„Tina Hassel von der ARD“ klingt etwas nach neuem Dienstadel, meint aber nur, dass Tina Hassel für die ARD arbeitet und deren Hauptstadtstudio leitet, auch wenn so mancher sie inzwischen für Robert Habecks gebührenfinanzierte Pressesprecherin halten mag. Unmittelbar nach dem G7-Gipfel befragten nun in der Sendung „Farbe bekennen“ die eher einfarbige Tina Hassel und der etwas farblose ARD-Chefredakteur Oliver Köhr den Bundeskanzler. Als geradezu machtlos erwiesen sich die hochbezahlten Journalisten indes beim Versuch, gegen Olaf Scholzens Technik anzukommen, das Konkrete im Allgemeinen, das Einfache im Komplexen, das Eindeutige im Mehrdeutigen aufzulösen. Obwohl sie ihn zu keiner Aussage zu bewegen vermochten, sagte Olaf Scholz sehr, sehr viel. Doch weder Hassel, noch Köhr bemerkten das aus den einen oder anderen Gründen nicht. Möglich, dass Scholz im Stillen dachte, ei, da führe ich vor euren Augen im Raum eine Herde Elefanten einher und ihr blickt an einem nach dem anderen vorbei.
Zählen wir also die Elefanten, die Hassel und Köhr übersahen. Es waren mindestens drei:
Hier hätten die Kollegen von der ARD ja einmal nachhaken können. Scholz verweist am Ende des Interviews, wie bei einem lässigen a propos auf seinen Amtseid, der ihn dazu verpflichten würde, auf der einen Seite die Eskalation des Krieges in der Ukraine, die die ganze Welt in Mitleidenschaft zöge, zu vermeiden, und auf der anderen Seite der Ukraine die maximale Unterstützung zukommen zu lassen, die ihm unter Befolgung seines Amtseides möglich ist. Hier spielen nationale Interessen eine Rolle, nach denen Journalisten fragen könnten, wenn ihnen denn der Begriff ernst wäre.
Der zweite rosa Elefant im Raum: Die innerhalb der planetarischen Grenzen in Berlin lebenden Journalisten erkannten nicht einmal dann das wahre Thema des Gipfels, nachdem Olaf Scholz mehrmals auf den Elefanten geduldig gezeigt hatte. Es entsteht nämlich eine neue Weltordnung, in deren Mitte dann möglicherweise die G7 nicht mehr stehen. Im Gegenteil, viele Staaten des sogenannten globalen Südens, für deren Bewohner Deutschland ein hochattraktives Einwanderungsziel ist (und die von der Ampel-Regierung mehr oder weniger offen willkommen geheißen werden), wenden sich von den G7 ab und dem neuen Machtzentrum, das China und Russland bilden, zu. Deshalb haben die G7 Indien und Indonesien, das den nächsten G20-Gipfel ausrichtet, Senegal, Argentinien und Südafrika dazu gebeten, um diese Länder stärker an die westliche Alliance zu binden. Scholz weist mit für seine Verhältnisse heftigen Nachdruck darauf hin, dass er es für ein ganz wichtiges Signal des Gipfels hält, dass die Teilnahme dieser fünf Länder an den G7-Gesprächen „geklappt hat“, dass dies als starkes Statement zu werten sein, dass die „Demokratien der Welt“, nicht nur eben die G7 zusammenstehen. Hier wird wirklich um eine neue Weltordnung mit harten Bandagen und allen Mitteln gekämpft. Doch die Leute von der ARD sehen vor lauter Habeckschen Windrädern die Realität der Welt nicht mehr. Statt hier nachzuhaken, stellt Tina Hassel fest, dass Indien von Russland Öl kaufe und verblüfft mit der Frage, wie man diese „Schlupflöcher“ schließen könne. Hätte Hassel noch einmal im Atlas nachgeschaut, dann würde ihr die Absurdität ihrer Formulierung von den „Schlupflöchern“, die Irrealität des Bildes, das nur ihr Weltbild spiegelt, auffallen, denn es handelt sich doch nicht um Schlupflöcher, die man in einer Polizeiaktion schließen könnte, sondern um das Agieren eines Subkontinents, einer großen Volkswirtschaft. Da kann man nichts schließen, da kann man nur, wie Scholz geduldig erklärt, die Perspektiven des anderen verstehen, um zu gemeinsamen Handeln zu kommen, schließlich habe man ja keine Weltregierung. Doch Hassel fragt auch hier nicht nach, sondern zeigt nur, wie sehr sie von Scholz enerviert ist. Ach, wenn doch anstatt des Realpolitikers ihr Seelenpolitiker Robert Habeck im Studio säße. Wenn das Werk des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks, den Vizekanzler zum Kanzler hochgesendet zu haben, endlich geglückt wäre, mag dabei im Stillen gedacht worden sein.
