In die Geschichte der Bundesrepublik wird 2023 als ein Schreckensjahr eingehen. Sicher die Stabilität des Landes, sein Wohlstand, und seine Zukunftsfähigkeit wurden schon durch den Angriff Russlands auf die Ukraine 2022 untergraben. Mit dem Ausbruch eines Krieges im Osten Europas wurden zentrale Annahmen der deutschen Politik, wie sie in den letzten 20 bis 30 Jahren zur selbstverständlichen Grundlage politischer Entscheidungen geworden waren, in Frage gestellt, etwa die feste Überzeugung, dass Deutschland nie wieder Streitkräfte benötigen würde, die in der Lage wären, das deutsche Territorium zu verteidigen. Aber auch die gängigen Planungen für die deutsche Energiepolitik wurden zur Makulatur, denn das einigermaßen preiswerte russische Gas steht jetzt nicht mehr zur Verfügung, einerseits als Folge der Sanktionen gegen Russland und der unvermeidlichen russischen Gegenmaßnahmen, andererseits aber auch, weil die Pipelines, die das Gas transportieren sollten, von einer unbekannten Macht in die Luft gesprengt wurden. Dass diese Ereignisse die politischen Planungen der Ampelregierung über den Haufen warfen, ist im Prinzip nachvollziehbar. Weniger leicht verständlich ist aber, dass die Regierung sich der Herausforderung durch die neue Situation nicht, oder nur unzureichend stellte.
So blieb eine massive Steigerung der Rüstungsproduktion, wie sie etwa bei der Herstellung von Munition notwendig wäre, um die Ukraine weiter zu unterstützen, weitgehend aus. Sicher, das gilt auch für viele andere europäische Länder, zeigt aber doch, dass man in Berlin annahm, trotz der veränderten Lage auf eine wirkliche politische Wende – die nur rhetorisch beschworen wurde – verzichten zu können. Das galt natürlich auch für die Energiepolitik, bei der man trotz aller Warnungen eisern am vorher beschlossenen Atomaussteig festhielt. Welche Folgen diese Politik haben würde, wurde dann freilich erst im Laufe des Jahres 2023 wirklich deutlich.
Aber die Probleme sind natürlich nicht nur wirtschaftlicher Art. Unter Merkel wurde aus unterschiedlichen Gründen und sicherlich auch im Einklang mit den juristischen Vorgaben durch die EU (was man gerne vergisst) eine Politik eingeleitet, die bewusst auf jeden Versuch verzichtete, Immigration irgendwie zu steuern oder zu begrenzen. Diese Politik wurde von der Regierung Scholz fortgesetzt und noch gesteigert. Die Folgen sind mittlerweile im Alltag deutlich spürbar.
Viele Kommunen sind den Belastungen schon rein logistisch nicht mehr gewachsen, die Kosten, die der öffentlichen Hand durch die Migration jährlich entstehen, liegen mittlerweile nach einschlägigen Schätzungen bei annährend 50 Milliarden jährlich (nahezu so viel wie die Bundeswehr kostet), und von einer wirksamen und einigermaßen raschen Integration kann oft nicht gesprochen werden. Das gilt sowohl für die Integration in den Arbeitsmarkt, wie auch für das Sozialverhalten vieler Neuankömmlinge oder deren Bereitschaft, sich auf eine für sie fremde, eben westliche und – wagt man es zu sagen, oder ist das schon „völkisch“? – deutsche Kultur auch nur ansatzweise einzulassen.
Die Gesellschaft wird vor unseren Augen kulturell immer heterogener. Das kann man in Bereichen wie Musik, Kunst, Literatur und Gastronomie tatsächlich als Bereicherung sehen, dort aber, wo es um soziale Verhaltenskonventionen im Alltag geht, etwa zwischen den Geschlechtern, sehen die Dinge doch etwas anders und weniger rosig aus. Wir steuern im Grunde genommen auf eine low trust-society zu, eine Gesellschaft, in der sich die Menschen instinktiv misstrauen, weil sie sich als Mitglieder sehr diverser ethnischer Gruppen sehen, die nicht mehr viel miteinander gemein haben, und sich namentlich dann, wenn die kulturellen Unterschiede durch religiöse Faktoren verstärkt werden, auch eher mit Antipathie als Sympathie begegnen. Wer andere Menschen primär als Ungläubige und wegen ihres Lebensstils, ihrer Ernährung und ihrer Sexualmoral sowie ihres Frauenbildes als „unrein“ und als verweiblicht – angesichts der vermeintlich mangelnden Maskulinität – wahrnimmt, wie das für das Verhältnis vieler konservativer Muslime zu westlichen Nicht-Muslimen gilt, wird natürlich Distanz zu ihnen halten oder sie sogar verachten, was dann aber auch eine entsprechende Abwehrreaktion auf der Gegenseite auslöst, oft auch schon präventiv, bevor es zu einem wirklichen Konflikt gekommen ist.
