Tichys Einblick
Um Richtung und Macht geht es

Spaltung oder Abseits: Die AfD in der Zerreißprobe

Mit dem Parteiausschluss von Andreas Kalbitz wegen seiner verschwiegenen Neonazi-Vergangenheit hat AfD-Chef Meuthen einen Punktsieg gegen die Radikalen errungen, doch die schlagen zurück. Es geht um die Existenz.

imago images / Ralph Peters

In der AfD brennt es lichterloh. Die 2013 gegründete Partei ist bislang die einzige Parteineugründung rechts der Union seit 1949, die es in alle Landesparlamente und den Bundestag geschafft hat. In sieben Jahren hat sie einen erstaunlichen Aufschwung geschafft, der nun aber vorbei sein könnte. Es geht nicht darum, ob sie in Umfragen etwas abnimmt. Jetzt geht es um die Existenz.

Gegründet aus Protest gegen die Eurorettungspolitik, dann beflügelt durch den Widerstand gegen Merkels Politik der unkontrollierten Massenimmigration 2015, hat die Partei die politische Landschaft Deutschlands verändert. Teile des konservativen Bürgertums haben sich von der nach links gedrifteten Merkel-Union abgewandt und blickten mit gewisser Hoffnung darauf, dass mit der AfD eine Gegenkraft zum grün-rot dominierten Zeitgeist der Post-68er entsteht. Die linke Hälfte der Republik und auch große Teile der unionsnahen Medien schäumen Gift und Galle gegen die „Rechtspopulisten“. Trotz innerer Spannungen und mancher Krisen hielt sich die AfD in Umfragen stabil zweistellig, auch wenn sie in der Corona-Krise etwas nachgelassen hat.

Eigentlich bietet die Merkel-Regierung immer wieder gute Angriffsflächen für Kritik von rechts, etwa jetzt mit der abrupten Kehrtwende Merkels, die also doch gemeinsam mit Frankreichs Präsident Macron gemeinsame Anleihen – vulgo Eurobonds – für einen europäischen Corona-Fonds von 500 Milliarden Euro vorgeschlagen hat.

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Doch die AfD ist komplett mit sich selbst beschäftigt, ihre inneren Widersprüche könnten sie zerreißen. Ein Teil der Partei, der sich um den (nun offiziell aufgelösten) „Flügel“ schart und besonders im Osten stark ist, zieht die Partei immer weiter nach rechts und überschreitet dabei auch rote Linien zum Rechtsextremismus. „Flügel“-Leute haben dem Verfassungsschutz damit genug Anhaltspunkte geliefert, dass er ihn als „Beobachtungsfall“ öffentlich brandmarkt und nun geheimdienstlich überwacht. Über diesem Teil der Partei (bislang noch nicht der Gesamtpartei) schwebt nun das Stigma der „Verfassungsfeindlichkeit“. SPD-Politiker wie der vor kurzem zurückgetretene Johannes Kahrs diffamierten die AfD sogar als „politischer Arm des Rechtsterrorismus“. Auch wenn man erkennt, dass der Verfassungsschutz von den etablierten Parteien schon mehrfach missbraucht und instrumentalisiert wurde, hat die Beobachtung massiv negative Folgen für die AfD. Sie droht nach und nach in eine politische Randexistenz zu rutschen, weil das Bürgertum abgeschreckt wird und die Partei von Gestalten aus dem rechtsextremen Milieu unterwandert wird. Die Ächtungsstrategie der etablierten Parteien scheint aufzugehen. 

Am Freitagabend hat nun der Bundesvorstand (eher überraschend) die Mitgliedschaft von Andreas Kalbitz, dem bisherigen brandenburgischen Landeschef, annulliert, weil Kalbitz beim Parteieintritt 2013 verschwiegen hat, dass er Mitglied des 2009 verbotenen Neonazi-Vereins „Heimattreue Deutsche Jugend“ (HDJ) war, einer Vorfeldorganisation der NPD. Der Beschluss ist ein – verspäteter – Versuch der Selbstreinigung. Es war ein Schlag, den Parteichef Jörg Meuthen unter hohem Risiko ausführte. Der Schlag glückte, wenn auch nur mit knapper Mehrheit von sieben zu zwei Stimmen. Die Angst vor der VS-Beobachtung hat offenbar bei einigen zu einem Umdenken geführt. Verschiedene Zeitungen wie die Welt schrieben von einem Sieg Meuthens. Der Rauswurf Kalbitz’ habe hohen Symbolwert. Der Bundessprecher sei offenbar stärker als gedacht. „Meuthen, kein Zweifel, ist nicht so schwach, wie manche behaupten. Und er ist beim Vorgehen gegen bestimmte harte Extremisten auch nicht feige“, schrieb Matthias Kammann in der Welt. 

