Dass eine Regierung vom Glück verlassen wird, oder sogar gleich zu Anfang auf ein so abschüssiges Gleis gerät, dass anschließend nichts mehr so recht gelingt, kommt in den besten Demokratien vor. So scheint sich die Labour-Regierung in Großbritannien unter Keir Starmer schon nach rund drei Monaten auf einem solchen Pfad zu bewegen. Deutschland und seine jetzige Regierung sind da also nicht unbedingt ein völliger Sonderfall.
Allerdings kann man sich des starken Eindrucks nicht erwehren, dass der katastrophale Zustand, in dem sich die Regierung hier, aber auch das ganze Land befinden, nicht nur auf widrige Umstände, wie etwa den Ausbruch des Krieges im Osten Europas zurückzuführen ist. Die Politik, die man verfolgte, war von Anfang an im besten Fall weltfremd, im schlimmsten Fall aber durch eine vollständige Gleichgültigkeit gegenüber den elementaren Interessen Deutschlands gekennzeichnet. Es ging vor allem den Grünen, aber im Kern auch der SPD darum, die Welt zu retten sowie den Mühseligen und Beladenen aus aller Herren Länder zu helfen; was dabei aus Deutschland wurde, war ihnen eigentlich egal.
Allerdings – und man kann das natürlich als ein großes Defizit der Demokratie an sich betrachten – lassen sich mit einem solchen Programm, gerade in Zeiten, in denen viele Bürger das Gefühl haben, sie würden einen allzu hohen Preis für eine solche hochherzig moralische Politik bezahlen, Wahlen dann doch nicht gar so leicht gewinnen. Also muss man sich etwas anderes ausdenken.
Die SPD setzt jetzt auf Populismus pur
Hier zeigt zumindest die SPD einen eindrucksvollen Einfallsreichtum. Sie hat sich entschieden, gewissermaßen kompensatorisch zur leidenschaftlichen Fernstenliebe, die sonst die Politik der Regierung kennzeichnet, an die edelsten Gefühle der Wähler, materielles Wunschdenken und Neid zu appellieren. Sie präsentiert eine Rentenpolitik, die zwar für die nächsten 10 bis 15 Jahre eine halbwegs stabile Absicherung verspricht, aber danach den ohnehin drohenden Zusammenbruch des Rentensystems nur noch beschleunigen wird. Aber gut, wenn man nichts mehr zu verlieren hat, und das hat die SPD sicher nicht, sollte man Wahlgeschenke grundsätzlich ohne Rücksicht auf die Kosten verteilen, nach dem Motto „Viel hilft Viel“.
Aber im wirtschaftlichen Programm der SPD ist wohl für die mittelständischen Unternehmen, einst die eigentliche Stärke Deutschlands, ohnehin nicht mehr viel Platz; man setzt eher auf zentrale staatliche Lenkung der Wirtschaft und auf umfassende Subventionen, so wie die EU es ja auch immer mehr tut, und kehrt damit immerhin traditionsbewusst zu den Anfängen der SPD nach dem Krieg zurück. Das muss man anerkennen. Um ein solches Programm durchzusetzen, müsste man freilich auf eine klare linke Mehrheit im Bundestag nach der nächsten Wahl hoffen, zur Not unter Einbeziehung des BSW.
Das ist eine gewagte Wette. Andererseits hat die CDU nach 2005 in der Großen Koalition auch weitgehend SPD-Politik gemacht, warum sollte sich das nicht wiederholen, namentlich dann, wenn Merz bei der Wahl eine – und sei es relative – Niederlage erleidet und deshalb zu Fall kommt, was durchaus vorstellbar ist. Von Seiten eines Herrn Wüst ist kaum mit Widerstand zu rechnen.
Für die Grünen ist die Umerziehung der Wähler die Lösung aller Probleme
Wie die Grünen sich im Wahlkampf präsentieren werden, ist bislang weniger klar. Im Vordergrund wird sicherlich der umfassende „Kampf gegen Rechts“ stehen, denn wer vor der AfD panische Angst hat, dem werden die Grünen oft als das beste Bollwerk gegen diese Gefahr erscheinen. Außerdem wird man eine immer weitere Ausweitung der Kompetenzen der EU verlangen, wohl wissend, dass man auf dem Umweg über Brüssel auch sehr unpopuläre Maßnahmen am Wähler vorbei anstandslos durchsetzen kann. Das macht ja die große Stärke der EU aus, sie ist ein Demokratieüberwindungsprogramm von großer Effizienz, und verkörpert aus grüner Sicht schon deshalb den Fortschritt schlechthin.
Man hat freilich dennoch den Eindruck, dass Habeck die Option einer Koalition mit der CDU grundsätzlich offenhalten will, wohl auch, weil zu deutlich geworden ist, dass die Alternative dazu leicht der Gang in die Opposition sein könnte. Aber die Fraktion in Berlin und auch die Partei selbst wird eher von den Hardlinern dominiert. Wenn die bisherige Politik bislang ganz oder teilweise an der Realität gescheitert ist – umso schlimmer für die Realität. Ein Nachgeben kommt nicht in Frage, weder in der überambitionierten und in ihren fiskalischen und wirtschaftlichen Effekten nicht durchdachten Energiepolitik noch bei der grundsätzlichen Ablehnung irgendeiner Form von Kontrolle oder Lenkung von Migration, oder auch bei der Bevorzugung von Minderheiten jeder Art durch eine Politik der umfassenden positiven Diskriminierung.
