Tichys Einblick
POLITISCHE AUSSAGEN IM INTERNET

Schwedin zu drei Monaten Gefängnis verurteilt

Ein Fehlurteil oder die Verschärfung hin zu Gefängnisstrafen für unerwünschte politische Äußerungen?

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Im Rahmen der Verfolgung missliebiger Meinungen im Schweden wurde eine 65-jährige Schwedin zu drei Monaten Gefängnis verurteilt. Eine drastische Strafe lediglich für im Internet geschriebene Äußerungen – damit nimmt Schwedens Drangsalierung der freien Meinung eine neue Größenordnung an. Denn die Justiz verhängte bis jetzt meistens „nur“ Geldstrafen.

TE berichtete bereits über Probleme mit der Meinungsfreiheit in Schweden: Durchforsten des Internets nach politisch unerwünschten Meinungen, Polizeiverhöre, Anklagen, Verurteilungen. Der Vorwurf lautet stets „Hets mot folkgrupp“ (HMF), auf deutsch „Hetze gegen Volksgruppen“ – ein Gummiparagraph, nach dem abgeurteilt werden kann, was man politisch nicht hören möchte. In den bisherigen Fällen, über die TE berichtete, waren Männer betroffen. Es trifft jedoch Frauen ganz genauso.

Gerade Frauen reagieren oft entsetzt auf die Anklagen wegen HMF. Wogegen sie sich in Internetbeiträgen oft wenden, sind Vergewaltigungen, darunter Gruppenvergewaltigungen, sogenannte „Ehrenmorde“, Kinderehen und Polygamie (nach Schweden legal importierbar, wenn die Vielehe in der Heimat geschlossen wurde). Das heißt also Themen, bei denen stärker Frauen als Männer die Leidtragenden sind – oder sogar fast ausschließlich. Aber auch derartige Themen darf man in Schweden nur noch mit sehr abgewogenen, juristisch wasserdichten Worten kommentieren, damit sie auch ja den Gesetzestexten nicht zuwiderlaufen könnten.

Christina Öberg

Der hier zu behandelnde Fall betrifft eine Frau namens Christina Öberg, 65, aus Jönköping. Der Fall ist auf diversen schwedischen Internetseiten behandelt worden, jedoch noch nie auf deutsch. Die lange Angelegenheit nahm am 28. September 2018 einen dramatischen Ausgang: Die Frau muss ins Gefängnis. Ursache sind lediglich Dinge, die sie geschrieben hat – mehr als zu schreiben hat sie nie getan. Darunter fällt beispielsweise der Satz über Migranten: „Wenn dieses Einströmen fortdauert, sinkt die Intelligenz in Schweden auf Goldfischniveau.“

Es begann vor etwa zwei Jahren, dass die Frau ihre Meinungen im Internet kundzutun begann. Die Anzeige ging mitsamt Screenshots von „Johan Eriksson“ ein – in Wirklichkeit Tomas Åberg, ehemals Tomas Bergström, ein verurteilter Tierquäler (nach manchen Quellen auch gefeuerter Polizist) und jetzt Hauptorganisator der computergestützten Suche nach unliebsamen Äußerungen im Netz (Anklageschrift).

Sechs Polizeiverhöre zu je zwei Stunden fanden seit 2017 mit Christina Öberg statt. Erst beim letzten war ein Anwalt zugegen, Bertil Tingberg. Die Polizei führte ebenfalls eine Hausdurchsuchung durch und beschlagnahmte Telefon und Ipad; in Abwesenheit der Frau wurde die gesamte Wohnung auf den Kopf gestellt. Die Akte zur Voruntersuchung hatte 150 Seiten. Dies ist nicht untypisch; die staatlichen Institutionen leisten einen erheblichen Aufwand für solche Verfahren. Staatsanwältin war Lisa Hedberg, die für eine Gefängnisstrafe plädierte, das zuständige Bezirksgericht war das in Jönköping. Die Anklageschrift ist hier im Internet einsehbar (wobei, recht unprofessionell, Zitate gar nicht als solche kenntlich gemacht sind, nicht einmal durch Anführungszeichen, sondern vom normalen Anklagetext nur durch den Sinn der Worte zu unterscheiden sind).

