Noch vor nicht allzu langer Zeit schien es, als würde kein Blatt passen zwischen die Farbstränge des Regenbogens. Mehr noch: Nicht nur die LGBTQ-Bewegung, die gesamte woke Linke erschien als einheitliche Front, die zielstrebig ihre Standpunkte in Gesellschaft und Politik einbrachte und umsetzte, und effizient Jagd auf ihre Gegner machte: Wer nicht für uns ist, der hat eine Phobie, leidet demnach unter einer irrationalen psychischen Störung; dessen Meinung ist dementsprechend nicht belastbar und nicht relevant.
Unterstützt von Linken und Grünen und beinahe ohne Gegenwind seitens konservativer Kräfte, namentlich der Union, die sich ja immerzu vor dem Einreißen der Brandmauer fürchtet und daher keine klare Kante zeigen kann, wo die AfD es bereits tut, etablierte sich ein gesellschaftliches Klima, das letztlich etwa die Implementierung des skandalösen Selbstbestimmungsgesetzes ermöglichte, das am 1. November in Kraft getreten ist.
Ein Gesetz, gegen das auf internationaler Ebene erhebliche Vorbehalte bestehen: So schaltete sich selbst die UN-Sonderberichterstatterin für Gewalt gegen Frauen und Mädchen, Reem Alsalem, ein, und bescheinigte dem Gesetz, dass es die Folgen für Frauen und Mädchen nicht ausreichend berücksichtige: Es untergrabe deren Sicherheit und Privatsphäre und andere Rechte, und gewährleiste keinen ausreichenden Schutz vor Übergriffen.
Allerdings könnte sich die Durchsetzung dieses Gesetzes als Pyrrhussieg für die LGBTQ-Bewegung und im weiteren Sinne für die gesamte woke Bewegung entpuppen. Denn über die Transproblematik hat sich die woke Linke offensichtlich entzweit, insbesondere, weil die Translobby sich dazu verstiegen hat, nicht nur gegen kritische Stimmen aus konservativen Lagern mobil zu machen, sondern innerhalb der eigenen Szene Abweichler anzugehen: So werden Homosexuelle, insbesondere lesbische Frauen, kritisiert und zum Teil heftig angefeindet, weil sie auf das biologische Geschlecht ihrer Sexualpartner Wert legen. Das klingt nach einer absurden Auseinandersetzung, und das ist es auch: Zum Beispiel behauptet die Transbewegung, dass Frauen Penisse haben können. Dass dies mit lesbischen Vorstellungen und Vorlieben unter Umständen nicht gänzlich kompatibel sein könnte, erschließt sich auch dem schamhaftesten Beobachter von selbst.
Dennoch sah man jahrelang über solche offensichtlichen Unvereinbarkeiten hinweg, um effektiver „dem Feind“ in Form aller nicht-woken und nicht regenbogenbewegten gesellschaftlichen Akteuren die Stirn bieten zu können. Die Beobachtung, dass in der linken Szene große Bereitschaft besteht, auch über an sich unvereinbare Gräben hinwegzusehen, wenn es einer größeren Sache dient, ist nicht neu: Kurios etwa, wie sich LGBTQ-Akteure im Sinne des Postkolonialismus für Palästinenser einsetzen – zuletzt schloss die ILGA (International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association) den israelischen Teil des Verbands aus; und das, obwohl Israel im Nahen Osten weit und breit das einzige Land ist, in dem Homosexuelle nicht nur nicht verfolgt werden, sondern eine blühende Subkultur pflegen. Oder auch die Bereitwilligkeit, mit der die Anliegen von Frauen und Mädchen vernachlässigt werden, weil sie in der „Opferpyramide“ den Opfergruppen „Muslime“ und „Migranten“ untergeordnet werden – selbst dann, wenn die unterdrückerischen Strukturen muslimische Frauen betreffen.
Obwohl an sich unvereinbar, hat keiner dieser Sachverhalte bisher derartige zentrifugale Wirkung entfaltet wie der Versuch der Translobby, die LGBTQ-Bewegung in ihrem Sinne gleichzuschalten. Mit der sonst nach außen gerichteten Forderung nach Akzeptanz nach innen, aber auch mit dem Grooming, das heißt der übergriffigen Indoktrination von Minderjährigen, um sie in die Transbewegung hineinzuziehen, wurde der Bogen überspannt: „Herkömmliche“ Anhänger der Bewegung, die einfach nur homosexuell leben wollen, wehren sich gegen die Übergriffigkeit aggressiver Translobbyisten und fürchten steigende Feindseligkeit gegenüber Homosexuellen in der Gesellschaft, wenn sie mit solchen Machenschaften assoziiert werden.
So wurde der Ruf laut, LGB ohne T weiterzuführen, das heißt die mittlerweile auf eine stolze Anzahl von Kürzeln angeschwollene „LGBTQIA+“-Bewegung wieder auf ihre Ursprünge zu reduzieren, und Transpersonen nicht mehr als Teil der Bewegung zu betrachten. Welche der beiden Tendenzen sich durchsetzen wird, jene zu immer weiterer Ausdehnung der Regenbogenflagge oder jener zur Unterscheidung zwischen sexueller Orientierung und „Geschlechtsidentität“, bleibt abzuwarten.
Nicht erst im Zuge der Proteste gegen das SBGG strahlt die Zerrissenheit der Regenbogen-Lobby auch auf die gesamte Szene linksgerichteter Bewegungen aus: So formieren sich nun „TERFS“ gegen „FLINTA*“: „trans-exclusive radical feminists“, also Frauen, die nur biologische Frauen anerkennen, gegen „Frauen, Lesben, Inter, Non-Binary, Trans und agender*“, also Frauen, die auch ein Sammelsurium an unterschiedlicher geschlechtlicher Verortung als ihnen zugehörig betrachten.
Neben die Kritik an Transition von Minderjährigen und das Festhalten an der biologischen Realität tritt mit der Leihmutterschaft ein weiteres Thema, das solche Feministinnen der linken Szene entfremdet: Denn Leihmutterschaft ist für die Translobby ein wichtiger weiterer Meilenstein zur Perfektionierung der Illusion von geschlechtlicher „Selbstbestimmung“, für „TERFs“ aber die Instrumentalisierung von Frauen als Brutkasten, Ausbeutung und Kinderhandel.
In Diktion und Gebaren bleiben auch nun pikanterweise von anderen Linken als „radikal“ abqualifizierte Teile der Szene deutlich im linken Selbstverständnis verhaftet; und freilich kann man noch nicht von Allianzen sprechen, wo im Bereich der LGBTQ-Agenda und auch in Fragen des Lebensrechts große Unterschiede zu konservativen Akteuren herrschen. Allerdings wären jene gut beraten, den Spielraum, den die beginnende Implosion der linken woken Szene inklusive der LGBTQ-Bewegung schafft, nicht ungenutzt zu lassen, sondern den Prozess zu beschleunigen: Der Debattenraum hat sich hier ohne ihr Zutun geweitet, indem Linke selbst sich trauen, in den Dissens zu gehen.
Mit entschiedenen, klaren Botschaften könnte nun eine Trendwende eingeleitet werden, weg von identitätspolitischen, konstruktivistischen und neomarxistischen Ideologien hin zu einer Wiederentdeckung der Realität. Die Zeit dafür wäre reif.