Wenn die Mehrheit der Wähler das nicht goutiert, müssen diese Wähler eben umerzogen werden, und wenn manche sich im Widerstand gegen grüne Politik radikalisieren – umso besser, weil man dann, wie man meint, die Partei, in der diese Radikalität ihren stärksten Ausdruck findet, einfach verbieten kann. So weit sind wir zwar noch nicht, aber immerhin kann man missliebige Äußerungen und jede Form von „wrong think“ im Internet bekämpfen. Damit beauftragt man einfach nicht-staatliche Organisationen, indem man ihnen faktisch staatliche Hoheitsrechte zuweist, oder sie, wie es juristisch heißt, damit beleiht.
Wie steht es um die FDP und die CDU?
Spätestens an dieser Stelle müsste eigentlich die dritte Partei, die angeblich noch zur Ampelregierung gehört, auf den Plan treten, um die Freiheit zu verteidigen. Wie hieß sie doch gleich? Hm, nicht leicht, sich daran zu erinnern. Ach ja, FDP hieß sie. Aber die Rechnung der FDP ist nicht aufgegangen.
Man setzte darauf, dass man innerhalb der Regierung Opposition spielen könne, ohne sich dabei in den zentralen Punkten – mit Ausnahme vielleicht möglicher Steuererhöhungen – dem politischen Programm von SPD und Grünen mehr als nur halbherzig zu widersetzen, weder bei der Einschränkung der Meinungsfreiheit, noch in der Migrationspolitik, noch in der Energie- und Wirtschaftspolitik. Diese Taktik ist gescheitert. Eine letzte Chance bestünde vielleicht noch darin, gegen Jahresende aus der Regierung auszutreten, in der Hoffnung, dass Scholz dann keine Neuwahlen herbeiführen würde, sondern es vorzöge, sich als Chef einer Minderheitsregierung bis zum regulären Wahltermin durchzuhangeln.
Wenn man sich das Bild, dass die Regierungsparteien und die Regierung selbst, die im Grunde genommen völlig handlungsunfähig geworden ist, ansieht, könnte man meinen, dass die CDU im Wahlkampf mehr oder weniger freie Fahrt haben wird. Aber das ist ersichtlich nicht der Fall. Zum einen kann der Populismus der SPD bei einem Teil der Wählerschaft durchaus verfangen, namentlich, wenn Scholz dann noch zusätzlich die Friedenskarte ausspielt und sich von der Unterstützung für die Ukraine kurz vor den Wahlen öffentlich distanziert.
Zum anderen hat die CDU noch unter Merkel das Vertrauen vieler eher konservativ denkender Wähler dauerhaft verloren. Merz ist es nicht wirklich gelungen, dieses Vertrauen in der Breite zurückzugewinnen, schon deshalb, weil viele befürchten, die Union würde, wenn sie erst einmal wieder den Kanzler stellt, vermutlich dann in einer Koalition mit der SPD, wenn nicht gar mit den Grünen, doch nur die jetzige Politik in leicht abgemilderter Form und anders verpackt fortführen.
Unberechtigt sind solche Befürchtungen nicht, und deshalb scheinen manche CDU-Wähler (eine Minderheit, aber keine ganz kleine) sogar eine Koalition mit der AfD zu präferieren. Dazu müsste sich die AfD freilich – auch wenn nicht jeder das gern hören wird – einer gründlichen Detoxifizierungs-Kur unterziehen, so wie es Melonis Fratelli (die alten Neofaschisten) in Italien über Jahre hinweg getan haben.
Damit befindet sich die CDU freilich, will sie regieren, in einer dauerhaften Zwangsehe mit linken Parteien, die die Glaubwürdigkeit der Union, die ohnehin schon schwach ist, weiter untergräbt. Das wird auch den Wahlkampf der CDU schwächen, und am Ende könnte der Abstand zur SPD in der Wählergunst deutlich abschmelzen.
Käme es dann anschließend zu einer Koalition mit der SPD, wäre Merz als Kanzler vielleicht ähnlich schwach wie Scholz jetzt in der Ampel, zumal sich nicht abzeichnet, dass in der SPD der Pragmatismus, der einst Politiker wie Schröder oder Schmidt auszeichnete, noch irgendeine Heimat hat. Die drängenden Probleme Deutschlands könnte auch eine solche Regierung dann kaum lösen. Aber vielleicht muss sich die Krise auf allen Gebieten ja ohnehin noch einmal wirklich dramatisch zuspitzen, bevor sich bei der politischen Elite, aber auch bei den Gerichten mit ihrer weltfremden Rechtsprechung zum Beispiel in Migrationsfragen die Erkenntnis ausbreitet, dass man nicht so weitermachen kann. Noch ist es wohl nicht so weit.