Ach so: Im Übrigen bleibt Nancy Faeser trotz der peinlichen Niederlage Innenministerin. Aber das wussten TE-Leser schon vorher:

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