Nicht nur die Co-Vorsitzende der SPD, Saskia Esken, ist spätestens seit den Black Lives Matter-Demonstrationen in den USA und Deutschland fest davon überzeugt, in den deutschen Polizeibehörden herrsche ein struktureller Rassismus gegenüber Migranten. Er komme unter anderem in einigen grob fremdenfeindlichen und menschenverachtenden Äußerungen polizeilicher Chat-Gruppen über (Asyl-)Zuwanderer zum Ausdruck, die in letzter Zeit publik geworden sind. Geteilt wird diese Sichtweise nicht nur von den Vertretern zahlreicher Migrantenorganisationen, sondern auch von vielen Politikern und Medienvertretern, die den Polizeibehörden vorwerfen, gegenüber Migranten nicht nur verbal in hohem Maße übergriffig zu sein. Dabei handle es sich nicht um das Fehlverhalten einzelner Polizisten, sondern um ein strukturelles Problem der Polizeibehörden selbst.
Sollte das Verhalten deutscher Polizisten von strukturellem Rassismus gegenüber Migranten bestimmt sein, dann würden nach soziologischem Verständnis die Polizeibehörden nach formellen und informellen Regeln funktionieren, die jedem einzelnen Polizisten ein rassistisches Verhalten abverlangen, das er nur unter Inkaufnahme von Reaktionen und Eingriffen seiner Vorgesetzten und Kollegen unterlassen könnte. Verhaltensmuster, die aus den Strukturen sozialer Systeme resultieren, zeigen immer nur ganze Kollektive. Gäbe es in den deutschen Polizeibehörden strukturellen Rassismus gegenüber Migranten, müssten sich alle Polizisten rassistisch verhalten und einzelne Abweichler innerhalb des Polizeiapparats entsprechend kujoniert werden. Dies zu behaupten, bleibt bislang indes noch diejenigen politischen Kräften vorbehalten, die Polizisten schon lange rundweg als Bullenschweine und neuerdings als Bastarde (ACAP = All Cops Are Bastards) verunglimpfen, die laut einer Kolumnistin der Berliner Tageszeitung (taz) allesamt auf den Müll gehören.
Immer mehr Teile der polit-medialen Klasse nähern sich dieser Sicht der Dinge inzwischen allerdings an, indem auch sie sich bei der Beschreibung der Polizeibehörden zunehmend eines Begriffs bedienen, der insinuiert, deren Funktionsweise folge durchgängig formellen und informellen Regeln rassistischer Diskriminierung gegenüber Migranten. Da dies offenkundig sowohl dem öffentlichen Auftrag wie den gesetzlichen Vorgaben der Polizeiarbeit in Deutschland widerspricht, hat sich CSU-Innenminister Seehofer im Verein mit anderen Innenministern der Union bislang dagegen gewehrt, mittels einer wissenschaftlichen Studie die Polizeibehörden unter den Generalverdacht des strukturellen Rassismus stellen zu lassen. Wie jüngst in der Frage der Aufnahme von Asylzuwanderern aus Moria und anderen Fällen hat er nun aber auch hier dem Drängen der Kanzlerin und der Führung der SPD nachgegeben und einer Rassismus-Studie zugestimmt. Diese wird der politischen und medialen Asyl- und Migrantenlobby vor allem in der Absicht gefordert, mit ihrer Hilfe für zunehmende Spannungen und gewalttätige Konflikte zwischen Polizeikräften und migrantischen Gruppen die Polizei verantwortlich machen zu können.
Diese Studie soll nun, wie die Neue Züricher Zeitung (NZZ) vom 21.Oktober berichtet, von einer weiteren Studie begleitet werden, die nicht nur die Polizei, sondern die gesamte Bevölkerung ins Visier nimmt. Auch ihr wird seitens selbsternannter Anti-Rassisten in Politik, Hochschulen und Medien seit geraumer Zeit struktureller Rassismus zum Vorwurf gemacht. Dieser kann nach Auffassung einiger Rassismus-Forscher zum Beispiel allein schon darin gründen, daß ein Unternehmen, eine Behörde oder auch ein Verein von Personen ohne Migrationshintergrund dominiert wird. Überall, wo dies der Fall sind, ist rassistische Diskriminierung gegenüber Migranten gleichsam vorprogrammiert. Die Maßstäbe zur Diagnostizierung von Rassismus werden immer mehr nach unten verschoben, da sich nur so der vermeintliche wissenschaftliche Nachweis führen läßt, daß es sich um ein Massenphänomen handele. Als ein Merkmal „gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“, einer akademischen Umschreibung des politischen Kampfbegriffs Rassismus, gilt heute zum Beispiel schon die Aussage: Es leben zu viele Ausländer in Deutschland. Ohne solche Zuschreibungen hätten die Forscher vermutlich große Mühe, rassistische Einstellungen und rassistisches Verhalten in nennenswertem Umfang nachzuweisen.
Dieses Vorgehen liegt in der Natur der Politik, die ihren strukturellen Regeln nach nicht darauf geeicht ist, Erkenntnisfortschritt zu generieren, sondern politische Ziele zu setzen und, unter anderem unter Zuhilfenahme der Wissenschaft, gegenüber politischen Gegnern durchzusetzen. Politiker, die dieser Vorgabe nicht folgen, sind im System der Politik fehl am Platze und werden von ihm auch schnell ausgestoßen. Die Aufgabe des Erkenntnisfortschritts ist demgegenüber dem Wissenschaftssystem und den dort tätigen Wissenschaftlern vorbehalten, denen es ihrerseits nicht obliegt, die Ziele der Politik zu definieren oder gar für deren Umsetzung zu kämpfen. Leider folgen gerade in den Sozialwissenschaften zu viele Forscher inzwischen jedoch mehr einer politischen Agenda als dem wissenschaftlichen Erkenntnisinteresse. Sie degradieren sich so zusehends zu Erfüllungsgehilfen von Politikern.
Hier liegt womöglich tatsächlich eine strukturelle Ursache für eine Zunahme ablehnender Einstellungen gegenüber Migranten unter Polizisten, die sich in den Polizeibehörden im Laufe der Zeit zu fremdenfeindlichen Einstellungsmustern gegenüber Migranten ausweiten und verfestigen können. Die Wurzel des Übels läge dann aber nicht bei den Polizeibehörden, sondern bei der Bundesregierung, die an ihrer verfehlten Migrations- und Integrationspolitik stur festhält und von den Polizisten erwartet, den von ihr angerichteten Schlamassel weiter auszubaden und dabei gute Miene zu bösem Spiel zu machen. Dass ihnen dafür obendrein noch das Label des Rassismus verpasst wird, wird wohl immer schwerer zu verhindern sein, nachdem Seehofer seinen Widerstand gegen die Durchführung einer Rassismus-Studie aufgegeben hat, um im Gegenzug, wie die NZZ zusätzlich berichtet, vom Koalitionspartner SPD die Zustimmung zu einem „Bundestrojaner“ zu erhalten, mit dem verdächtigen Straftätern Überwachungssoftware auf ihr Handy gespielt werden kann. Ob die Stimmung von Polizisten gegenüber Migranten sich in Zukunft verbessert, wenn sie die Gespräche/Chat-Protokolle arabischer Clan-Krimineller über Polizisten live mitverfolgen dürfen, muss man freilich erst noch abwarten.