Tichys Einblick
Sommerhit "Layla"

Die zehn am härtesten gescheiterten Verbotsversuche

„Layla“ ist der Sommerhit des Jahres. Trotz Verbot und Spielverweigerung auf Volksfesten. Oder gerade deswegen. Denn andere aufzufordern, etwas nicht zu tun, ist der beste Weg, das Gegenteil zu bewirken.

Das jüngste Beispiel, wie Verbotsversuche das absolute Gegenteil bewirken: DJ Robins "Layla" schießt auf Platz 1 der Charts - und wird Sommerhit 2022

IMAGO / Harry Koerber

Die kollektive Erinnerung der Menschheit beginnt mit einem Verbotsversuch: Gott verlangte von Adam und Eva nur eins. Sie sollten die Finger vom Baum der Weisheit lassen. Das Ende ist bekannt. Nichts macht einen Apfel so spannend wie die Aufforderung, darauf zu verzichten. Das gilt genauso für die Produkte auf Platz

10. Made in Germany. England war die führende Wirtschaftskraft des 19. Jahrhunderts. Dann holte das Deutsche Reich auf. Mit Fleiß und Intelligenz, bestärkt durch Kapital aus Frankreich und den Vorteilen eines großen gemeinsamen Marktes, wurden die Deutschen Weltführer in Sparten, in denen die Engländer bis dato dominierten. Etwa der Textilindustrie. Die reagierten damit, dass sie den Feindwaren das Siegel „Made in Germany“ verpassten. Patrioten sollte das vom Kauf abhalten. Das wirkte. Nur nicht wie gedacht. Die englischen Kunden verstanden „Made in Germany“ als Gütesiegel und kauften die Produkte erst recht.

9. Die Pille. Die Kirche gäbe eine brillante PR-Agentur ab. So lange sie sich (bewusst) an umgekehrte Psychologie hält. Denn nichts verkauft etwas so gut und nachhaltig wie ein Boykottaufruf der Kirche. Etwa die Pille. Als die in den frühen 1960er Jahren zur Marktreife kam, zog die Kirche in den Krieg – und erlebte ihr Alesia. Papst Paul VI engagierte sich derart, dass ihm seine Schäfchen den Spitznamen Pillen-Paul verpassten – und sich gegen alle Belehrungen der Priester vergnügten und sich mit der bösen Tablette vor ungewollten Schwangerschaften schützten. Mit Pillepalle stand der Papst einem hübschen Wort Pate, das noch lange nachwirkte.

8. Brigitte Mira. Es gehörte zum Regierungsstil der Nazis, ihre Volksgenossen zu belehren, wie sie sich privat zu verhalten haben, um das Gemeinwohl zu fördern. Dabei bedienten sie sich der Medien. In kleinen Filmchen klärte eine Blonde eine Dunkelhaarige auf. Letztere verhielt sich falsch und wurde daraufhin von der Blonden belehrt. Blöd nur, für die Nazis: Brigitte Mira verkörperte die Dunkelhaarige. Und das so großartig, dass die Volksgenossen ihr folgten – statt der Reichsblonden. Die Nazis setzten den Spaß schnell wieder ab. Ihre Aufrufe führten sie aber fort: etwa auf Fleischessen verzichten für das große K. Also K wie Krieg.

7. Jeanny. Wenn es um Cancel Culture geht, marschiert die ARD schon lange vorneweg. Vor allem in den 1980ern. Da ließ das Erste einige Folgen der Serie Dallas im Giftschrank verschwinden – etwa weil darin Homosexualität thematisiert wurde. Auch Lieder blieben ungespielt, wenn sie politisch inkorrekt waren. Etwa „Burli“ von der EAV oder „Jeanny“ von Falco. Das boykottierten die Radiosender der ARD wegen des Vorwurfs der Gewaltverherrlichung. Ohne deren Support hatte Falco keine Chance: In den Charts kam Jeanny gerade mal auf Platz eins. Und es war lediglich 22 Wochen in den Verkaufshitparaden. Ein Vollflop. Quasi.

6. Mortal Kombat. Es gibt keine andere Zielgruppe, die sich so gut durch Boykottaufrufe erreichen lässt wie Teenager. Die hassen es, etwas zu tun, was Erwachsene schlecht finden. Zum Beispiel Videospiele spielen. Noch dazu, wenn diese Gewalt als Spielidee aufgreifen. Mortal Kombat hat Deutschland sogar verboten. Auch für Erwachsene. Deswegen ist das Ballerspiel völlig in Vergessenheit geraten. Bis auf den Film, den Hollywood letztes Jahr aus dem Spiel ableitete. Den haben aber nur 3,8 Millionen Haushalte gesehen. In den ersten drei Tagen nach Erscheinen. Und das Spiel spielt in Deutschland auch keiner. Ist ja verboten.

5. Goya Beans. Es ist ein übles Klischee, dass sich Lateinamerikaner in den USA vor allem von Bohnen ernähren würden. Solche Klischees können nur in einem Land blühen, das von Männern wie Donald Trump in systematischen Rassismus geführt wird. Deswegen gehört alles boykottiert, was diesen Mann unterstützt. Zum Beispiel Goya Beans. Deren Geschäftsleitung bekennt sich klar zu Trump, weshalb Goya Beans von lateinamerikanischen Verbänden boykottiert wird. Ein herber Schlag, weil. Ja. Jetzt wird es heikel. Wie soll man, ohne … Also zitieren wir die Seite Latinousa.org in ihrer deutschen Übersetzung: „Für viele Latinos und Latinas ist Goya mehr als eine Dose Bohnen – es ist ein Abzeichen der Identität.“ Und ja: Goya Beans sind trotz Boykott lateinamerikanischer Verbände immer noch auf dem Markt. Und der boomt.

