Der unsympathischste unter den Schlümpfen ist Schlauby. Die anderen sind fröhlich und bescheiden. Auch können sie alle etwas, das sie ausmacht: Handwerken, Malen, Kochen oder Dichten. Der Schlumpf mit der Brille macht nichts richtig, weiß aber alles besser. Er hat zwei Aufgaben: Papa Schlumpf erfolglos bei dessen Experimenten zu assistieren und den anderen Schlümpfen mit Belehrungen auf die Nerven zu gehen.
Zwischen Schlauby und Christian Lindner gibt es große Unterschiede. Lindner trägt keine Brille und er ist nicht bei den Schlümpfen, sondern in der FDP. Davon abgesehen hat Lindner dem Kölner Stadt-Anzeiger ein Interview gegeben. Darin benennt er klar, wer alles für Missstände in Deutschland verantwortlich ist. Spoileralarm: Er selbst ist es nicht.
Aber wenigstens die Wahlniederlagen der FDP – die haben doch etwas mit deren Vorsitzenden zu tun? Der heißt übrigens Christian Lindner. Aber nein, schuld an den Wahlniederlagen der FDP ist jemand ganz anderes: „die Regierung“. Sie erfülle insgesamt „nicht die Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger“. Gegen Christian Lindner war Pontius Pilatus jemand, der sich aufgedrängt hat, Verantwortung zu übernehmen.
Mit diesem Stil, für nichts verantwortlich sein zu wollen, hat Lindner die Wahlniederlagen seiner Partei verschuldet – und die FDP in eine Situation geführt, in der ihr 2025 ernsthaft der Rauswurf aus dem Bundestag droht. Das Beispiel Atomausstieg macht anschaulich, wie das läuft: 2011 war die FDP in der Bundesregierung, als die „Ära Merkel“ den Atomausstieg beschloss. 2022 hätte die FDP in der Energie-Krise die Chance gehabt, den Weiterbetrieb von drei bis sechs Atomkraftwerken zu ermöglichen. Christian Lindner hat dafür auch gekämpft wie ein Löwe. Allerdings wie ein Löwe, dessen Fell im Badezimmer von Robert Habeck (Grüne) liegt.
Christian Lindner ist aber Teil der Regierung, die insgesamt „nicht die Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger“ erfüllt. Vor allem nicht die Erwartungen der FDP-Wähler. Diese Wähler bedient deren Chef nur verbal. Da fordert er, Arbeit müsse sich lohnen und wer arbeitet, müsse mehr Geld in der Tasche haben. Tatsächlich hat Lindner der Erhöhung des Bürgergeldes um 25 Prozent innerhalb eines Jahres zugestimmt. Zusammen mit der geplanten Kindergrundsicherung ist die FDP damit an einer Regierung beteiligt, die das Prinzip „Leistung muss sich lohnen“ abschafft zugunsten des Mottos „Der Staat kümmert sich drum. Wumms“.
Die FDP hat in der Koalition mit der SPD und den Grünen viele Kröten geschluckt. Sie selbst hat aber kein Projekt, mit dem sie vor den Wähler treten und anhand dem sie ihm klarmachen kann, dass da die liberale Handschrift zu erkennen sei. Lindner hofft, das solide Haushalten, das Einhalten der „Schuldenbremse“ sei dieses Projekt. Doch das ist aus zwei Gründen recht wenig. Zum einen gilt das Thema Haushalt für Wähler grundsätzlich als unsexy.
Zum anderen nehmen die Wähler Lindner das seriöse Haushalten nicht ab. Denn die „Schuldenbremse“ kann der Finanzminister nur einhalten, weil Deutschland vorab Schulden gemacht hat wie nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik. Dieses Schuldengeld hat Lindner in Töpfe wie das Sondervermögen Bundeswehr oder den Transformationsfonds gesteckt. Aus diesen Töpfen macht die Ampel weiterhin Politik an der „Schuldenbremse“ vorbei.
