40 Jahre Franco-Diktatur und ein seit jeher starker Einfluss der katholischen Kirche in Spanien haben die Gesellschaft gezeichnet, auch die Beziehungen zwischen Mann und Frau. Sie basieren vielfach immer noch auf Macht und Kontrolle sowie einer falschen Moral. Paare und Familien machen alles zusammen, weil dem anderen nicht vertraut wird. Zwang wird mit Liebe verwechselt, Abhängigkeit zeichnet viele Beziehungen aus.
Aufgerüttelt wurde die spanische Gesellschaft jedoch, als im vergangenen Jahr eine Studie ergab, dass 27 Prozent der Jugendlichen zwischen 14 und 17 Jahren denkt, dass Gewalt in partnerschaftlichen Beziehungen normal ist. „Es war klar, dass wir die falschen Signale geben in der Erziehung“, sagt die Feministin und Buchautorin María Reimóndez Meilán. Sie glaubt, dass fast jede Frau in Spanien „irgendwann von ihrem Chef an den Hintern gefasst wurde. Aber das wird als Kavaliersdelikt hingenommen“. Damit sich das ändert, sind die Spanierinnen am 8. März massiv auf die Straβe geganen, darunter auch Tausende Journalistinnen.
Gewalt gegen Frauen auf der Arbeit ist ein Tabu
Niemand hatte vorher mit so einer Reaktion gerechnet. Frauen aller Berufe und politischen Überzeugungen streikten an diesem Tag und demonstrierten abends in Barcelona, Valencia und Madrid für mehr Gleichberechtigung, vor allem bei den Gehältern. Damit wurde thematisiert, was so lange hingenommen oder verschwiegen wurde. „Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist ein Tabu in Spanien“, glaubt Reimóndez Meilán. Gewalt gegen Frauen in Partnerschaften wird dagegen fast schon überthematisiert in den spanischen Medien, wobei die Rollen ganz klar verteilt sind: der Mann ist der Böse, die Frau die Schwache. In Wirklichkeit rangiert Spanien jedoch in der europäischen partnerschaftlichen Gewalt-Statistik im Mittelfeld. Die Zahl der Toten ist in 2017 von 60 in 2015 auf 44 geschrumpft. Die nordeuropäischen Länder, die bei Gleichberechtigung viel mehr erreicht haben als Spanien, weisen widersprüchlicher Weise mehr Todesfälle auf.
Die Büchse der Pandora, das spanische Metoo
Metoo kam für Spanien deswegen wie gerufen. Das Land leidet unter verkrusteten Arbeits- und Lebensstrukturen. Die Trennung zwischen Beruf und Privatleben existiert in Spanien nicht. Es wird schnell geduzt, der Chef geht mit den Angestellten essen, der Umgang ist eher zu herzlich. Vetternwirtschaft ist an der Tagesordnung, aber Probleme werden häufig nicht verbalisiert, auch in der Familie herrscht mehr Schein als Sein.
Das spanische Baby von Metoo, „la caja de Pandora“ (die Büchse der Pandora), soll dabei helfen, die Rolle der Frau in Spanien zu ändern. Die rund 3.000 Anhängerinnen wollen in den kommenden Monaten Spanierinnen ermutigen, den Mund aufzumachen und über ihre Missbrauchs-Erfahrungen am Arbeitsplatz zu reden. Mit-Initatorin Susana Blas warnt aber, dass es ein langer Prozess sein wird: „Wir suchen nicht die Schlagzeilen, wir wollen wirklich langfristig etwas verändern für Frauen in diesem Land.“ Bisher handelt es sich dabei jedoch vor allem um eine Bewegung unter Künstlern und Schauspielern.
Die spanische Königin ist kein gutes Vorbild
„Wenn sich in Spanien wirklich etwas ändern soll, dann muss sich vor allem die Frau ändern, in all ihren Rollen: als Partnerin, Mutter, Angestellte, Unternehmerin. Sie muss ihre Lebenseinstellung ändern“, sagt die 69jährige Francis Guijarro, die vier Kinder hat und unter anderem als Modedesignerin und Gastronomin gearbeitet hat, auch schon in der Diktatur unter Franco. Sie selber hat sich zwei Mal scheiden lassen, „weil ich es mir wirtschaftlich leisten konnte. Ich wollte arbeiten und nicht nur gefallen“. Wer in Spanien den Fernseher einschaltet oder in den Zeitschriften blättert, gewinnt allerdings den Eindruck, dass Frauen vor allem eins interessiert: schön sein.
„Leider fährt die Königin auf der gleichen Schiene. Sie hätte als ehemalige Fernsehjournalistin sicher einiges zu erzählen, aber Letizia fällt in die klassische Frauenrolle“, sagt Ignacio Sánchez-León. Er hat das Buch geschrieben „La moral inmoral: cuestión de ética española“, in dem er den starken Einfluss der katholischen Kirche auf das Frauenbild kritisiert. Letizia ging für ihr perfektes Aussehen, sogar schon mehrfach unters Messer und „die spanischen Medien, vielleicht der schlimmste Feind der Frau, sprechen nur darüber, was sie trägt, statt zu berichten, was die Königin macht oder sagt“, kritisiert Sánchez-León.
Spaniens nächste Revolution wird die der Frau sein
Viele sehen in der Fokussierung der spanischen Medien auf Gewalt in der Ehe ein künstlich aufgeblasenes Problem, was viele andere Ungerechtigkeiten verschleiert, zum Beispiel sexuelle Belästigung durch Vorgesetzte, die geringe Präsenz von Frauen in Unternehmensvorständen oder Wissenschaftsgremien und die Tatsache, dass es für alleinerziehende Mütter keine staatliche Unterstützung gibt: weder Kinder- noch Erziehungsgeld. Selbst eine Sozialhilfe wie Hartz IV gibt es nicht in Spanien. „Die spanischen Frauen müssen nicht nur finanziell unabhängiger werden, sondern auch unabhängiger von den gängigen Gesellschaftsmodellen. Die Ehe ist kein sicherer Hafen mehr für eine Frau. Sie braucht ihren eigenen Job, aber auch mehr Mut, öffentlich ihre Meinung zu behaupten und gleichberechtigt aufzutreten“, sagt Sánchez-León, der selber eine Tochter hat.
Noch sind die Stimmen der neuen Revoluzzerinnen leise, aber es werden immer mehr, wie die Demo am 8. März zeigte. „Damit jedoch aus dieser Bewegungen Veränderungen hervorgehen, müssen wir alle viel mehr an einem Strang ziehen und über unser Leben insgesamt nachdenken, nicht nur über unsere Rolle als Frau“, sagt die 49jährige Beatriz Bernat aus Madrid. Gebildete Frauen wie sie werden animiert von Feministinnen wie Ana de Miguel Álvarez, die bei einer Preisverleihung im Oktober 2017 gesteht: „Ich bin als junges Mädchen sexuell belästigt worden.“ Sie wurde wiederum durch die Schauspielerin Leticia Dolera inspiriert, die wenige Tage zuvor in einem öffentlichen Diskurs auch ihre Erfahrungen von sexuellem Missbrauch kundgetan hat. In Spanien fallen die Dominos langsamer, aber sie fallen. Die Zeit für die Machos ist ausgelaufen. Aber Bernat wart: „Nur, wenn Frau in allen Rollen mitzieht und aufhört, nur zu gefallen. Das Leben mit einem Mann als Chef, Vater oder Partner darf nicht unser leben bestimmen. Wir müssen unser Schicksal selber in die Hand nehmen und unabhängiger werden, nicht nur finanziell, sondern auch davon, was andere von uns denken.“