Tichys Einblick
Der Cum-Ex-Skandal ein Lügensumpf

Scholz und der grüne NRW-Justizminister Limbach müssen antworten

Es ist ein Augiasstall an Lügen, der ausgemistet gehört. Lügen haben jedenfalls kurze Beine. Mal sehen, wann Scholz mit diesen kurzen Beinen stürzt. Dann müsste aus dem Cum-Ex-Skandal ein Ex-Bundeskanzler hervorgehen.

IMAGO / Chris Emil Janßen

Am 20. September haben wir hier auf TE davon berichtet, wie der Cum-Ex-Skandal zur tickenden Zeitbombe für Kanzler Olaf Scholz (SPD) wird. In der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Köln gegen den ehemaligen Co-Chef der Hamburger Warburg-Bank Olearius taucht immerhin 27-mal der Name „Olaf Scholz“ auf.

Pikanterweise gerät nun die Aufklärung des Cum-Ex-Steuerskandals in Gefahr. Denn Benjamin Limbach (Grüne, vormals SPD), NRW-Justizminister und Sohn der vormaligen Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts Jutta Limbach (vormals SPD), hat am 27. September im Rechtsausschuss des NRW-Landtags eine Umstrukturierung der Staatsanwaltschaft Köln angekündigt. Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker, die maßgeblich verantwortlich ist für Ermittlungen gegen 1.700 Cum-Ex-Beschuldigte, würde dadurch entmachtet. Seit 2012 arbeitet Brorhilker an der Aufdeckung des Cum-Ex-Skandals. In der Folge kam es bereits zu einigen Verurteilungen.

Anne Brorhilker hat sich nun in einem internen Schreiben an den Hauptstaatsanwaltsrat (eine Art Personalrat) gegen ihre de-facto-Entmachtung gewehrt; sie soll etwa die Hälfte der Fälle abgeben. In ihrem Schreiben, das dem Kölner Stadt-Anzeiger vorliegt und das dieser am 3. Oktober öffentlich machte, zerpflückt die bislang führende Cum-Ex- Ermittlerin den „grünen“ NRW-Justizminister Limbach. Brorhilker schreibt von „groben Verzerrungen“, „irreführenden“ oder „nicht zutreffenden“ Darstellungen des Sachverhalts durch Minister Limbach. Unter anderem widerlegt Brorhilker in dem Schreiben die Aussagen des Ministers zur Herausgabe der Ermittlungsakten an den hanseatischen Cum-Ex-Untersuchungsausschuss. Limbach hatte die Staatsanwaltschaft Köln ursprünglich scharf kritisiert, weil die Behörde die Herausgabe der Ermittlungsakten an den parlamentarischen Untersuchungsausschuss in Hamburg unnötig verzögert habe. Ein Ministerialbeamter soll die Unterlagen im Juli 2023 schließlich in Köln via Datenträger bei Brorhilker eingesammelt haben. Einzig durch diese Aktion habe man eine drohende Klage der Parlamentarier im Hamburger Untersuchungsausschuss abwenden können, beteuerte Minister Limbach.

Laut Brorhilker war das Gegenteil der Fall. Spätestens im Mai 2023 seien alle fehlenden Unterlagen an das NRW-Justizministerium geschickt worden, heißt es in Brorhilkers internem Schreiben. Warum man diese nicht zeitnah nach Hamburg geschickt habe, sei ihr ein Rätsel. Außerdem ist in Brorhilkers Schreiben von „Ungereimtheiten in den Aussagen von Olaf Scholz“ die Rede. Ganz offenbar jedenfalls sollten die Ermittlungen gegen den Willen der Oberstaatsanwältin beendet werden. Man fragt sich, ob Minister Limbach auf Zeit spielen und Scholz aus dem Feuer nehmen wollte. Der Hauptstaatsanwaltsrat seinerseits sieht im Verhältnis zu Minister Limbach eine „schwere Störung der Vertrauensgrundlage“, weil er sich über die Pläne zur Umstrukturierung Kölner Behörde unzureichend informiert fühlt.

Scholz und seine Leute verstricken sich weiter

Unterdessen tauchen immer mehr Belege dafür auf, dass Scholz in der Angelegenheit gelogen hat. Der t-online-Nachrichtendienst schreibt: „Kanzler Scholz lügt und erfindet Kalendereintrag.“ Bislang jedenfalls redete sich Scholz auf Erinnerungslücken und fehlende Terminkalendereinträge heraus. Die zentrale Frage freilich blieb unbeantwortet: Hat der ehemalige Erste Bürgermeister Hamburgs und heutige Kanzler Einfluss auf ein Steuerverfahren eingewirkt?