Zumal die Ampel unter Finanzminister Lindner jetzt Schwellenwerte überschreitet, ab denen sich die gefährlichen Folgen der Schuldenpolitik zeigen, die große Koalition und Ampel in den letzten drei Jahren betrieben haben. Die steigende Zinslast für den Bund ist da noch das oberflächlichste Anzeichen. Sie liegt mittlerweile bei immerhin rund 40 Milliarden Euro im Jahr. Doch das Problem reicht tiefer.
Die Steuerschätzung hat gezeigt, dass der Bund nicht mehr aus den Bürgern rausholen kann. Auch nicht auf Schulden basiert. Nach der Schätzung nimmt der Bund seinen Bürgern im nächsten Jahr 381 Milliarden Euro an Steuern ab. Im Mai waren die Schätzer von 4 Milliarden Euro weniger ausgegangen. Doch dieser Zuwachs ist kein Zeichen einer florierenden Wirtschaft; es ermöglicht dem Finanzminister auch keine weiteren Spielräume. Diese Räume werden durch steigende Kosten des Bundes zugestellt – etwa durch höhere Entgelte fürs Personal oder den zusätzlichen Kosten fürs „Bürgergeld“. Es ist die Inflation, die dem Staat zusätzliches Geld zutreibt: Höhere Preise sind gleich höhere Einnahmen in der Mehrwertsteuer. Lohnsteigerungen sind gleich höhere Lohnsteuern.
Nur: Der Staat nimmt Geld ein. Das ist die eine Sicht auf den Vorgang. Der Bürger muss zahlen, das ist die andere Sicht. Letztere wird gern vernachlässigt. In den Medien und bei den Koalitionspartnern der FDP. In der Folge kommen immer mehr Bürger an die Belastungsgrenze. Zum einen eben durch die Inflation, die dem Bund nächstes Jahr noch mehr Steuern in die Hände treibt.
Die Preissteigerungen schwächen die Kaufkraft aller Deutschen. Mit der Inflation steigen zum anderen aber auch die Steuern, was Arbeitnehmern einen Großteil von möglichen Lohnerhöhungen wegfrisst. Die Empfänger von Bürgergeld bekommen indes eine Erhöhung von 25 Prozent innerhalb eines Jahres. Netto. In Lindners Aussagen muss sich Arbeiten lohnen. Durch Lindners Taten wird Nichtarbeiten immer attraktiver.
Arbeitnehmer sind den Preissteigerungen voll ausgesetzt, von Lohnerhöhungen frisst ihnen der Staat einen großen Teil weg. Das führt dazu, dass es ihnen an Geld fehlt. Das wirkt sich wiederum im Einzelhandel aus. Dessen Umsatz ist von August auf September real um 0,8 Prozent zurückgegangen, wie das Statistische Bundesamt mitteilt. Über ein ganzes Jahr gesehen ist demnach der Umsatz sogar real um 4,3 Prozent zurückgegangen.
Das trägt dazu bei, dass die Wirtschaft insgesamt auf dem Rückzug ist. In den Sommermonaten ist sie laut Statistischem Bundesamt um 0,1 Prozent im Vergleich zum zweiten Quartal geschrumpft. Über den Jahresvergleich beträgt der Rückgang preisbereinigt sogar 0,8 Prozent. Deutschland erlebt eine Rekord-Beschäftigung, eine Rekordzuwanderung und Rekord-Steuereinnahmen. Trotzdem schrumpft das Bruttoinlandsprodukt. Unter FDP, SPD und Grünen werden die Deutschen ärmer. Diese Armut wirkt sich aus. Obwohl die Inflation immer noch bei 3,8 Prozent liegt, steigen die Steuereinnahmen eben nur um gut 1 Prozent. Unter Finanzminister Lindner hat die Ampel zu stark am Steuerrad gedreht.
Doch nicht einmal mit der erneuten Erhöhung sind die Krankenkassen seriös finanziert, wie der Verband der Ersatzkassen warnt. Lauterbachs Rechnung beruhe allein „auf den bereits für 2024 bekannten Ausgabenposten“. Doch es gebe neue „Ausgabenrisiken“. Etwa in Folge der Krankenhausreformen. Außerdem erinnern die Ersatzkassen die Ampel daran, dass die sich vorgenommen haben, die steigenden Kosten in der Sozialversicherung nicht einseitig auf die Arbeitnehmer zu verteilen – aber genau das tun würden.
