Die Ampel hat eine stille Steuererhöhung ermöglicht. Vor diesem Hintergrund wirkt es grotesk, dass Kanzler Olaf Scholz Wahlkampf mit der Senkung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel macht – zumal sogar das Versprechen kümmerlich ist.
Wahlkampf bedeutet „Wünsch Dir was“. Die SPD entdeckt zum Beispiel in den drei Monaten vor der Wahl vieles, was ihr in den 22 Regierungsjahren unter Gerd Schröder, Angela Merkel (CDU) und Olaf Scholz nicht möglich war. Dem aktuellen Kanzler ist es vorbehalten, in den Tagesthemen einen dieser Vorschläge persönlich vorzustellen: eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel von sieben auf fünf Prozent.
Nun lässt sich manchem Politiker vorhalten, dass er im Wahlkampf große Versprechen macht, die er dann nicht einhält. Olaf Scholz ist da ganz anders: Bei ihm sind sogar die Versprechen, die er nicht einhält, kümmerlich. Eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel um zwei Prozentpunkte würde kaum einen Ausgleich der Inflation der letzten Jahre bedeuten. Für die Gastronomie bliebe die Mehrwertsteuer bei 19 Prozent. Auch für Lebensmittel, welche die Parteien von Sigmar Gabriel und Ricarda Lang als ungesund erachten, gilt weiter der höhere Satz. Viel entscheidender ist, an anderer Stelle belastet Scholz‘ Regierung die Bürger künftig stärker – um ein Vielfaches stärker, als eine Entlastung durch die leichte Absenkung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel sein würde.
Der Reihe nach: Die Inflation hat die Preise in Deutschland in den vergangenen drei Jahren stark verteuert, Lebensmittel waren davon noch stärker betroffen als der Durchschnitt der Waren. Mit den höheren Preisen sind auch die Einnahmen des Staates gestiegen, die in den Jahren der Ampel ohnehin einen Rekord nach dem anderen gebrochen haben.
Zum Beispiel ein Brötchen, das vorher in einer Berliner Bäckerei 25 Cent gekostet hat, verkauft diese jetzt für 30 Cent. Der Staat hat vorher über die Mehrwertsteuer 1,75 Cent an dem Brötchen verdient, nun 2,1 Cent – mit jedem Brötchen fließen also 0,35 Cent mehr in den Steuersäckel. Wäre Scholz‘ Versprechen mehr als Wahlkampfgetöse, dann würde das Brötchen 0,6 Cent billiger werden. Vorausgesetzt, der Bäcker gibt die Senkung weiter. Die Ersparnis läge also bei 0,25 Cent im Vergleich zur Zeit vor der hohen Inflation.
Anderes Beispiel: Eine Salatgurke, die es vorher für 1 Euro in einem Berliner Supermarkt gegeben hat, kostet dort jetzt 1,20 Euro. Die Einnahmen aus der Mehrwertsteuer sind damit gestiegen von 7 Cent auf 8,4 Cent – ein Zuwachs von 1,4 Cent. Mit Scholz‘ Versprechen ginge der Preis um 2,4 Cent zurück. Auch hier vorausgesetzt, der hinter dem Supermarkt stehende Konzern gibt den Vorteil an die Kunden weiter. Der spart dann künftig einen ganzen Cent an der Salatgurke.
Im Staatsfernsehen lobt Scholz seinen Vorschlag selber: Seine Idee würde seinem Haushalt „keine übermäßige Belastung“ bringen. Was völlig richtig ist. Denn der Vorschlag bringt den Bürgern halt auch keine „übermäßigen Vorteile“. Doch Scholz hält den Schritt trotzdem für richtig: „Ich glaube, dass es jetzt erst mal wichtig ist, dass wir etwas sehr Überschaubares machen.“ Am Rande erwähnt: „Sehr überschaubar“ wäre auch ein hübscher Titel für eine Scholz-Biografie.
Weniger überschaubar ist eine Steuererhöhung, die unter Olaf Scholz nun durchkommt. Eine versteckte. Das Stichwort dazu lautet: Kalte Progression. So heißt der Effekt, dass auch anteilig mehr Steuern zahlt, wer mehr verdient. Sei es durch eine Beförderung, eine Gehaltserhöhung oder Überstunden. Arbeitnehmer müssen dem Staat von ihrem mehr verdienten Geld nächstes Jahr 8 Milliarden Euro mehr überlassen. In diesem Jahr kostete sie dieser Effekt 273 Euro pro Person. Die Zahlen stammen vom Bundesfinanzministerium.
Eigentlich hatte sich die Ampel darauf geeinigt, diese Kalte Progression zurückzufahren. Leistung müsse sich lohnen, Arbeit gefördert werden und so weiter. Doch mit dem Bruch der Ampel verzichten SPD, Grüne und FDP darauf, diesen Beschluss durchzuziehen. Sogar T-Online, nicht gerade für seine Ablehnung der SPD bekannt, nennt diese Weigerung „armselig“. Auch die CDU verzichtet darauf, die Bürger zu entlasten, die Arbeit zu stärken und die Wirtschaft anzukurbeln. Friedrich Merz würde sich dieser Tage eher im Stile der Letzten Generation an die Brandmauer kleben, als sinnvolle Politik zu machen.
Um 25 Prozent hat die Ampel das Bürgergeld für nicht arbeitende Menschen innerhalb eines Jahres erhöht. Acht Milliarden Euro müssen arbeitende Menschen weiterhin mehr bezahlen, wenn ihr Boss sie mit mehr Geld belohnt hat. Dazu kommen noch die Erhöhungen der Pflegeversicherung, der Krankenkasse sowie die Anhebung der Freibeträge. Aber jetzt naht ja Scholz als Retter: Der Arbeitnehmer muss nur 27.300 Salatgurken kaufen und er hat seine Mehrausgaben wieder drin – vorausgesetzt, der Supermarkt gibt den Vorteil weiter.
Wer Scholz dieser Tage für „armselig“ hält, sollte sich aber zuerst die CDU anhören. Deren parlamentarischer Geschäftsführer Thorsten Frei hat den Vorschlag des Kanzlers zurückgewiesen. Aber nicht, weil er die Bürger zu gering entlaste. Auch nicht, weil der Arbeit weiter bestrafe in einem Land, das Nicht-Arbeitenden eine Gehaltserhöhung von 25 Prozent innerhalb eines Jahres gönnt. Sondern, weil der Vorschlag „Haushaltspolitik auf Pump“ bedeute.
Bliebe noch zu erwähnen, dass Scholz‘ Vorschlag nicht nur Probleme mit sich brächte, weil er kümmerlich ist. Zwar würde der Supermarkt aller Wahrscheinlichkeit den einen Cent für die Salatgurke nicht weitergeben. Aber dem Markt entstünden ohnehin Kosten, die weit über dem Cent liegen. Denn künftig müssten drei unterschiedliche Sätze für die Mehrwertsteuer ausgewiesen werden. Scholz‘ Vorschlag ist also unpraktisch, hilft keinem weiter, schadet vielen, bedeutet puren Symbolismus und lässt die Bürokratie ausufern. Womit – am Rande erwähnt – schon die Überschriften für die ersten fünf Kapitel der Scholz-Biografie gefunden wären.
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