Als Winston Churchill 1940 Premierminister wurde, stand Großbritannien unter Schock – stand die ganze freie Welt unter Schock: Völlig überraschend überrannte die „Wehrmacht“ die damals größte Landstreitmacht der Welt in nur wenigen Wochen. Dramatische Fehler der französischen Führung hatten diesen erfolgreichen „Blitzkrieg“ ermöglicht. Ein deutscher „Endsieg“ war in diesem Moment tatsächlich möglich. In dieser Situation wandte sich Churchill an die Briten: Er schilderte seinen Bürgern offen die Lage, machte ihnen klar, dass sie kämpfen müssten – falls notwendig, allein – und versprach ihnen nichts außer Blut, Mühsal, Schweiß und Tränen.
Maximal möglicher Bruch: Wir kommen von Winston Churchill zu Olaf Scholz (SPD). Der Kanzler warf im Bundestag Norbert Röttgen (CDU) vor, mehr zu wissen als das Volk und mit diesem Wissensvorsprung Politik zu machen. Röttgen hielt dagegen, es sei umgekehrt: Scholz wisse Dinge, die das Volk nicht wisse und informiere es falsch, um damit Politik zu machen. Großbritannien hatte in seiner schwersten Stunde einen Mann an der Spitze, der zu führen verstand. Deutschland verfügt über eine betreute Kindergartengruppe, die dem Ernst der Stunde nicht annäherend gewachsen ist.
Es ist das Gegenteil von ungewöhnlich, wenn ein Regierungschef mehr weiß als das Volk. Der Auslands-Geheimdienst müsste sich sonst schon die Frage stellen lassen, warum er da ist. Auch dass ein führender Oppositionspolitiker mehr weiß als Max Mustermann, sollte eher die Regel sein. Das ist nicht der Punkt. Entscheidend ist, dass die politisch Verantwortlichen ein Land im Unklaren lassen über das, was ihm bevorsteht. Angst und Frust, die so entstehen, sind die direkte Schuld von Olaf Scholz.
So entsteht durch eine Kommunikation des Nichtgesagten. Eine Kommunikation des Gemeinten. Wenn Bettina Stark-Watzinger (FDP) Zivilschutzübungen an Schulen fordert, sagt das im Subtext, dass der Luftangriff – oder Atomangriff – demnächst für die Schüler zum Alltag werden. Wenn SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich vom „Einfrieren des Krieges“ und Friedensverhandlungen mit Russland spricht, klingt das nach einer baldigen Kapitulation der Ukraine.
Nun: Grundsätzlich gibt es nur drei Möglichkeiten: Die erste ist unrealistisch, nämlich dass die Ukraine Russland demnächst niederwirft. Das schreibt noch nicht einmal mehr die Bild. Die zwei anderen sind eben eine ukrainische Kapitulation oder aber ein Jahre dauernder Stellungskrieg. Zu dem ist die Ukraine aber offensichtlich kaum noch in der Lage. Also müssen die Nato-Verbündeten ihre Hilfe für die Ukraine eskalieren. Der französische Präsident Emmanuel Macron spricht bereits über den Einsatz von Bodentruppen.
Olaf Scholz spricht von … Ja, wovon eigentlich? Nachdem Winston Churchill zum Volk gesprochen hatte, wussten die Briten, was Sache ist. Wenn Olaf Scholz zum Volk spricht, muss man danach den einen Teil wecken – der andere rätselt über die Frage, was er da eigentlich gesagt hat. Er wolle keine Taurusraketen liefern und deutsche Soldaten an deren Zielführung beteiligen, weil Deutschland dann Kriegspartei würde. Womit er aber nicht sage, dass Großbritannien Kriegspartei sei, weil es Raketensysteme liefert und sich deren Soldaten an der Zielführung der Raketen beteiligen. So kann man sich vielleicht aus seiner Schuld am Cum-Ex-Skandal rausquatschen – aber ein Land nicht auf einen Krieg vorbereiten.
Scholz steht an der Stelle, an der John F. Kennedy 1963 stand: Der wollte den Vietnamkrieg nicht eskalieren lassen. Die Entsendung von Bodentruppen waren seine rote Linie, die Kennedy auch einhielt. Obwohl starke Kräfte, darunter sein eigener Sicherheitsrat, drängten, den amerikanischen Einsatz in Vietnam eskalieren zu lassen. Nach Kennedys Tod war der Weg frei und der Vietnamkrieg eskalierte ab 1964 zu dem, was die Historiker heute über ihn zu erzählen haben.
Auch Scholz steht unter Druck, weil er die deutsche Beteiligung am Ukraine-Krieg nicht eskalieren lassen will. Die Oppositionspartei CDU drängt ihn, die eigenen Koalitionspartner FDP und Grüne – vor allem aber die Nato-Partner. Bisher hat noch jedes Nachgeben dazu geführt, dass die nächste Forderung aus der Ukraine kam. Was mit der Lieferung von Helmen begann, stoppt aktuell an der Frage von Taurus-Raketen – gibt Scholz nach, ist die nächste Forderung die nach Kampfflugzeugen. Bis zum Entsenden deutscher Soldaten in die Ukraine gibt es dann nicht mehr viele rote Linien, die noch zu überqueren wären.
Deutsche Soldaten auf dem Weg nach Russland? Das war schon einmal eine schlechte Idee. Und damals gab es noch nicht einmal Atomraketen oder Wasserstoffbomben. Wenn Scholz also die Eskalation des deutschen Engagements bremsen will und sich gegen einen Krieg Nato gegen Russland ausspricht, hätte er vermutlich eine Mehrheit des Volkes auf seiner Seite. Er müsste es eben diesem Volk nur auch so sagen, dass es versteht, was er meint. Sein Koalitionspartner FDP ist da deutlicher in seiner Sprache. Wenn eine Regierung Kinder den Krieg hat üben lassen, hat sie diese Kinder bisher noch immer auch tatsächlich in den Krieg gezogen.