Politiker, die in Korruptionsaffären einer spontanen Amnesie erliegen, sind ein Klassiker. Wie so oft kann sich Bundeskanzler Olaf Scholz an nichts erinnern, wenn die Cum-Ex-Affäre im Mittelpunkt steht. Zur Amnesievorbeugung: Scholz hatte im Hamburger Untersuchungsausschuss betont, sich an die Treffen mit den Gesellschaftern der betroffenen Warburg-Bank nicht erinnern zu können. Eine politische Einflussnahme habe es nicht gegeben.
Ein Sprecher betont diese Version neuerlich, wenn auch in einem anderen Zusammenhang. Regierungssprecher Steffen Hebestreit unterstreicht: Der Kanzler habe nichts von den über 200.000 Euro Bargeld gewusst, die in einem Schließfach des ehemaligen Hamburger SPD-Politikers Johannes Kahrs gefunden wurden. Kahrs hat zu dem Fund keine Stellungnahme abgegeben.
Auch Kahrs hatte früher immer wieder Amnesiephasen. So hatte er im Februar 2020 gegenüber dem NDR dementiert, sich im Dezember 2017 mit Christian Olearius getroffen zu haben. Olearius war zu diesem Zeitpunkt Aufsichtsratsvorsitzender der Warburg-Bank. Später räumte Kahrs ein, dass es dieses Gespräch doch gegeben habe. Der aufgefundene Betrag weckt den Verdacht, dass Kahrs für seine Kontakthilfe mehr als nur eine Spende für seinen Ortsverband erhalten haben könnte.
In Hamburg behindern Rot und Grün die Aufarbeitung
Dabei sind die 200.000 Euro, die seit dem Wochenende die Causa Warburg wieder aufgerollt haben, eigentlich keine Neuigkeit. Das sagte der ARD-Journalist Oliver Schröm gegenüber dem Tagesspiegel. Schröm arbeitet derzeit an einem Buch zu den windigen Finanzgeschäften und ihrer Verbindung zur Politik. Es seien 214.800 Euro, dazu noch 2.400 US-Dollar. „Das Geld wurde bei einer Razzia am 28. September 2021 um 14.15 Uhr gefunden“, sagt Schröm – zwei Tage nach der Bundestagswahl.
Kahrs habe, so Schröm weiter, als Bundestagsabgeordneter beim Bundesfinanzministerium und bei Bafin versucht, für die Warburg-Bank „zu lobbyieren“. Zusammen mit einem weiteren SPD-Mann sei er verantwortlich dafür gewesen, den Kontakt zwischen Warburg und dem damaligen Ersten Bürgermeister Scholz herzustellen. Der Bank standen 90 Millionen Euro Rückzahlungen ins Haus, die sie mit dem Cum-Ex-Verfahren erbeutet hatte.
Nach dem Gespräch mit Scholz ließ die Stadt Hamburg ihre Rückzahlungen fallen. „Danach gingen von Warburg nahestehenden Firmen 45.500 Euro an die Hamburger SPD“, erklärt Schröm. „Ein Großteil davon an den Wahlkreis für Kahrs.“ Woher die 214.800 Euro herkämen, wisse man nicht, aber ausschließen würde der ARD-Journalist im vorliegenden Cum-Ex-Skandal nichts mehr.
Ein ARD-Investigativ-Journalist wusste seit langem von dem Bargeldhort – aber die ARD macht daraus keine Story?
Zudem würde Rot-Grün den Untersuchungsausschuss in Hamburg hintertreiben. Scholz ist am 19. August vorgeladen worden. Die Oppositionsparteien wollten den Kanzler ausladen und zu einem späteren Termin wieder einladen – um neues Material in der Causa auszuwerten. Die Regierungsparteien verhinderten dies, „um Scholz zu schützen“, sagt Schröm. Und was ist mit den berühmten Gesprächen mit Warburg-Bankern, von denen Scholz behauptet, er könne sich nicht mehr an diese erinnern? Schröm: „Wenn Olaf Scholz sagt, er könne sich an nichts erinnern, lügt der Bundeskanzler.“
Natürlich: Dass Sozen sechsstellige Bargeldbeiträge mitten in der Inflation irgendwo liegen lassen, ist zuerst einmal kein Verbrechen, sondern der Mentalität geschuldet. Die Staatsanwaltschaft hat mittlerweile klargestellt, dass kein Geld sichergestellt wurde, weil es keinen konkreten Verdacht gebe, dass es aus einer Straftat stamme.
Die Bundesregierung sieht „kein Recht“ der Presse, über Scholz’ frühere Tätigkeiten informiert zu werden
Dennoch könnte es für Scholz bald eng werden. Die Dauer-Amnesie des Kanzlers in der Causa Warburg dürfte nämlich bald ein Ende haben. Am selben Tag, an dem die ehrenwerten Rücklagen von Kahrs ins Mediengeschehen gerückt wurden, kam noch eine weitere Meldung in die Redaktionen geflattert. Inhalt: Der Kanzler muss Auskünfte über vertrauliche Äußerungen als Bundesfinanzminister in der Cum-Ex-Affäre erteilen. „Die Regierungszentrale soll dem Gerichtsbeschluss zufolge Kenntnisse über ein vertrauliches so genanntes Hintergrundgespräch von Scholz mit mehreren Journalisten im September 2020 zum Thema der illegalen Dividendengeschäfte offenlegen“, heißt es.
Der Beschluss ist noch nicht rechtskräftig, denn das Kanzleramt hat Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg eingelegt. Zitat: „Nach Ansicht der Regierung besteht kein Recht der Presse, über Scholz’ frühere Tätigkeiten als Bundesfinanzminister informiert zu werden.“ Das sagt eigentlich schon alles aus, was man über den ganzen Cum-Ex-Skandal wissen muss. Der Bürger hat schlicht kein Anrecht darauf zu wissen, ob und wie er an der Nase herumgeführt wird. Um zu verhindern, dass aus der Affäre Warburg eine Affäre Scholz werden könnte, reicht jedes Mittel.