Seitdem schlägt jedoch der „Flügel“ zurück. Kalbitz‘ Freund Björn Höcke aus Thüringen wettert von „Verrat“. Es ist eine klare Kampfansage gegen Meuthen. Auch Partei-Mitgründer Alexander Gauland, nach wie vor die graue Eminenz für große Teile der Partei, sowie seine Co-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel wandten sich gegen den Parteiausschluss von Kalbitz. Dieser war und ist der Strippenzieher und Organisator des „Flügels“, er dirigierte die Truppen des rechtsradikalen Netzwerkes auf Parteitagen. Seine Brandenburger Fraktion hält zu ihm; Kalbitz kann als Parteiloser weiterhin Mitglied in ihren Reihen sein, den Vorsitz lässt er aber vorläufig ruhen.

Meuthen reagierte kühl auf Höckes Tiraden mit einem langen Satz: „Ein Landesvorsitzender, der erst vor wenigen Wochen wörtlich ankündigte, ihm missliebige Mitglieder aus der Partei ‚ausschwitzen‘ zu wollen und der freiheitlich-marktwirtschaftlich und bürgerlich-konservativ gesonnenen Mitgliedern wiederholt den Wechsel zu anderen Parteien anrät, sollte vielleicht eher sein eigenes Verhalten hinterfragen, als der Mehrheit des Bundesvorstandes ‚Verrat an der Partei‘ und Spaltung vorzuwerfen, wenn sie einen satzungsgemäßen Beschluss fassen, eine Parteimitgliedschaft wegen des Verschweigens einer Vormitgliedschaft in einer rechtsextremen Organisation zu annullieren.“

In der Mitgliedschaft grummelt es. Viele wollen nicht verstehen, dass ein Ausschluss von Kalbitz zwingend nötig war. Von „Distanzeritis“ ist die Rede. Co-Parteichef Timo Chrupalla sagt, man müsse auch Kalbitz‘ Verdienste beim Aufbau der Partei und als erfolgreicher Wahlkämpfer berücksichtigen. Sie alle übersehen, dass die Partei mit Leuten wie Kalbitz immer näher am Abgrund wandelt und in Richtung einer NPD 2.0 abzurutschen droht.

Genüsslich lässt sich Bayerns Ministerpräsident, CSU-Chef Markus Söder, mit den Worten zitieren, die AfD sei nur noch eine „Ruine“, nachdem Kalbitz in Brandenburg und anderswo Rückendeckung erhält.

Von Alexander Mitsch
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Aber selbst in politisch rechtskonservativen Kreisen, die der AfD wohlgesonnen sind, ist die Sorge inzwischen groß, dass die AfD scheitert, weil sie nach und nach die Verankerung im bürgerlich-gemäßigten Lager verliert. In der Jungen Freiheit hat Chefredakteur Dieter Stein den Ausschluss von Kalbitz als „überfälligen Befreiungsschlag“ bezeichnet. Er warnt die Partei: „Die systematische Ächtungsstrategie, die sowohl von den übrigen etablierten Parteien als auch vielen Medien gegen die AfD gefahren wird, hat in den vergangenen Jahren zu einem stetigen Aderlass gemäßigter Funktionäre und Mitglieder geführt. Politisch existenzbedrohend wurde dieser Trend zuletzt durch die sich zuspitzende Gefahr der Beobachtung und Einordnung der AfD als rechtsextremer Verdachtsfall.“ Die JF ist für die AfD nicht irgendeine Zeitung, sie ist so gut vernetzt und steht ihr ideell so nahe wie kein anderes Medium. Parteigründer Gauland sagte einmal: „Wer die AfD verstehen will, muss die ‚Junge Freiheit‘ lesen.“

Kalbitz selbst darf man die Pose des verfolgten Unschuldslamms, die er nun einnimmt, auf keinen Fall abnehmen. Er hat den „Mut zur Wahrheit“ nicht gefunden und seine langjährigen Aktivitäten als Mitt-Dreißiger in der NPD-nahen „Heimattreuen Deutschen Jugend“ verschwiegen. Nun Solidarität einzufordern ist heuchlerisch.

Wenn der Streit weiter eskaliert, ist eine Spaltung der Partei nicht mehr ausgeschlossen, von der Parteichef Meuthen im TE-Interview sprach, für das er parteiintern viel Prügel einstecken musste. Sie würde im Osten in die Hand der Flügel-Leute fallen, die sie zu einer radikalisierten „Lega Ost“ umformen, wobei im Osten aber nur weniger als ein Fünftel der Bevölkerung Deutschlands lebt. Wahlen werden im Westen gewonnen, dort leben mehr als 80 Prozent der Wähler. Im Westen haben in der Mehrzahl der AfD-Landesverbände noch eher gemäßigte Funktionäre die Führung inne, obwohl auch dort starke radikale (Flieh-)Kräfte wirken. Die nächsten Wochen werden zeigen, ob die AfD fähig ist, das Ruder noch einmal herumzureißen und das Abrutschen ins Abseits zu stoppen. 

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