Auf Anfrage der Fraktion „Die Linke“ im Bundestag vom 12. September 2023 reagiert die Bundesregierung ausweichend. Eine weitere Frage bleibt unbeantwortet: Hat der Kanzler einen Kalendereintrag zu einem Treffen mit Christian Olearius erfunden – und lügt er über seine Erinnerungslücken? Die Antwort der Bundesregierung vom 27. September ist auf der Website des Bundestages noch nicht dokumentiert.

Klar ist: Scholz hatte sich zum Steuerverfahren mehrfach mit Olearius getroffen. Scholz riet Olearius, dass er dem damaligen Finanzsenator Peter Tschentscher (SPD), dem heutigen Ersten Bürgermeister Hamburgs, eine Protestnote schreiben sollte. Das tat Olearius, das Finanzamt nahm die Steuerforderungen daraufhin zurück. Insgesamt ging es um gut 170 Millionen Euro.

Scholz hatte die Treffen mit Olearius immer bestritten. Nur weil die Medien an das Tagebuch von Olearius gelangten, in dem er über die Treffen schrieb, musste Scholz drei dieser Treffen einräumen, machte aber immer Erinnerungslücken geltend. Gerade der Termin vom 10. November 2017 könnte Scholz jetzt in Probleme bringen, denn er machte widersprüchliche Aussagen über die Erinnerungen an dieses Treffen. So hatte Scholz im Februar 2020 als Bundesfinanzminister zu einer kleinen Anfrage der Linksfraktion mitteilen lassen: „Zu den Aufgaben eines Ersten Bürgermeisters gehört es, mit den Wirtschaftsvertretern der Stadt im regelmäßigen Austausch zu stehen. So hat es auch ein Treffen von Olaf Scholz mit Herrn Olearius im November 2017 im Amtszimmer des Bürgermeisters gegeben, wie aus dem Kalender des Ersten Bürgermeisters hervorgeht, der der Senatskanzlei vorliegen müsste. Wieso dies bei der Beantwortung der Kleinen Anfrage nicht berücksichtigt worden ist, entzieht sich unserer Kenntnis.“

Zwei Unwahrheiten

Diese Aussage enthält zwei Unwahrheiten. Erstens: Scholz wusste, warum der Senat nichts zu einem möglichen Kalendereintrag sagen konnte. Der letzte Satz des Pressestatements von Scholz‘ Sprecher Steffen Hebestreit ist unwahr. Im November 2019 antwortete der Senat auf eine Anfrage der Fraktion „Die Linke“ in der Hamburger Bürgerschaft nach Treffen zwischen dem früheren Ersten Bürgermeister Scholz und Vertretern der Warburg-Bank zum Cum-Ex-Steuerverfahren gegen die Bank eindeutig: Es habe keine solchen Treffen gegeben.

Die Links-Fraktion hakte im August 2023 erneut nach, auf welcher Grundlage der Hamburger Senat damals solche Treffen verneint habe. Denn dem früheren Links-Bundestagsabgeordneten Fabio De Masi war aufgefallen, dass der Hamburger Senat laut eigenen Aussagen seit dem Wechsel von Scholz 2018 nach Berlin gar nicht mehr auf Scholz‘ Kalender zugreifen konnte.

Der Hamburg-Senat fragte Ende 2019 in Scholzens Bundesfinanzministerium wegen solcher Treffen mit der Warburg Bank an. Scholz‘ Ministerium antwortete nicht, wusste, dass der Hamburger Senat nicht in den Kalender schauen konnte, und erweckte trotzdem den irreführenden Eindruck, Scholz hätte mit der Nicht-Offenlegung der Treffen nichts zu tun gehabt. Dabei wussten Scholz und sein Sprecher ganz genau, warum der Senat die Kleine Anfrage der Linken nicht zutreffend beantworten konnte. Denn Scholz hatte die Treffen trotz einer offiziellen Anfrage des Senats nicht offenbart.