4. Layla. Die Wirte von Volksfesten üben sich als Richter über politische Korrektheit. Und so was geht schief? Sachen gibt’s. Zumal doch gerade Bierzelte der Ort sind, an dem die Leute zusammenkommen, um über Genderfragen zu diskutieren. In Würzburg kümmern sich die Verantwortlichen besonders um die Unversehrtheit von Frauen. Die verächtlichen Töne eines Mallorca-Schlagers sollten nicht an ihr Ohr dringen. Schließlich sollen sich die Ballermann-Hits auf ihre eigentliche Aufgabe konzentrieren und in den Texten Themen von Sartre und Brecht variieren. Nun ist Layla der Sommerhit des Jahres und das letzte Wort behält, wer recht hat: „Ich hab’n Puff und meine Puffmama heißt Layla / Sie ist schöner, jünger, geiler / La-La-La-La-La-La-La-Layla / La-la-la-la / Die wunderschöne …“

3. Die Olympischen Spiele von 1984. Der Westen boykottierte die Spiele von 1980. Die Sportler sollten nicht in Moskau antreten, während die UdSSR gerade Afghanistan besetzt. Der Boykott des Westens führte zu den lustigsten Reitsportbildern, die je gedreht wurden. Vier Jahre später rächte sich der Osten und boykottierte die Spiele wegen Irgendwas mit Irgendwas. Die Russen glaubten, den Amerikanern würde es nicht genügen, wenn es sich bei einem Wettkampf nur um sie selbst dreht. Gut. Fehler macht jeder mal. Sogar Kommunisten. Die Amerikaner räumten im Schwimmen und der Leichtathletik so brutal ab, dass sich das Land aus der Depression bugsierte, in die es durch Vietnam, Watergate, Geiselnahme in Teheran und diverse Korruptionsskandale geraten war.

2. Die Grünen. In einer Liste gescheiterter Boykott-Aufrufe dürfen die Grünen nicht fehlen. Als Opfer. Als Opfer! In den 1980ern – auf dem Dorf noch in den 90ern – riefen die Pfarrer, vor allem die katholischen, dazu auf, die Grünen nicht zu wählen. Das sei eine gottlose Partei, predigten sie, weil die Grünen zwischen Staat und Religion klar trennen wollten und Religionen kritisierten, weil diese Frauen systematisch unterdrückten. Doch, Ihr Jüngeren, doch, doch. Das taten die Grünen tatsächlich mal. Damals. Mittlerweile sind die Grünen und die Kirchen mehr als versöhnt. Katholische Gottesdienste und grüne Parteitage unterscheiden sich nur noch dadurch, dass die Leute in der Kirche vorne merkwürdige Gewänder tragen. Wobei. Wenn Claudia Roth redet … Aber es besteht noch Hoffnung. Wenn die Kirchen in ihrer Unterstützung der Grünen so erfolgreich sind wie in ihrem Boykott, dann dürfte sich das bald alles erledigt haben.

1. Tatort. Sogar der Tatort schwächelt. Leicht. Mitunter. Wenn er zur Abwechslung mal wieder in der Nazi-Szene spielt und am Ende der Manager der Mörder war; wenn der Kameramann seiner Depression ein visuelles Denkmal setzt oder wenn der Cutter mit Würfeln die Frage klärt, in welcher Reihenfolge die Szenen ablaufen. Doch ein Tatort schoss durch die Decke. Dank Corona. Aber nicht weil die Zuschauer eingeschlossen waren und keine Alternative hatten. Sondern als Reaktion auf einen Boykottaufruf. Es ging um die Folge „Rhythm and Love“. Die spielte in Münster. Mit dem Gerichtsmediziner Karl-Friedrich Boerne alias Jan Josef Liefers. Der hatte sich anderthalb Wochen vorher an der Aktion „#allesdichtmachen“ beteiligt. Die hatte die Wirksamkeit der Corona-Maßnahmen in Frage gestellt. Nun haben wir in Deutschland Meinungsfreiheit, weshalb die Teilnehmer auch nur mit lebenslanger Ächtung und Berufsverbot bestraft werden sollten. Liefers Tatort sollte ebenfalls boykottiert werden, auf Twitter liefen die Hashtags „TatortBoykott“ und „HeutebleibtderTatortaus“. Besonders hervorgetan hatte sich der SPD-Politiker und WDR-Rundfunkrat Garrelt Duin. Der ist vor allem bekannt fürs Nichtbekanntsein. Ein Schattengewächs, wie es nur in fensterlosen Hinterzimmern von Parteien blüht. 14,2 Millionen wollten den Tatort in der Erstausstrahlung sehen. Fast ein Rekord. An solche Kampagnen wollen die Macher von damals heute nicht mehr erinnert werden. Das sei „an den Pranger stellen“. Boykott-Aufrufer können hochsensibel mit öffentlichen Aktionen umgehen – wenn es sie selbst trifft.

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