Der Reichstag liegt außerhalb des historischen Stadtkerns Berlins und sein Haupteingang ist nach Westen ausgerichtet. Vom Schloss abgewandt. Der Kaiser wollte es so, um seine Geringschätzung für das Parlament auszudrücken. Nach dem Niedergang der linken Diktatur der DDR verpasste der Architekt Norman Foster dem Gebäude eine Glaskuppel. Dort sollte sich der Souverän, das Volk, mit den Politikern treffen, um in einem transparenten Umfeld gemeinsam die Demokratie des wiedervereinten Deutschlands zu gestalten. Unter der Ampel baut der Bundestag einen Graben um seinen Stammsitz herum. Die aufgeschütteten Erdwälle verstärken den Eindruck einer Burg, in der sich der Plenarsaal-Adel verschanzt. Der ist vom Volk weiter entfernt, als es die wilhelminischen Kaiser je waren.
Vor dieser Burg versammelt sich das Volk. Der Gedanke, dass hier der Souverän steht, gilt längst als veraltet. Das Volk kommt, um zum Selbstbestimmungsgesetz zu demonstrieren. Aus der Sicht des Plenarsaal-Adels steht links das gute Volk, das dafür stimmt. Es hisst die Fahne, die zu schwenken Linke, SPD, Grüne, FDP und CDU auch ihre Polizisten ermutigen – während sie gleichzeitig den Polizisten verbieten, die Deutschlandfahne zu halten. Die Regenbogenfahne ist die inoffizielle Fahne einer Politikerkaste, die den Gedanken des Volkes als Souverän aufgegeben hat. Gut ist für sie nur das Volk, das die aus ihrer Sicht richtige Fahne schwenkt.
Von der Gesinnung der neuen, feudalen Politikergeneration zeugt der Auftritt des Queer-Beauftragten der Bundesregierung. Während der Debatte zum Selbstbestimmungsgesetz klagt Sven Lehmann (Grüne): Im Vorfeld der Abstimmungen seien einige der Diskussionen „verstörend und verletzend“ gewesen. Auf Twitter hat er die Beiträge von ZDF-Aktivist Jan Böhmermann übernommen und geteilt, der Frauenrechtlerinnen als „TERF“ und „Schei…aufen“ abgekanzelt hat. Verletzt können für einen feudalen Regierungsvertreter wie Lehmann offenbar nur die Gefühle von Menschen werden, die seiner Meinung sind. Wer dem Mann auf der richtigen Seite des Burggrabens widerspricht, hat zu schweigen und Beleidigungen zu erdulden.
Auf der rechten Seite des Reichstags stehen die besagten Frauenrechtlerinnen. Sie waren und sind Teil der linken Bewegungen. Nach 2015 haben viele von ihnen zu Übergriffen von Einwanderern geschwiegen, weil die Diskussion „nur den Falschen“ genutzt hätte. Nun beschließen SPD, Grüne und FDP im Bundestag, dass jeder den Schutzstatus einer Frau in Anspruch nehmen kann, der im Frausein nicht mehr sieht, als einen absurden Fummel zu tragen und billige Lederstiefel, sowie einmal im Jahr auf dem Standesamt seine Identität wechseln zu können.
Doch nicht nur das. Neben der Gleichsetzung mit diesen Männern und der Schmähungen durch Staatsfernsehen und Regierungsmitarbeiter müssen die Frauenrechtlerinnen auch ertragen, dass FDP, SPD und Grüne mit dem Selbstbestimmungsgesetz angefangen haben, den Einsatz für ihre Rechte zu kriminalisieren. Wer als Frauenrechtlerin jetzt sagt, dass Klaus nicht Claudia ist, kann dank des Gesetzes von Justizminister Marco Buschmann (FDP) nun mit Strafen von bis zu 10.000 Euro belangt werden. Mit dem jetzt verabschiedeten Gesetz ist es künftig ein Leichtes, die Höhe der Strafen anzuziehen, wenn der öffentliche Scheinwerfer weniger auf das Gesetz gerichtet ist.
SPD und Grüne sind an der Regierung. Initiativen wie die „Frauenheldinnen“ haben dafür gekämpft, dass es so weit kommt. Nun erleben sie, wie die beiden Parteien gemeinsam mit der FDP ein Gesetz durchpeitschen, das sie weiter zurückwirft als die „Suffragetten“ im Großbritannien vor weit über 100 Jahren. Denn damals habe immerhin niemand angezweifelt, dass es sich bei den Suffragetten tatsächlich um Frauen handelte.
Die Frauenheldinnen kritisieren eine Beliebigkeit, die mit dem Gesetz verbunden ist. Und die Folgen davon: „Psychisch instabile Mädchen lernen so, ihr gesunder Körper sei falsch, und sie müssten ihn – unter Zerstörung ihrer Sexualorgane – an eine Genderidentität anpassen.“ Dagegen zu sein, setze die Ampel unter einem Justizminister der FDP der Diffamierung aus – „bis hin zum Strafverfahren“.
Die Plakate der Frauenrechtlerinnen sind heftig: „Finger weg von Kindern und Frauen!“, heißt es da. Oder: „Einmal im Jahr Geschlecht und Namen wechseln? Missbrauch vorprogrammiert“. Auch gehen sie davon aus, dass das Selbstbestimmungsgesetz nur den Auftakt bildet, um Operationen an und die Vergabe von Pubertätshemmern an Minderjährige zu fördern.
Doch die Politiker von SPD und Grünen bleiben vor der Wut und vor den Argumenten ihrer einstigen Mitstreiterinnen verschont. Unterirdische Ausgänge führen aus dem Reichstag heraus, die Büros liegen zudem alle in Richtung Osten. Zwischen den Volksvertretern und ihrem Souverän bleiben schützend Graben und Schutzwall. Dafür darf der Souverän noch Fosters Glaskuppel besuchen. Nachdem er lange Schlange gestanden und intensive Sicherheitskontrollen erduldet hat. Der Vertreter fürchtet das Volk ganz offensichtlich.