Am 9. September war Reichtagswahl in Schweden. Am Dienstag, dem 25. September verlor dann Sozialdemokrat Stefan Löfven eine Abstimmung im Parlament über sein Amt und ist damit seinen Posten als Staatschef los. Dies wurde auch in deutschen Medien gemeldet.
Aber ganz so einfach ist die Situation nicht. Zunächst einmal bleibt er geschäftsführend im Amt, bis ein neuer „statsminister“ (so der Titel, in deutschen Medien zumeist übersetzt „Ministerpräsident“) gefunden worden ist. Es gibt in Schweden nicht das Prinzip des konstruktiven Misstrauensvotums, durch dessen Mechanismus immer sogleich ein anderer Kanzler gefunden werden kann.
Zudem könnte Löfven auch wieder antreten, falls er genug Parteien hinter sich scharen kann – was jedoch unwahrscheinlich ist. Er wird vermutlich noch eine Weile auf der Bühne sein, aber dann tatsächlich verschwinden. Unter seiner Ära machte er Schweden zu demjenigen europäischen Land, das 2015 und in Folge wie kaum ein anderes massiv die Einreise von „Flüchtlingen“ betrieb – konkurrierend natürlich mit Deutschland, das unter Merkel genauso verfuhr. Die Wahlschlappe von Löfven und seiner Sozialdemokraten ist sicher zumindest in Teilen auf diese Politik kausal zurückzuführen.
Die Wahlresultate
Die Wahlresultate stehen seit ca. Mitte September fest. Dem neuen Reichstag gehören wie dem alten die gleichen acht Parteien an, jedoch mit verschobenen Gewichten. Will man die Parteien von links nach rechts ordnen, so kann das etwas wie in der folgenden Darstellung geschehen.
Die Tabelle beginnt mit Prozentzahl und Mandaten; dann zeigt + oder – an, ob die Zahl der Mandate seit der vorherigen Wahl 2014 zu- oder abnahm. Der dann folgende Buchstabe oder die zwei Buchstaben steht / stehen für die in den schwedischen Medien typische Abkürzung. Als letztes werden diejenigen Politiker genannt, die im folgenden Text erwähnt werden.
Bezüglich der Grünen, jetzt kleinste Partei, fanden Demoskopen übrigens heraus, dass ihr Überspringen der 4-Prozent-Hürde nur deswegen gelang, weil manche Wähler, die eigentlich anderen Parteien näher stehen, sie wählten, um ihr Überleben im Parlament zu sichern. Das ist der Effekt, den man in Deutschland „Leihstimmen“ nennt.
Wichtig ist nun die traditionelle Einteilung in Blöcke, d. h. typischerweise zusammenarbeitende Parteiengruppen. Die drei ersten Parteien bilden den Block „Rot-Grün“, die nächsten vier die „Allianz“ (Bürgerliche), und die Schwedendemokraten sind ein Block für sich. Das ergibt diese Bilanz in Sitzen (mit Gewinn / Verlust-Anzeige):
Dabei ist das Plus der Allianz nur minimal, das Plus der Schwedendemokraten und das Minus von Rot-Grün dagegen deutlich. Wie ersichtlich, hat aber Rot-Grün einen Sitz mehr als die Allianz. Wer will, könnte argumentieren, dass gerade durch die Praxis der Einbürgerungen, und damit das Verteilen des aktiven Wahlrechts, dieser Effekt erzeugt wurde. Denn Einwanderer wählen überproportional links, so z. B. im Stockholmer Stadtteil Rinkeby fast 80% Sozialdemokraten.
Vgl. dazu Deutschland 2002, nachdem Rot-Grün den „Doppelpass“ eingeführt hatte: Damals unterlag Stoiber nur sehr knapp Schröder.
Jedoch, und das ist wichtig, haben weder Rot-Grün noch die Allianz eine Mehrheit.
Die Konsequenzen
Obwohl also das Wahlergebnis feststeht, ist noch keineswegs klar, wer das Land regieren wird. Und damit auch, welchen Kurs das Land einschlagen wird, denn mit Parteien und Personen steht und fällt alles.
Stefan Löfven will erneut Ministerpräsident werden und argumentiert, trotz der Verluste sei sein Block immerhin noch der größte. Das Problem ist nur, dass er zur Mehrheit Stimmen aus der Allianz bräuchte, und die werden ihm – anders als 2014 – diesmal verweigert. Dennoch hat er noch winklige Argumente in der Tasche: Wenn sein Block nicht den Ministerpräsidenten stellen dürfe, dann werde ein undemokratisches Prinzip in der schwedischen Geschichte verankert, dass dies nicht der größte Block macht, und an der Etablierung undemokratischer Prinzipien beteilige er sich nicht. Er übersieht dabei, dass eine Mehrheit auch anders zustande kommen kann, und zwar gegen ihn. Löfven arbeitet also kräftig an seiner eigenen Reanimation, aber das Werk eines Sanitäters will ihm nicht gelingen.
Ulf Kristersson ist Chef der Moderaten und damit der mit Abstand größten bürgerlichen Partei. Nur zu gerne würde er jetzt an die Macht gelangen. Das Problem: Auch er bräuchte Stimmen von außerhalb seines Blocks. Aus dem linken Spektrum werden diese wohl nicht kommen. Damit wäre er auf die Stimmen der Schwedendemokraten angewiesen. Die aber will er nicht haben, da die SD in vielen Medien als „Schmuddelkinder“ dargestellt werden – ähnlich der AfD in Deutschland. Die SD haben unter ihrem Chef Jimmie Åkesson in der Tat angekündigt, Kristersson zu wählen. Kristerssons Dilemma: Stellt er sich zur Wahl, dann gewinnt er sie! Aber auf eine Art, die er nicht will.