Auf den 10 Fotos der Anklageschrift sind weitere Passagen von Christinas Äußerungen gut lesbar entnehmbar. Eine Passage umfasst „Morde am Freitag in Stockholm“, „an Carola und ihrem Sohn in Västerås“, verweist auf Vergewaltigungen sowie den politischen Umgang mit denen, „die den Islam in Europa hofieren“. „In Europa haben sie nichts zu suchen.“ Diese Sätze kommentiert die Anklageschrift wie folgt: „Die Mitteilung wurde von Christina Nilsson Öberg verbreitet, indem sie sie auf einer öffentlichen Facebook-Seite veröffentlichte, so dass mehrere Personen sie lesen und teilen konnten. Das geschah am 9. April 2017 in Jönköping, oder an einem anderen, unbekannten, Ort in Schweden. Christina Nilsson Öberg beging die Tat mit Vorsatz.“

2016 war Christina von „unbegleiteten Minderjährigen“ zusammengeschlagen und ernsthaft verletzt worden (bewusstlos- und blutig geschlagen) – was sicherlich hier und da zu einer Verhärtung ihrer Worte beitrug. Seitdem hat sie auch Probleme mit dem Gedächtnis. Nach dem Anschlag auf der Drottninggatan 2017 postete sie ein Video. (Es existierte das gleiche Video auch mit englischen Untertiteln, ist jetzt aber nicht mehr auffindbar.)

Im März 2018 direkt vor der ersten Verhandlung drehte Christina ein You-Tube-Video („Christinas egen berättelse – Riskerar nu fängelse för hets mot folkgrupp“). Darin drückt sie unter anderem ihre Angst vor der bevorstehenden Verhandlung aus. Später wurde das Video übrigens vor Gericht gegen sie verwendet.

Die erste Verhandlung war im März 2018. Wie die Online-Zeitung „Samtiden“ berichtet, räumte Christina keine Straftaten ein, zeigte aber offen ihre Frustration über eine zu verzeichnende Zunahme des radikalen Islam, Masseneinwanderung und Kriminalität in Folge davon. (Die Phänomene sind parallel zu Deutschland.) Sie sagte: „Mir geht es darum, davor zu warnen, dass der Islam eine gefährliche Ideologie ist.“ Ferner: „Ich bin immer meinen Weg gegangen und habe für die Schwachen Partei ergriffen. Ich hatte eine gute Kindheit, mit einem Vater, der Polizeichef war, in einer Familie, die sich immer in gesellschaftlichen Fragen engagierte.“ Anwalt Bertil Tingberg machte zudem geltend, dass andere Personen Zugang zu dem betreffenden Computer hatten und man damit die „Taten“ nicht speziell seiner Mandantin zugeordnet könne. Zudem führte er aus: „Religionskritik fällt unter die Meinungsfreiheit.“ Viele Internetquellen zum Fall beziehen sich auf den Stand vom März 2018. Christina wurde damals freigesprochen.

Anwalt Bertil Tingberg stand im März der Zeitung „Samtiden“ für ein kurzes Interview bereit. Darin sagte er mir auf die Frage, ob bei derartigen Fällen in Zukunft mit einer großen Zunahme zu rechnen sei, dass er in der Tat mit solch einem Zuwachs rechne. Technisch sei es immer schwierig, mit dem Computer durchgeführte Aktivitäten einer konkreten Person zweifelsfrei zuzuordnen. Dies ist ein Vorteil für die Angeklagten. Zudem, so Bertil Tingberg, trage immer der Ankläger die Beweislast.

