Tichys Einblick
Scholz warnt UNO vor "falschem Frieden"

In Multipolaritätsjargon getarntes Plädoyer für den Krieg

In seiner Rede vor der UNO Generalversammlung gab sich Kanzler Scholz zeitgeistig und beschwor die Multipolarität, nur um danach die Agenda 2030 zu propagieren und de facto einen vollständigen Sieg der Ukraine gegen Russland zu fordern.

IMAGO / UPI Photo

Mehr als 10 Jahre ist es mittlerweile her, dass in einer Folge der Comedyserie „30 Rock“ der notorisch zerknautscht aussehende Steve Buscemi sich zur lebenden Meme-Legende machte. Als Privatdetektiv erzählte er seinem Auftraggeber stolz von einem Fall, bei dem er als besonders jugendlich erscheinender Undercover-Polizist in Schulen ermittelte. Im nächsten Moment sieht man Buscemi mit einem umgekehrten Baseballhut und einem Skateboard über der Schulter auf Schüler zugehen, als er die Frage stellt: „Wie geht’s, Mit-Jugendliche?“

So in etwa muss die Rede von Olaf Scholz vor der UNO-Generalversammlung auf weite Teile der im Aufbruch befindlichen Welt gewirkt haben, zumindest den Gesichtern der Zuhörerschaft nach zu urteilen. Die Redenschreiber von Scholz hatten offensichtlich das Memo erhalten, dass es modern sei, von der multipolaren Welt zu reden. Allerdings konnten der Kanzler und seine Autoren dann doch nicht aus ihrer Haut und erklärten der Welt die Welt aus deutscher Sicht. Darauf hat die Welt gewartet.

Schon früh legte Scholz den Grundstein für sein großes Finale, die Anspielungen auf den Ukraine-Konflikt kamen mit der Subtilität eines Doppelwumms daher. Der Kanzler lehnte Revisionismus schon aufgrund der historischen Schuld Deutschlands ab. Andererseits plädierte er für die Überwindung des Status quo, bevor noch jemand die Wiedervereinigung Deutschlands als Revisionismus abtun könnte. Worauf Scholz aber nicht einging, ist die Frage, wer definiert, was Revisionismus ist, und was die Überwindung des Status quo.

Das Problem mit der Glaubwürdigkeit

Darüber ist sich die UNO aber selbst nicht so recht einig, denn im Gegensatz zu Scholz und anderen Mitgliedern des Wertewestens, ist der Rest der Welt keineswegs vereint in seiner Verurteilung Russlands als Aggressor im Ukraine-Krieg. So bedeutet Multipolarität für Scholz letztlich dann doch die Unterwerfung unter die Hegemonie eines UN-Sicherheitsrats, aus dem Scholz zumindest Russland wohl gerne entfernen würde, wie er in seiner Rede durch die Blume zu verstehen gibt. Ob man auf diesem Wege den in die BRICS strebenden Schwellenländern wirklich die Zweifel nimmt, dass letzten Endes irgendetwas anderes als eine Verlängerung westlicher Hegemonie geplant sei, darf in Frage gestellt werden.

Denn auch Scholzens erste Forderung nach einer Konfliktlösung ohne Gewalt, dürfte in den Ohren vieler Zuhörer hohl klingen, wenn man die Teilnahme des Wertewestens an den Kriegen und Krisenherden der letzten Jahrzehnte in Betracht zieht. Man kann geteilter Meinung darüber sein, ob diese westliche Beteiligung segensreich für die betroffenen Nationen war, oder nicht, aber wer sein Argument auf die Forderung einer gewaltlosen Konfliktlösung aufbaut, darf sich nicht wundern, wenn dieser Ruf wenig glaubwürdig erscheint angesichts der Bilanz der letzten Jahrzehnte.

Scholz pochte noch lange in deutlicher Anlehnung an den Ukraine-Konflikt — ohne jedoch Russland oder die Ukraine beim Namen zu nennen – auf Werten wie der Einhaltung territorialer Integrität und der Gewaltfreiheit. Doch wie konsequent wirkt solch ein Plädoyer, wenn Scholz zwar in einem Satz zum Abschluss seiner Rede den Angriff Aserbaidschans auf Bergkarabach verurteilt, daran aber keinerlei Konsequenzen oder Sanktionen knüpft, aber diese im Fall des Angriffs auf die Ukraine sofort zur Hand waren?

Und täglich grüßt der Klimawandel…

Nach dieser Einleitung kam Scholz zum Mittelteil seiner Ansprache, die einem monotonen Abspulen eines Glaubensbekenntnisses glich. Die Lösung globaler Probleme konnte natürlich nur zu einem Exkurs über den „menschengemachten Klimawandel“ führen, bei dem der Kanzler alle gebräuchlichen Phrasen verwurstete, die die grüne Klimalobby vorgibt. Deutschland bezeichnete Scholz dabei als „starkes Technologieland“ und musste dabei hoffen, dass niemand in der Generalversammlung wusste, wie abhängig Deutschland zur Zeit von Kohlekraftwerken ist. Stolz war Scholz auch auf seinen Beitrag zur „Klimafinanzierung“, sowie auf seine Ambitionen hinsichtlich des Erreichen der SDGs, also der „Sustainable Development Goals“ der Agenda 2030.

Wenig verheißungsvoll klang auch die Ankündigung von Scholz, dass es „hoher Investitionen“ bedürfe (zu denen Deutschland bereit sei), um global eine klimaneutrale Infrastruktur zu schaffen. Dabei sprach er auch davon, die Schuldenkrise vieler Länder zu adressieren und „die internationale Finanzarchitektur zu modernisieren“. Dies bekräftigte er nochmal damit, dass Deutschland „nicht am Status quo“ klebe, „auch in dieser Frage nicht“.