Zweitens: Der Kalendereintrag war seit mindestens März 2018 nicht in seinem Kalender. Der zweite Satz des genannten Pressestatements ist auch unwahr, konkret der Teil, in dem es heißt, dass das Treffen von Olearius und Scholz am 10. November 2017 „aus dem Kalender des Ersten Bürgermeisters“ hervorgehe. Denn zumindest im Februar 2020, zum Zeitpunkt des Scholz-Statements durch seinen Sprecher Hebestreit, war dieser Termin im Kalender nicht vorhanden. Es ist sogar mehr als fraglich, ob es ihn je gegeben hat.

Das heißt: Es gab zum Zeitpunkt des Pressestatements keinen Kalendereintrag zu dem Termin. Scholz lässt hier also eine Unwahrheit mitteilen. Und: Wenn es einen solchen Kalendereintrag nie gab, kann er sich darauf in der Beantwortung der Fragen der Linkspartei nicht stützen. Er muss also eine eigene Erinnerung an den Termin haben, was er bis zuletzt immer bestritt.

„Kanzler Scholz lügt über Erinnerungslücken und erfindet einen Kalendereintrag“, sagt Cum-Ex-Experte Fabio De Masi, der für die Linken im Bundestag saß und zuletzt Anzeige gegen Scholz wegen Falschaussage erstattet hatte. „Damit ist auch die Erinnerungslücke widerlegt, denn ich kann einen Termin nur dann ohne eine Aufzeichnung bestätigen, wenn ich mich erinnere.“

In einer Kleinen Anfrage der Links-Fraktion des Bundestages an die Bundesregierung wurde Scholz mit den oben genannten Widersprüchen konfrontiert. Die Antwort der Bundesregierung fiel dürr aus: „Die in den Fragen enthaltenen Behauptungen werden zurückgewiesen. […] Vorgänge im Zusammenhang mit einem Kalendereintrag zu diesem Treffen sind im Einzelnen nicht mehr rekonstruierbar.“ „Jetzt ist es schwarz auf weiß“, kommentiert Christian Leye von der Fraktion Die Linke. „Die Bundesregierung kann die Widersprüche von Olaf Scholz nicht widerlegen. Wir haben einen Bundeskanzler, der die Öffentlichkeit nachweislich belogen hat.“ De Masi ergänzt: „Der Kanzler hat vor dem Untersuchungsausschuss eine Falschaussage getätigt.“ t-online wollte von der Bundesregierung wissen, wie sie diesen Widerspruch in der Darstellung erklären. Es gab keine Antwort.

Auch die 45.500-Euro-Spende von Warburg an die SPD harrt der Aufklärung

Der vom damaligen SPD-Bundestagsabgeordneten Johannes Kahrs geführte SPD-Kreisverband Hamburg-Mitte hat 2017 (!) Wahlspenden von Warburg erhalten. Insgesamt 45.500 Euro ließ die Bank direkt oder über Tochtergesellschaften der Partei zukommen, allein 38.000 an die SPD Hamburg-Mitte. Und das, nachdem die Hamburger Steuerbehörden eine Forderung aus den Cum-Ex-Deals von rund 47 Millionen Euro an Warburg 2016 verjähren ließen. Bloßer Zufall?

Was tut und tat der Bundestag in der Sache?

Zu den Cum-Ex-Tricksereien gab es bereits 2017 einen ersten Untersuchungsausschuss des Bundestages. Dort ging es allerdings „nur“ generell um das Zustandekommen solcher Geschäfte. Ergebnis war ein 800 Seiten umfassender Bericht. Die aktuelle Oppositionsfraktion CDU/CSU wollte nun vom Bundestag im Zusammenhang mit möglichen Verstrickungen von Olaf Scholz im Juli 2023 einen weiteren Untersuchungsausschuss eingerichtet wissen. Von der Zahl der CDU/CSU-Abgeordneten her wäre das möglich gewesen. Die „Ampel“-Fraktionen aber lehnten eine solche Einsetzung am 5. Juli 2023 ab. Begründung: Eine solcher Untersuchungsausschuss wäre wegen des Bundesstaatsprinzip rechtswidrig, denn der Bundestag habe kein Recht der Kontrolle über eine Landesregierung. CDU/CSU erwägen, deswegen vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen.

Ausblick

Es ist ein Augiasstall an Lügen, der ausgemistet gehört. Lügen haben jedenfalls kurze Beine – auch wenn sie noch so fein gesponnen sein mögen. Mal sehen, wann Scholz mit diesen kurzen Beinen stürzt. Dann müsste aus dem Cum-Ex-Skandal ein Ex-Bundeskanzler hervorgehen.

Anzeige
Die mobile Version verlassen