Berufung, erneute Verhandlung, Gefängnis

Aber die Staatsanwaltschaft, in Gestalt von Lisa Hedberg, ging in Berufung. Dadurch kam es Mitte September 2018 erneut zu einer Verhandlung, diesmal vorm Göta hovrätt (einem Gericht einer höheren Instanz). Tomas Åberg (Bergström) war als „Zeuge“ anwesend und nannte Christina eine „Influencerin“ im Netz. Der Tatsache, dass auch jemand anderes Zugang zu dem fraglichen Computer hatte, begegnete das Gericht mit dem Statement, dass Christinas mündliche Äußerungen in Stil und Inhalt so sehr mit den schriftlichen übereinstimmten, dass es unwahrscheinlich sei, dass die schriftlichen Äußerungen von einer anderen Person stammten. Laut Gericht zeige sich darin eine „strafbare Missachtung gegen Menschen mit muslimischem Glaubensbekenntnis“. Solche Ansichten, schrieb das Gericht im Urteil, „borde utrotas i Sverige“ „sollten in Schweden ausgerottet werden“. Bemerkenswert ist hier tatsächlich die Wortwahl „utrota“, „ausrotten“.

Am 28. September dann der Schock: Christina Öberg wurde bei dieser Wiederaufnahme des Falls zu drei Monaten Gefängnis verurteilt . Zudem kommen 6.300 Kronen Kosten für den Rechtsanwalt auf sie zu. Sie brach in Tränen aus. „Ich bin erschüttert“, sagte sie. „Was habe ich falsch gemacht, um mit Verbrechern im Gefängnis zu sitzen?“ Ihr machen zudem ein schlechter Gesundheitszustand zu schaffen sowie Probleme, ihre Wohnung halten zu können. Interessant wäre, ob Amnesty International sich hier einsetzen würde.

Anwalt Bertil Tingberg sagte in einem Interview (publiziert 1.10.2018), Gefängnisstrafen für HMF seien sehr ungewöhnlich. Er kenne keinen anderen Fall. Auch im Verhältnis zu anderen Typen von Verbrechen sei das Urteil auffällig hart. Der betriebene Aufwand für den „Fall“ war erheblich, und Samtiden führt aus, dass sonst oft gesagt werde, die schwedische Polizei habe keine Ressourcen, um z. B. Vergewaltigungen nachzugehen.

Zwei Reaktionen im Internet:

– „Därmed har Sverige skapat sin första politiska fånge.“ – „Damit hat Schweden seine(n) erste(n) politische(n) Gefangene(n) geschaffen.“

– „Kan den här domen markera en övergång till hårdare tag mot personer, som bryter mot HMF? Kommer massor av politiska fångar att befolka landets fängelser under de kommande åren?“ – „Kann es sein, dass dieses Urteil den Übergang markiert zu einer härteren Gangart gegen Leute, die gegen HMF verstoßen? Werden in den kommenden Jahren Massen von politischen Gefangenen die Gefängnisse des Landes bevölkern?“

Eine neue Juristengeneration? Hoffentlich nicht!

Nachdenklich muss auch folgende Frage stimmen: Was sind das für Staatsanwälte und Richter, die auf solche Urteile hinarbeiten bzw. sie verhängen? Anscheinend finden sie politische Verfolgung normal und sind sich keines Problems bewusst, können die politische Verfolgung vermutlich nicht einmal als solche identifizieren. Das fragt man sich z. B. für die junge blonde Lisa Hedberg, die ja sogar in Berufung ging, um die von ihr gewünschte Haftstrafe zu erreichen. Oder in Deutschland fragt man sich das für den Amtsrichter Christian Calame, der eine Putzfrau wegen weniger Zeilen auf Facebook zu 1.560 Euro Strafe verdonnerte. Anscheinend haben diese Nachwuchsjuristen mit solcher „Arbeit“ kein Problem.

Den Geschehnissen muss entgegengehalten werden: „Politische Verfolgung“ ist nie der richtige Weg. Sind die Verhältnisse in einem Land normal, und wird eine normale Politik betrieben, dann kommt es gar nicht in größerem Ausmaß zu diesem Ausmaß an Bedürfnis in der Bevölkerung, sich deftig oder auch nur sehr kritisch zu äußern. Es ist kein Zufall, dass gerade die zwei europäischen Länder mit der stärksten Immigrationspolitik auch diejenigen sind, die am vehementesten gegen Bürger vorgehen, die Kritik äußern. Die zwei Dinge sind gekoppelt: Denn nur bei Unterdrückung (und verzerrter Information) kann so hohe Einwanderung durchgedrückt werden.

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