Wohlwollen unter seiner Zuhörerschaft schien sich Scholz vor allem über regelmäßiges Prunken mit deutscher Finanzierungsbereitschaft zu erhoffen. Die Klimafinanzierung habe Deutschland im letzten Jahr auf 6 Milliarden Euro verdreifacht, man sei stolz die UNO als zweitgrößter Geldgeber zu unterstützen und außerdem investiere Deutschland weitere 305 Millionen Euro an „Hybridkapital“ – „als erstes Land“ – in die Weltbank. Auf der Weltbühne hofft sich die Ampel mit dem Nimbus des Wirtschaftsmotors Deutschland noch immer Sympathien erkaufen zu können.

Wenn menschliche Intelligenz vom Teleprompter über künstliche Intelligenz abliest

Neben der Multipolarität fand der Kanzler dann noch ein weiteres Schlagwort der Gegenwart, das beweisen sollte, wie sehr sich die Ampel am Puls der Zeit bewegt. „Künstliche Intelligenz etwa birgt große Chancen“, sagte der Kanzler, sodass Kenner sich unweigerlich an das berühmte Zitat seiner Vorgängerin, das Internet sei „für uns alle Neuland“, erinnert fühlten. Das starke Technologieland voll in seinem Element.

Kanzler Scholz klärte darüber auf, dass die KI aber auch „die Spaltung der Welt zementieren kann“, wenn nur einige davon profitieren und der Zugang auf reichere Länder beschränkt bliebe. Eine weiterführende Analyse der Möglichkeiten und Gefahren von KI, sowie der demographischen Voraussetzungen und Folgen massenhafter Implementierung von KI, hatten in der Rede keinen Platz mehr. Spätestens als Scholz Deutschlands nachdrücklichen „Austausch zum Global Digital Compact“ ansprach, konnten Zuhörer den Eindruck gewinnen, der Kanzler lese Worte ab, deren Inhalt sich ihm selbst nicht vollkommen erschließe.

Scholz bog in die Zielgerade ein. Dazu kam er wieder auf den Sicherheitsrat zu sprechen. Es sei „klar“, dass Afrika, Asien und Lateinamerika mehr Platz im Sicherheitsrat gebühre. Dies würde auch von 3 der ständigen Mitglieder so mitgetragen. Ob eine Erweiterung durch afrikanische, asiatische und lateinamerikanische Staaten aber tatsächlich im Sinne von Kanzler Scholz und unseren westlichen Verbündeten wäre, ist mehr als fraglich. Bevor es aber soweit ist, bat Scholz um die Unterstützung der deutschen Kandidatur für eine Sicherheitsratmitgliedschaft in der Periode 2027/2028.

Warnung vor falschem Frieden und wieder einmal unterschiedliche Opferkategorien

Dann aber ging es um Frieden. Dieser wäre „ein ferner Traum“ für viele Menschen, darunter die Bewohner des Sudan, die Menschen im Kongo, sowie die Armenier in Bergkarabach. „Die erneuten militärischen Aktivitäten – davon bin ich überzeugt – führen in die Sackgasse. Sie müssen enden!“, so der vollständige Kommentar des Kanzlers zur drohenden Vertreibung der Armenier aus Bergkarabach. Eine Verurteilung, ja, aber für ein Land, dass im Ukrainekrieg von Tag 1 den Aggressor in unmissverständlichen Tönen benannte und gravierendste Sanktionen in den Raum stellte, ist die Formulierung „erneute militärische Aktivitäten“, die eine „Sackgasse“ wären, ein Schlag ins Gesicht all jener, die zuvor dem Plädoyer für eine „gewaltfreie Überwindung des Status quo“ auch nur einen Funken Glauben schenkten.

So endete Scholz seine Rede mit dem Kampf der ukrainischen Bevölkerung „um ihr Leben und ihre Freiheit“, die „Unabhängigkeit und die territoriale Integrität ihres Landes“. Explizite Forderungen, die dem Kanzler nur wenige Momente zuvor im Hinblick auf die Armenier der Region Bergkarabach nicht in den Sinn kamen. Stattdessen wurde deutlich, dass die Schuld an den weltweiten Problemen von „Inflation, wachsender Verschuldung, Düngemittelknappheit, Hunger und steigender Armut“ in letzter Instanz Russland mit seinem Krieg trägt.

Zwar beteuerte Scholz, die Suche nach Frieden nachvollziehen zu können, warnte aber vor „Scheinlösungen“, die „Frieden nur im Namen tragen“, so Scholz. „Denn: Frieden ohne Freiheit heißt Unterdrückung. Frieden ohne Gerechtigkeit nennt man Diktat.“ An diese eindeutige Forderung werden die bislang demokratisch regierten Armenier, wenn sie demnächst ein Dasein als Minderheit in Aserbaidschan fristen, noch lange zurückdenken.

Aber Scholz ordnete ein: Das müsse „nun endlich auch in Moskau verstanden werden“. Scheinbar aber nicht in Baku und nicht bei dessen Gaspartnern in Brüssel.

Ob die internationale Staatengemeinschaft sich allerdings tatsächlich von einer in Multipolarität und Künstlicher Intelligenz getarnten Rede, die vor allem durch eine kompromisslose Forderung nach einer Fortführung des Kriegs in der Ukraine bis zum endgültigen Sieg gegen Russland auffiel, überzeugen ließ, darf bezweifelt werden. Die Welt dreht sich weiter und Olaf Scholz wirkte mit seiner Rede wie ein alter Mann, der mittels peinlichem Einsatz von Jugendjargon versuchte eine Zielgruppe anzusprechen, die seine Verkleidung bereits durchschaut hatte, lange bevor er noch das UN-Gebäude in New York betrat.

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