Schweden ist nicht Österreich, Kristersson ist nicht Kurz
Es ist nichts Ungewöhnliches in Europa, dass traditionelle Blöcke es nicht mehr schaffen, mehr als 50% der Wählerstimmen sowie der Mandate auf sich zu vereinigen. Ursache sind die zunehmenden „alternativen“ Parteien, die übrigens auch durchaus mal linkspopulistisch ausfallen können, vgl. Italien (Cinque stelle), Griechenland (Syriza). In Deutschland führt das zu einem Drift in die „großen Koalitionen“ auf Bundes- und oft Landesebene – wobei zu „groß“ anzumerken ist, dass die auch immer kleiner werden.
Vergleichen wir Schweden nun mit Österreich. Wichtig ist vor der Wahl / nach der Wahl. In Österreich hatte letztes Jahr die ÖVP bereits vor der Wahl angekündigt, möglicherweise mit der FPÖ zu koalieren, die SPÖ allerdings auch. Es war somit keine Überraschung, dass Sebastian Kurz in der Tat nach der Wahl eine ÖVP-FPÖ-Koalition formte. Zudem gab es bereits einen Präzedenzfall: Unter Schüssel hatte Österreich bereits einmal eine ÖVP-FPÖ-Koalition gehabt. Ganz anders in Schweden: Der Wahlkampf war vom Ausschließen und „mit denen nicht“ geprägt gewesen, und so legen sich die Parteien jetzt lahm. Dabei schert aber die Chefin der Christdemokraten, Ebba Busch Thor, aus der Allianz aus und kann sich doch eine Zusammenarbeit mit den SD vorstellen.
Hinzu kommt Kristerssons Persönlichkeit: Er ist vielleicht seriös, aber fade und spröde. Er taktiert. Er weiß nicht genau, wohin er will, und er hat keine Visionen. Hinsichtlich etwaigen Charismas und Charmes verkörpert er geradezu die Antithese zu Kurz.
Kristersson ist auch erst seit kurzem Chef der Moderaten – nachdem seine Vorgängerin Anna Kinberg Batra das Handtuch werfen musste. Die ganze Partei wusste in manchen Themen im Wahlkampf nicht, wie sie sich positionieren sollte. Kristersson hatte also wenig Zeit, erst einmal als Parteichef und Oppositionspolitiker von Gewicht zu wachsen; nun muss er möglicherweise gleich als Regierungschef einen Reifeprozess in erhöhter Geschwindigkeit hinlegen und sich obendrein innerhalb europäischer Entwicklungen, die ja durchaus manchmal Dramatik aufweisen, behaupten.
Wie es weitergeht
Andreas Norlén ist „Talman“, vielleicht in etwas das, was ein Bundestagspräsident in Deutschland ist. Er empfängt in diesen Tagen die Parteichefs an einem kleinen ovalen Tisch, auf dem Getränke serviert werden, und diskutiert mit ihnen mögliche Szenarien einer Regierungsbildung. In Schweden gibt es traditionell oft Minderheitsregierungen; es muss keine Koalition mit über 50% der Mandate im deutschen Sinne gebildet werden. Es geht vielmehr um „samarbete“ „Zusammenarbeit“. Es war auch schon im Gespräch, dass Annie Lööf, also die Chefin einer der kleineren Parteien, die lachende dritte neben Löfven und Kristersson werden kann: als Kompromisskandidatin von Rot-Grün und Allianz. Dann aber wird zumindest die Migrationspolitik nicht stark geändert.
Erst nach Bildung einer Regierung werden elementare Grundzüge davon sichtbar sein, wie Schweden seinen Weg weitergehen wird. Falls Kristersson Ministerpräsident wird, dürfte es sogar noch etwas länger dauern, bis man weiß, woran man ist. Die Regierungsbildung hat massive Auswirkungen beispielsweise auf die Migrationspolitik und die politische Verfolgung. Aus Deutschland wissen wir seit letztem Winter, dass Regierungsbildungen etwas länger dauern können.
Eine Rolle wird auch die Entwicklung der öffentlichen Meinung sein. Eine Umfrage unter Wählern wurde zweimal durchgeführt, vor und nach der Wahl. Die Frage lautete: Sollen die anderen 7 Parteien mit den SD bei Themen, bei denen die Ziele gleich sind, zusammenarbeiten? Dabei kam nun heraus, dass unter Wählern der Allianzparteien die Zustimmung gestiegen ist: Mehr Allianz-Wähler wollen tatsächlich nun solch eine Zusammenarbeit mit den SD.
Anzahl der Allianz-Wähler je nach Partei, die einer Zusammenarbeit zustimmen (in Prozentpunkten):
Würden also z. B. die Moderaten bei Themen, bei denen ihre Ziele mit denen der SD übereinstimmen, mit ihnen zusammenarbeiten, könnten sie drei Viertel ihrer Wähler hinter sich wissen.
Die Zeitung Svenska Dagbladet meldet sogar das Ergebnis einer Untersuchung des Meinungsforschungsinstituts Sifo, nach der 7% der Wähler bereits bereuen, was sie gewählt haben – dabei insbesondere Allianz-Wähler, von den viele jetzt SD wählen würden (Teile des Artikels hinter Bezahlschranke, aber Lesbares reicht aus). Schweden bleibt in Bewegung.