Umso wichtiger wäre es jetzt, alle Möglichkeiten auf nationaler und europäischer Ebene zu nutzen, um Zuwanderung stärker zu kontrollieren und zu begrenzen. In Deutschland geschieht aber weiter das Gegenteil, und von diesem Kurs sind auch weder die SPD noch die Grünen wirklich abzubringen. Sicherlich, es gibt jetzt immerhin stärkere Grenzkontrollen, die allerdings auch auf Grund der einschlägigen EU-rechtlichen Vorschriften nur eine begrenzte Wirkung haben und die vom Kabinett eigentlich schon beschlossenen Maßnahmen zur beschleunigten Rückführung abgelehnter Asylbewerber wurden jetzt von den Grünen bewusst torpediert, während der letzte SPD-Parteitag beschlossen hat, den Familiennachzug bei Immigranten noch mehr zu erleichtern, was Deutschland angesichts seiner im europäischen Vergleich üppigen Sozialleistungen natürlich auch für reine Armutsmigranten noch attraktiver als bisher machen wird.
Die Regierung verfolgt bei immer stärkerem Gegenwind eine Politik des „Jetzt erst recht“
Bei den Sozialleistungen unterschiedlichster Art, auch für die heimische Bevölkerung, laufen die Kosten mittlerweile immer mehr aus dem Ruder, was aber für die Regierung nur ein Anlass ist, noch mehr Geld auszugeben. Was die Finanzierung diese Politik über Schulden betrifft, ist man jetzt freilich auf den Widerstand Karlsruhes gestoßen. Fairerweise muss man sagen, dass eine nationale Schuldenbremse ziemlicher Schwachsinn ist, wenn man einer Währungsunion angehört, die nun mal eine unbegrenzte Haftungsgemeinschaft ist, ohne dass man daran das Geringste ändern könnte. Auch hat Karlsruhe ja durch andere, z. T. geradezu übergriffige Urteile dem Staat erhebliche finanzielle Lasten auferlegt. Das gilt für das fatale Klima-Urteil, das im Grunde genommen ein Beispiel für eine klare ultra vires-Rechtsprechung war, in der Richter zu politischen Aktivisten wurden, aber auch für Auflagen, die Karlsruhe im Bereich der Sozialpolitik gemacht hat, etwa mit der Verpflichtung, auch abgelehnten Asylbewerbern nach einer gewissen Zeit volle Sozialleistungen zu gewähren, oder der bindenden Aufforderung, generell Allen ein Leben ohne Armut zu garantieren, egal was das kostet. Wir haben es heute in Karlsruhe bisweilen mit Richtern zu tun, deren Loyalität oft nicht mehr dem Staat gilt, dem sie ihre Position verdanken, sondern eher einer imaginären Weltgesellschaft, und die die Grenzen zwischen Politik und Rechtsprechung nicht mehr respektieren. Dennoch, die Schuldengrenze ist nun einmal seit einigen Jahren Teil unserer Verfassung, auch wenn sie nach den nächsten Wahlen vermutlich in der bisherigen Form fallen wird, und damit muss die Regierung irgendwie zurechtkommen.
Bei einer Regierung, die sich so komplett taub stellt an fast allen Fronten, wundert es einen nicht, dass die Bürger immer mehr das Vertrauen nicht nur in die Regierung selbst, sondern auch in den Staat an sich verlieren. Die Zustimmungswerte für die AfD in Umfragen, die mittlerweile klar über 20 % liegen und in den neuen Bundesländern noch weit darüber, sind ein Symptom dieser Entwicklung. Hätten wir einen Kanzler von Format und sei es auch nur das Format eines Gerd Schröder, der sicherlich seine Abgründe hatte und hat, aber doch Mut und Tatkraft in Krisen besaß, dann müsste jetzt in vielen Bereichen eine Kehrtwende eingeleitet werden. Sicher, es wäre schwierig, die Grünen mit ins Boot zu holen, sie haben ihre pragmatische Phase der Fischer-Jahre lange hinter sich gelassen und sind in den langen Jahren der Opposition wieder wie in den Anfängen zu einer Partei der reinen Lehre und der radikalen Utopisten und moralisierenden Schwärmer geworden. Argumenten, die von der Gegenseite kommen, sind sie grundsätzlich nicht zugänglich.