Womit man am sensationellen Punkt des Interviews angekommen ist. Hassel spielt auf die Finanzkrise an, indem sie daran erinnert, dass Merkel damals eine Garantie für die Spareinlagen der Bürger gegeben hatte, und will das mit den steigenden Energiepreisen, mit der Energiekrise vergleichen, wenn sie fragt, ob Scholz analog dazu eine Garantie den Bürgern geben würde, dass ihre Wohnung warm bleibt? Damit vergleicht sie noch nicht einmal Äpfel mit Birnen, sondern Mondgestein mit Teetassen. Zudem war die Garantie damals ein Fake, konnte Merkel das gar nicht garantieren. Doch mit seiner Antwort hat Scholz ein für alle Mal klargestellt, dass die Energiekrise, die galoppierende Inflation, die näher rückende Rezessionsgefahr für die Wirtschaft nicht vom Krieg in der Ukraine verursacht wird, sondern Folgen der deutschen und europäischen Politik sind, der Krieg hat die Prozesse nur beschleunigt und verstärkt. Scholz antwortet auf Hassels Frage, dass er sich bereits sehr früh, gleich nach Regierungsübernahme im Dezember 2021 mit der Frage beschäftigt habe, was man unternehmen müsste und könnte, wenn die Energielieferungen unsicher werden. Entweder hat Scholz den Krieg vorausgesehen, was wenig wahrscheinlich ist, oder er hat den eigentlichen Treiber der sich bereits andeutenden Energiekrise erkannt, nämlich die von Grund auf falsche sogenannte Energiewende. Als Propagandistin der Energiewende und der sogenannten Klimakrise kann Hassel hier nicht nachfragen, wenn sie überhaupt verstanden hat, was Scholz hier sagt. Es ist nicht der Krieg, der den deutschen Niedergang verursacht, sondern die deutsche Energiewende, die grüne Utopie, die Abhängigkeit von Erdgas aufgrund der Verabschiedung aus der Kernkraft und des Ausbaus der sogenannten erneuerbaren Energien. Und dann behauptet Scholz, gerade weil er rechtzeitig im Dezember auf die Gefahr fehlenden Erdgases hingewiesen und darüber mit Fachleuten Gespräche geführt habe, konnte man mit Ausbruch des Krieges schnell die richtigen Maßnahmen treffen. Wenn das Vorgehen nach Ausbruch des Krieges planvoll und erfolgreich war, dann sollte sich niemand wünschen, diese Bundesregierung zu erleben, wenn sie nicht planlos und chaotisch agiert und überdies erfolglos ist. An dieser Stelle bemühte sich der ARD-Journalist um etwas Auflockerung mit der Frage, ob auch Scholz wie Habeck Energiespartipps für die Bevölkerung habe, das verneinte Scholz mit den Hinweis, dass ihm diese Tipps doch zu sehr aus dem privaten Bereich stammten. Man kann verstehen, dass der Bundeskanzler im Gegensatz zum Primaklimaminister es nicht schätzt, sich über den Bereich seiner persönlichen Körperpflege öffentlich zu äußern.
Selbst Tina Hassel wollte rasch zu einer „ernsthafteren Ebene“ zurückkehren, nämlich zu ihrem Eindruck, dass immer, wenn Krisen, wie der Krieg stattfinden, das Klima „herunter fällt“. Dem widerspricht Scholz brav und zählt all die Klima-Maßnahmen auf, die sowohl die Energiekrise, als auch die Inflation vorantreiben und eine Wirtschaftskrise auslösen werden – und die demzufolge beschleunigt werden. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien soll mit noch höherem Tempo vorangehen. Auch das Aus der Verbrennungsmotoren soll kommen, wenngleich man sich hier noch irgendwie Hintertüren offenzuhalten trachtet, denn, so Scholz listig, man wolle ja nicht technische Innovation verhindern. Das hörte Frau Hassel offensichtlich überhaupt nicht gern und zeigte sich bis ins Mienenspiel hinein auffallend von Olaf Scholz enttäuscht.
Und dann gibt Scholz mit Richtlinienkompetenz doch noch ein wichtiges Ziel der deutschen Regierung in Brüssel bekannt: „Die Regierung will gemeinsam in Brüssel agieren.“ Es scheint nach dieser Ankündigung, ein Ziel aufs innigste zu wünschen zu sein, dass es den Ministern der Ampelregierung gelänge, endlich einheitlich als deutsche Regierung in Brüssel aufzutreten.