#LauterbachLuegt erreichte gestern Twitter-Trends. Das Husarenstück von der Behauptung, die Covid-Impfung beinhalte keine Nebenwirkungen, hin zur Behauptung, es gebe Impfgeschädigte und er habe immer die Nebenwirkungen betont, wirkt immer noch nach.
Dabei ist die öffentliche Empörung über Karl Lauterbach nur eine logische Antwort auf die vorherige öffentliche Verherrlichung, die nicht nur in den Medien stattfand, sondern auch in den sozialen Netzwerken. Dort avancierte Lauterbach zum Shooting-Star des Teams „Sicherheit“. Die Umfragen zeigten sich entzückt, die Talkshows des deutschen Fernsehens breiteten den roten Teppich aus.
Der Beliebtheitseinbruch Lauterbachs erfolgte nicht erst am Sonntag. Er ist ein länger anhaltender Prozess. Bereits im Laufe des letzten Jahres zerbrachen die Hoffnungen jener Journalisten, die ihn zuvor zum Talk eingeladen hatten. Die Studien, mit denen Lauterbach früher gepunktet hatte, widersprachen ihm nicht nur; immer wieder stellte sich heraus, dass Lauterbach diese sogar falsch wiedergab oder andere Studien verschwieg. Seit Kurzem steht auch die Vita des Gesundheitsministers infrage: Hat er seinen eigenen Lebenslauf geschönt?
Im heute journal des ZDF geschah etwas, das man in den Corona-Jahren in den öffentlich-rechtlichen Medien sträflich vernachlässigt fand: kritische Nachfragen. Vielleicht, weil Lauterbach nur ein Fragment ist. Denn um eine Persönlichkeit wie Lauterbach, die im Grunde seit Beginn der 2010er Jahre politisch in der dritten Reihe versank, plötzlich in den Mittelpunkt zu rücken, bedarf es Medien, die dazu willig sind. Hätte der ehemalige „Gesundheitsexperte mit der Fliege“ von Gesundheitsminister Ulla Schmidt eine Rückkehr in die oberste Prominenz der Bundespolitik erlebt – ohne mediale Helfer?
Dennoch: Der Eindruck mag nicht weichen, dass auch ehemalige politische Entscheidungsträger, die eine Schlüsselstellung in der Corona-Krise innehatten – allen voran der heute immer noch sehr aktive ehemalige Gesundheitsminister Jens Spahn – sich derzeit aus der Verantwortung stehlen, indem mit Lauterbach ein gefundener Sündenbock parat steht. Seine Verehrer sind enttäuscht, seine Prominenz auf einem Tiefpunkt, das Vertrauen gleich null. Lauterbach loszuwerden, so hoffen offenbar einige, könnte dazu führen, dass auch die eigenen Sünden reingewaschen werden.
Ein Bauernopfer Lauterbach käme daher nun einigen entgegen. Es böte die Möglichkeit für die Medien, ihr eigenes Versagen an ihm abzuarbeiten. Und Kanzler Scholz könnte sich nicht nur von einem Minister trennen, der in den letzten Monaten mit Inkompetenz geglänzt hat, sondern auch die Frauenquote im Kabinett wiederherstellen. Doch gerade weil sich Lauterbach so gut als Opfer anbietet, dürfte ein sofortiger Rücktritt eher ausgeschlossen sein. So kann man wenigstens noch die unbeliebten Gesundheitsthemen wie die Reform der Pflegeversicherung bei ihm abladen, bevor ein Nachfolger ohne diese Lasten frisch ins Amt steigt.