Tichys Einblick
"Ich bin schwul – und nicht euer Kultobjekt!"

Seltsamer Kult um den Pride Month

Es reicht nicht mehr, Homosexuelle zu tolerieren und sie ihr Leben leben zu lassen – man muss ihre Identität ständig validieren und ihnen dazu gratulieren. Das erlebt unser Autor diesen Monat, im sogenannten Pride Month, auch wieder: Und er ist es leid.

IMAGO / epd

Wissen Sie, welchen Monat wir haben? Wie ich Sie einschätze, lieber Leser, haben Sie jetzt spontan an die naheliegendste Antwort gedacht: Es ist Juni. Aber das ist nicht ganz richtig. Das sollten Sie daran merken, dass alles um Sie herum plötzlich schwul zu werden scheint. Von großen Marken wie BMW oder Adidas bis zum Supermarkt um die Ecke scheint jedenfalls alles in Regenbogen getaucht – selbst die eine oder andere Kirche behängt sich mit einer bunten Flagge. Es ist zwar auch Juni – aber vor allem „Pride Month“.

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Der „Pride Month“ ist ein Feiermonat der Schwulen-, Lesben-, Bisexuellen- und Transsexuellen-Bewegung. Es geht – oder ging mal – um die Veranstaltungen, die in Deutschland eher im Zusammenhang mit dem Begriff „Christopher Street Day“ bekannt sind. Anlass ist die jährliche Erinnerung an die sogenannten „Stonewall Riots“, die Aufstände in der „Christopher Street“ in New York, als Homo-, Bi- und Transsexuelle gegen Schikanen der Polizei auf die Straße gingen. Der schwule Dichter Allen Ginsberg, der damals in der Christoper Street lebte, schrieb: „Weißt du, die Jungs da waren so schön – sie haben den verletzten Blick verloren, den alle Schwuchteln vor 10 Jahren hatten.“

1969, vor über 50 Jahren, war Stonewall der Beginn der Bürgerrechtsbewegung für sexuelle Minderheiten. Die Menschen wollten nicht mehr Opfer einer Gesellschaft sein, die sie hasste, und die ihnen zugedachte Rolle spielen. Seitdem hat sich, zumindest im Westen, viel getan für die Rechte von sexuellen Minderheiten. Schauen wir beispielsweise nach Deutschland – der Paragraph 175 des Strafgesetzbuches, der Homosexualität unter Männern unter Strafe stellte, ist seit den 1990er-Jahren abgeschafft.

Bis hin zur sogenannten „Homo-Ehe“ sind Homosexuelle heute so gut wie gleichberechtigt. Das heißt zwar nicht, dass es keine Diskriminierung mehr gibt: Aber nirgendwo können Homosexuelle so offen leben wie im globalen Westen. Dass das etwas Gutes ist, stellen Gott sei Dank immer weniger Leute in Frage.

Nancy Faeser hisst die Regenbogenflagge
Der Regenbogen am Ende der Fahnenstange
Umso ernüchternder ist es für mich zu sehen, wozu die Erinnerung an die Christopher Street und den für die Befreiung von sexuellen Minderheiten so elementaren Moment im Jahr 1969 mittlerweile verkommen ist. Die Rebellen aus der Christopher Street rebellierten gegen eine Mehrheitsgesellschaft, die sie mit ihrer diktierten Moral in Ruhe lassen sollte. Es war ihnen egal, was diese Mehrheit von ihnen dachte – sie wollten schlicht nicht länger behelligt werden und ihr Leben ungestört leben können. Unsere Gegenwart verkehrt diesen Gedanken längst ins Gegenteil: Aus der Maxime „Leben und leben lassen“ ist ein neuer Hypermoralismus, aus Freiheit und Gleichberechtigung ein seltsamer Kult geworden.

Jeder muss die Regenbogenflagge schwenken und überschwänglich anerkennen, dass „Trans-Frauen“ 100 Prozent echte Frauen sind. Sonst geht es in den metaphorischen Gulag. Die neue moralische Mehrheit ist eher homophil als homophob. Sie besteht aus der politischen Klasse, den Unternehmen, der Medienklasse und der Klasse der Prominenten. Ihre Flagge ist die Pride-Flagge. Ihr Branding und ihre Botschaften sind unausweichlich. Wer wirklich tugendhaft ist, trägt sogar die politischen Utensilien der neuen moralischen Mehrheit in Form eines Pride-Abzeichens. Auf diese Weise zeigen Sie allen, dass Sie ein guter Mensch sind. Sie stehen auf der richtigen Seite von Tugend und Moral.

Es reicht nicht mehr, Homosexuelle zu tolerieren und ihr Leben leben zu lassen – man muss ihre Identität ständig validieren und ihnen dazu gratulieren. Das erlebe ich diesen Monat auch wieder: Und ich bin es leid. Als Homosexueller fühle ich mich mittlerweile wie ein Kultgegenstand, gefangen mitten in einem Regenbogenkult. Nichts könnte mir unangenehmer sein. Ein Beispiel: Vergangenes Wochenende gehe ich mit (heterosexuellen) Freunden und Bekannten in einen Club feiern – plötzlich wird mir von allen Seiten ein „Happy Pride Month“ gewünscht, als sie herausfinden, dass ich schwul bin.

Übergriffigkeit des Staats
Die Zerstörung des Geschlechts ist die Zerstörung des Privaten
Ich zucke innerlich zusammen: Ich mache aus meiner Sexualität kaum noch ein Geheimnis, aber ich habe auch nicht darum gebeten, so herausgestellt zu werden. Vor allem nicht von hypermoralischen Heterosexuellen, die mich eher wie ein Haustier behandeln – endlich eine arme kleine Minderheit, die man beschützen und verteidigen und auf deren sprichwörtlichen Rücken man demonstrieren kann, was für ein guter Mensch man doch ist. Zweifellos besser, als angegriffen und beschimpft zu werden – gut ist es aber noch lange nicht.

Meine Sexualität ist meine Sache – und nicht die Sache eines Kulturkampfes oder Instrument für wirre, identitätspolitische Visionen einer dekonstruierten Gesellschaft.

Ja, ich bekenne mich: Ich hänge der schrecklich reaktionären Ansicht an, einfach in Ruhe gelassen werden zu wollen. Ich erwarte auch keine Glückwünsche für meine Homosexualität. Ich weiß, es ist sehr unzeitgeistlich, sich nicht halbnackt mit Regenbogenflagge auf die Straße zu stellen und zu rufen „Seht her, ich bin schwul“ – aber das liegt mir nicht. Vielen anderen „LGBT“s übrigens auch nicht.

Ich habe einfach keine Lust, ständig wegen meiner Sexualität herausgestellt zu werden. Ich – wir – sind völlig normal und das ist gut so. Und mehr wollen wir auch nicht sein. Ich bin schwul – und wenn das wichtig sein sollte, teile ich das auch mit. Wie gut, dass ich das in unserer Gesellschaft auch weitestgehend frei tun kann. Dafür bin ich dankbar.

Wofür ich nicht dankbar bin: Jedes Jahr wie ein Objekt herumparadiert und als unfreiwilliges Zugpferd für allerlei Absurditäten eingespannt zu werden, die mit dem Befreiungsgeist aus der Christopher Street nichts mehr zu tun haben.

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