Tichys Einblick
Wo Leistung nichts gilt

Schwache Medaillenbilanz – Symptomatisch für dieses Deutschland?

Der Abstieg der Sportnation Deutschland hat mentale Gründe. Man muss sich ja für nichts mehr anstrengen in Deutschland. Staat und Zivilgesellschaft reden zudem jedermann ein, er sei zu allem fähig: ohne Risiko, ohne Eigenverantwortung, ohne Schweiß, ohne Bedürfnisaufschub.

IMAGO/ANP

Die Olympischen Spiele 2020, wegen Corona in den Sommer 2021 nach Tokio verlegt, sind zu Ende gegangen. Es gab 339 Wettbewerbe und damit insgesamt 1.017 Medaillen. Die Deutschen bringen 37 davon nach Hause: 10 goldene, 11 silberne, 16 bronzene. Sie landeten damit auf Platz 9 des Medaillenspiegels. Weit hinter den USA, China und Japan, die die Plätze 1, 2 und 3 mit 113, 88 bzw. 58 Medaillen einheimsten. Weit auch hinter Platz 4 mit Großbritannien, das mit 65 Medaillen (22 Gold, 21 Silber, 22 Bronze) in die Heima.t zurückreist.

Der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), Alfons Hörmann, meinte zum Abschneiden der deutschen Mannschaft: „Die sportliche Bilanz ist insgesamt in Ordnung.“ Wirklich „in Ordnung“? Bei so viel Selbstzufriedenheit sei der Blick doch einmal zurückgewendet in das Jahr 1964, als es nach dem Bau der Mauer von 1961, vorläufig zum letzten Mal und ebenfalls in Tokio, eine gesamtdeutsche Mannschaft gab, und ins Jahr 1992, als in Barcelona nach der Wiedervereinigung erstmals wieder eine gesamtdeutsche Mannschaft antrat.

Hierzu nachfolgend ein paar trockene Zahlen zum Vergleich, bei dem wir zugleich die Inflation an Wettbewerben berücksichtigen. Vernachlässigen wollen wir die Olympischen Spiele von 1968 bis 1988, in denen es zwei getrennte deutsche Mannschaften gab bzw. 1980 keine bundesdeutsche Mannschaft gab. Die Bundesrepublik hatte die Spiele in Moskau zusammen mit den USA und weiteren 40 Ländern wegen des Einmarsches der Sowjetunion in Afghanistan (!) boykottiert.

In Worten: Deutsche Olympia-Teams lagen 1964 und ab 1992 immer unter den besten sechs Nationen bei den Spielen. 2020/2021 nun hat Deutschland die schlechteste Bilanz seither. Abgezeichnet hatte sich diese Negativentwicklung bereits 2008 bei den Spielen in Peking, als die deutsche Mannschaft mit 41 Medaillen nur noch die Hälfte der 82 in Barcelona im Jahr 1992 errungenen Medaillen in der Bilanz hatte. 1992 freilich waren die Früchte der DDR-Sportpolitik noch zu ernten.

Dann ging es bergab. Womit hat das zu tun? Ehemalige Weltklasseathleten, zum Beispiel der Schwimmer Michael Groß (*1964), bei den Olympischen Spielen 1984 und 1988 Gewinner von drei Goldmedaillen, meint heute, es liege an strukturellen Problemen im deutschen Leistungssport. Nun ja, das mag richtig sein.

Sendung 15.07.2021
Tichys Ausblick Talk: „Was ist in diesen Zeiten noch normal?“
Aber wir stellen parallel dazu fest: Deutschland fällt ja fast überall zurück. Das Zurückfallen im Sport ist ein Symptom davon. Übrigens auch im Profifußball. Man denke nur an das miserable Abschneiden bzw. Ausscheiden der Fußball-„Mannschaft“ (vormals: „Deutsche Nationalmannschaft“) bei der Weltmeisterschaft 2018 bereits in der Gruppenphase und bei der Europameisterschaft 2020/2021 im Achtelfinale.

Nun die These: Der Abstieg der Sportnation Deutschland hat mentale Gründe. Man muss sich ja für nichts mehr anstrengen in Deutschland. Vater Staat sorgt für jeden für eine „komfortable Stallfütterung“ (Begriff von Wilhelm Röpke, eines Vaters der Sozialen Marktwirtschaft). Staat und Gesellschaft reden zudem jedermann ein, er sei zu allem fähig: ohne Risiko, ohne Eigenverantwortung, ohne Schweiß, ohne Bedürfnisaufschub. Im Erziehungs- und Bildungsbereich fängt es an. Helikoptereltern räumen ihren Nachwuchs alles aus dem Weg und halten sie bereits bei dürftigen Kritzeleien für Genies. Das Bildungssystem suggeriert Eltern, alle Kinder könnten aufs Gymnasium. Kaum einer bleibt mehr sitzen. Die Abiturquoten explodieren, die Noten 3 und schlechter kommen im Abitur kaum noch vor. Abiturdurchschnittsnoten ganzer Bundesländer und einzelner Schulen ohnehin tendieren in Richtung 2,0 oder gar 1,95. Immer mehr junge Leute studieren, eine Berufsausbildung machen immer weniger. Die Bachelor- und Masterdiplome weisen fast nur noch ein „sehr gut“ oder „gut“ aus. 30.000 junge Leute erwerben pro Jahr den Doktor-Grad … Und: Der Sportunterricht verlangt immer weniger Leistung. Leistungsmessung und Benotung sind hier schier igittigitt geworden. Einzelsportarten, wo es wirklich auf den Einzelnen ankommt, verlieren an Bedeutung. Man will einfach nur Fußball oder Volleyball spielen, weil man sich hier hinter der Mannschaft verstecken kann, ohne zu schwitzen.

Wie gesagt: Die sportliche Bilanz dieser „Nation“ (wenn man sie denn noch so nennen soll) ist ein Symptom neben vielen anderen: neben den schwachen Bilanzen bei Patenten oder gar Nobelpreisen. Will sagen: Deutschland befindet sich allerorten im freien Fall! Die Ostasiaten machen es anders.


Die mobile Version verlassen