Nachdem wir in Österreich sind, vorab das Übliche: Es gilt für alle Beteiligten die Unschuldsvermutung. Aber jetzt das Wesentliche: Sebastian Kurz wird fallen. Die Vorwürfe gehen weit über das Übliche „ich zahl Dir was, Du schreibst mir was“ zwischen Politik und käuflichen Medien hinaus.
Wenn die Vorwürfe der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft stimmen (und die genehmigten Hausdurchsuchungen sind ein Indiz, dass die Suppe recht kräftig sein muss) hat Sebastian Kurz eben NICHT mit PARTEIGELD in „freundlichen“ Medien Inserate geschaltet, um sich eine vorteilhafte Berichterstattung zu kaufen. Er hat VERDECKT das GELD der STEUERZAHLER verwendet, um Meinungsforschungsinstitute und Medien zu bezahlen. Diese Leistungen wurden nicht offiziell abgerechnet, sondern in Scheinrechnungen ans Finanzministerium verpackt und versteckt. Die Staatsanwaltschaft wirft Kurz persönlich Untreue und Bestechlichkeit vor. Es geht um Millionenbeträge an Steuergeld.
Soweit das Bekannte. Die Frage ist: Was passiert jetzt? Die ÖVP steht – noch – in Nibelungentreue zum angeklagten Chef. Auch mangels attraktiver Personalalternativen.
Aber was machen die Grünen? Die Regierungsbeteiligung hat Macht, Einfluss und vor allem viele gutbezahlte Posten gebracht. Fällt die Regierung, sind diese Vorteile in Gefahr. Für die Grünen gibt es jetzt vier Möglichkeiten.
1) Sie halten bedingungslos zu Kurz. Das würde eventuell die Regierungsbeteiligung retten, aber nur solange Kurz nicht verurteilt wird. Wenn die Grünen Kurz bedingungslos unterstützen und es kommt zu Neuwahlen, erleiden sie nicht nur Verluste. Sie fliegen aus dem Parlament.
2) Sie verlangen von der ÖVP den Rücktritt von Kurz und die Installation eines neuen Kanzlers. Das ist aus mehreren Gründen schwierig. Es gibt keine wirkliche personelle Alternative für die ÖVP, kein Zugpferd. Und Kurz war nicht allein in der ÖVP. Er hat ein weitreichendes Netzwerk gespannt, Teile dieses Netzwerkes stehen jetzt mit unter Anklage. Der Rücktritt von Kurz allein würde also nicht reichen, um das „Saubermann“-Image wieder herzustellen. Die Grünen würden als inkonsequent und in Regierungsposten vernarrt empfunden werden, für die ÖVP wäre es ein Schuldeingeständnis. Eine Lose-lose-Situation für beide Parteien.
3) Die Grünen verlassen die Koalition und betreiben die Bildung einer Mehrparteien-Regierung. Ohne Neuwahlen auszurufen, wohlgemerkt. Bei denen würde nicht nur die ÖVP verlieren, auch die Grünen würden tief fallen. Meiner Meinung nach ist diese Variante die Wunschlösung der Grünen.
4) Die Grünen machen Tabula rasa, stimmen einer Auflösung des Nationalrats zu und verlangen Neuwahlen. Maximales Risiko, aber eben auch maximaler Sauberkeitsfaktor. Sie würden Verluste erleiden, aber hätten eventuell die Chance, im Parlament zu bleiben. Und würden wohl auf die (in meinen Augen sehr unrealistische) Bildung einer österreichischen Ampelkoalition hoffen (SPÖ/NEOS/Grüne). Aber wer keine andere Wahl hat, muss unter allen riskanten Möglichkeiten die für ihn beste nehmen.
Der grüne Vizekanzler Werner Kogler hat heute um 10:23 Uhr angekündigt, die Klubobleute aller Parteien zu Gesprächen einzuladen. Weiterhin wurde um einen Termin bei Bundespräsident Van der Bellen ersucht. Es wird also etwas passieren. Die Grünen können nicht zur Tagesordnung übergehen. Meiner Meinung nach wird es, vor allem mangels Alternativen, zur Absetzung von Bundeskanzler Kurz und Neuwahlen kommen. Eventuell nach einem kurzen Interregnum einer Minderheitsregierung.
Aber mir ist auch bewusst: Prognosen sind schwierig, speziell wenn sie die Zukunft betreffen. Es kann also auch ganz anders kommen, und das handelnde grüne Personal macht jetzt ein wenig Wind, nimmt den Lohn für die verbleibenden Regierungsjahre bis zur nächsten planmäßigen Wahl und geht dann in Politikpension.
Chris Veber, Ex-Philosoph, Ex-Grüner, Unternehmer, freier Journalist, Innsbruck