Lindner und die Ampel haben in der Ausgabenspirale gefährliche Grenzen überschritten. Auch der Finanzminister, vor allem aber „Wirtschaftsminister“ Habeck haben eigentlich darauf gehofft, dass höhere Steuern als Folge der Inflation ihre geplanten Ausgabenorgien finanzieren. Mit einem Wachstum von nur 4 Milliarden Euro hat sich das als weiteres „Wishful Thinking“ des Kinderbuchautors erwiesen.
Und selbst dieses Wachstum um 4 Milliarden Euro steht auf wackligen Füßen. Von September zu September ist die Wirtschaft um 0,8 Prozent geschrumpft. Im nächsten Jahr soll sie nach Erwartung der Ampel um gut 1,0 Prozent steigen. Diesen Optimismus teilt die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) aber nicht. Sie hat jüngst mitgeteilt, dass sie für nächstes Jahr mit einer Stagnation der Wirtschaft rechnet. Das käme folglich einer Wachstumsrate von 0 Prozent gleich.
Motor für das Wachstum sollte nach Prognose der Ampel die Binnennachfrage sein. Also wachsende Ausgaben für Konsum. Die sieht die DIHK aber nicht kommen. Ein Blick auf die schrumpfenden Zahlen im Einzelhandel bestätigt die Zweifel der Kammer. Auch geht die Ampel davon aus, dass die Inflation weiter zurückgeht und vor allem die Preise für Energie sinken. Das solle der Wirtschaft zum Wachstum verhelfen: Ist der Strompreis also nicht mehr sehr viel teurer als im Ausland, sondern nur noch viel teurer als im Ausland, wäre das für die Ampel entsprechend ein Erfolg. Ob aber nur „viel teurere Strompreise“ wirklich Investoren anziehen, ist zweifelhaft. Gelinde gesagt.
Setzt sich Habeck gegen Lindner durch und Deutschland weicht die „Schuldenbremse“ noch weiter auf, dann brechen Dämme. Wirtschaftspolitisch. Die Zinslasten des Bundes würden entsprechend steigen. Zudem würde Deutschland mit gigantischen Ausgabepaketen die Bemühungen der EZB unterlaufen, mit Zinserhöhungen die Inflation zu drosseln. Grüne, SPD und FDP würden dann entscheiden, welchem Bürger sie mit Steuergeld zu einer Scheinblüte verhelfen und welcher Bürger die weiterhin steigenden Preise ganz ohne Hilfe zahlen müsste. Nach einer kurzen Scheinblüte würde die deutsche Wirtschaft noch weniger wehrhaft sein, als sie es ohnehin schon ist.
In der Koalition bleiben muss Lindner trotzdem. Ein Austritt der FDP aus der Ampel würde zu Neuwahlen führen. Dann droht den Liberalen ein Horrorszenario: Sie kommen nicht mehr in den Bundestag und die Freien Wähler schaffen den Einzug. Dann wäre die FDP für alle Zeit erledigt. Ein Comeback der FDP wie 2017 wäre ohne jede Aussicht, wenn jemand anderes im Parlament liberale Positionen vertreten kann. Auf was genau die FDP für 2025 indes hoffen soll, wenn die FDP in der Ampel bleibt, weiß niemand. Nicht einmal Christian Lindner.
Für Lindner selbst sieht es bei einem Verbleib in der Ampel anders aus. Er hätte noch zwei Jahre als Minister Zeit, einige Gefälligkeiten zu erweisen, die nach 2025 auf ihn als Privatmann zurückfallen könnten. Und wenn das nicht klappt, ist es auch egal. Ein Fernsehen, das Mister Zwei Prozent Marcel Fratzscher immer wieder als Experten besetzt, hat auch Platz für den Schlauby Schlumpf der FDP. Und für den müsste es eigentlich eine Erleichterung sein, wenn er allen sagen kann, welche Schuld sie tragen – ohne an seine eigene erinnert zu werden.