Ist der heutige Kurs der SPD einfach suizidal oder folgt er doch einer verborgenen machiavellistischen Logik?
Was die FDP betrifft, so kann sie ohnehin nur noch auf ein Wunder hoffen. Würde sie aus der Koalition aussteigen, wäre das zwar heroisch, würde aber ihren Untergang bei Neuwahlen kaum verhindern. Sie hat den Absprung längt verpasst, und gleicht einem zum Tode Verurteilten, der auf dem Weg zum Schafott tapfer lächelnd gute Miene zum bösen Spiel zu machen versucht. Aber was stimmt mit der SPD nicht? Früher gab es in der Partei immer auch Pragmatiker und die absolute und kompromisslose Ablehnung der Legitimität nationaler deutscher Interessen, durch die sich die Grünen nun einmal durchgehend auszeichnen, ist auch in der SPD früher nicht die Norm gewesen, obwohl es gerade in der Europapolitik immer auch solche Tendenzen gab.
Aber es gibt ohnehin noch eine andere Perspektive. Der Kanzler mag ahnen, dass nach der nächsten Wahl die SPD nicht nur das Kanzleramt verlieren wird, sondern auch auf längere Zeit keine Chance mehr haben wird, einen Regierungschef zu stellen. Eine Mehrheit für eine linke Regierung wie die jetzige wird es so bald nicht mehr geben. Die kommenden zwei Jahre sind also die letzte Chance, überhaupt noch einmal konsequent linke Politik zu machen, um die Gesellschaft nachhaltig und irreversibel zu verändern; mit dem Ziel vielleicht sogar jene sozialen Milieus, auf die sich eine stärker bürgerliche Regierung in der Zukunft stützen könnte, längerfristig strukturell zu schwächen.
Einerseits hofft man unter Umständen durch die forcierte Massenimmigration verbunden mit der Turbo-Einbürgerung der Immigranten neue Wähler für die eigene Partei gewinnen zu können, andererseits richtet sich die Politik der SPD mittlerweile auch massiv gegen die redlich arbeitende untere Mittelschicht, die früher oft zu den eigenen Wählern gehörte. Indem man durch immer mehr Abgaben, die Verknappung des Wohnraums, das Absenken des Bildungsniveaus und die Deindustrialisierung des Landes das Absinken dieser Schicht forciert, vermehrt man die Zahl derjenigen, die vom Staat abhängige Transferempfänger sind. Und ohne Zweifel definiert sich die SPD heute ganz fast ausschließlich als die Partei der Transferempfänger, die auf die Großzügigkeit des Staates angewiesen sind.
Rentner und die entsprechenden sozialen Schichten gehörten immer zu guten Teilen zur Klientel der SPD, aber jetzt setzt man fast ausschließlich auf diese Wähler. Kann man ihre Zahl durch eine möglichst große Armutsmigration und eine entsprechende mittelstandsfeindliche Wirtschaftspolitik vermehren, könnte das somit der SPD langfristig durchaus zugutekommen und ihr zumindest einen festen Wähleranteil von rund 25 % sichern, und mehr kann sie sich ohnehin nicht mehr erhoffen. Für das Land ist das alles natürlich eher weniger gut, aber in der Politik galt und gilt nun mal der Grundsatz, erst kommt die eigene Partei, dann alles andere.
In diesem Sinne wäre der oft so stumpf und glanzlos wirkende Kanzler Scholz dann am Ende vielleicht sogar geradezu ein genialer Machiavellist, den wir allzu lange unterschätzt haben. Sicher, das Land wird dabei leiden, aber eine alte Partei wie die SPD geht genauso wenig kampflos unter wie ein altes Imperium (man denke an die Habsburgermonarchie 1914) und wenn man ihr Überleben sichern will, dann müssen eben Opfer gebracht werden; von allen Menschen, die das Pech haben in diesem Land zu leben, das ist ja leicht nachvollziehbar.
Die SPD ist einfach wichtiger als alles andere. Das müssen wir einsehen, besser spät als gar nicht, es wäre schäbig, sich dieser Einsicht zu verweigern.