Tichys Einblick
Gründe der Ampelkrise

Olaf Scholz fehlt es inhaltlich an jedem strategischen Konzept

Sozialdemokraten sind stolz darauf, keine Visionen mehr zu haben. Doch der Verzicht auf jedes strategische Denken hat zu verheerenden Folgen geführt – nämlich dem Ampelchaos, das in Deutschland jeden Tag zu beschreiben ist.

IMAGO / dts Nachrichtenagentur

Kaum eine Erfahrung ist intellektuell so unbefriedigend, wie sich mit einem Parteisoldaten von SPD oder Grünen zu unterhalten. Es ist ein Austausch mit Sprechpuppen, die nur auf eine überschaubare Zahl an Sätzen programmiert sind. Als wäre das nicht schlimm genug, wenden sie diese Sätze auch noch falsch an. So ist unter Sozialdemokraten Helmut Schmidts: „Wer Visionen hat, der soll zum Arzt gehen“ sehr beliebt. Kein Wunder. Mit diesem Satz müssen sie sich nicht als Büttel sehen, deren Karriere auf Buckeln und Schweigen aufbaut. Sie können sich stattdessen als Pragmatiker lesen, die trotz minderer Begabung ein erbauliches Gehalt kassieren.

Der Umgang mit diesen Parteisoldaten ist nicht nur lästig, weil sie öde und vorhersehbar sind. Sondern vor allem, weil sie die auswendig gelernten Sätze nicht einmal richtig verstehen. Helmut Schmidt hat mit seinem Satz Leute verurteilt, die über eine Welt diskutierten, wie sie sich wünschten – abgehoben von jeder Realität. Eine Regierung zum Beispiel, die in dem Moment Atomkraftwerke stilllegt, in dem das Land in eine schwere Öl- und Gaskrise gerät, die wäre Schmidt suspekt gewesen. Die hätte der Hanseat in medizinische Behandlung gewünscht.

Das heißt aber nicht, dass Schmidt kein strategisch denkender Mensch gewesen wäre. Im Gegenteil. Deutschland durfte in seiner Geschichte nur wenige Regierungschefs genießen, die derart von den Fragen bestimmt waren: Wo will ich hin? Und: Wie komme ich dahin? Schmidts Politik lässt sich als Kette strategischer Ziele beschreiben: Deutschland kann sich alleine nicht verteidigen, also braucht es eine aufgerüstete Nato. Um in dieser Nato einen ausreichenden Stellenwert zu genießen, muss es wirtschaftlich stark sein oder wieder werden. Um wirtschaftlich zu genesen, braucht die Exportnation einen funktionierenden Welthandel. Um den Welthandel zum Laufen zu bringen, muss ein internationales Klima des Vertrauens geschaffen werden. Helmut Schmidt hatte klare Vorstellungen über die Leitplanken seiner Politik. All seine einzelnen Beschlüsse lassen sich in diese großen Linien einordnen.

Wäre strategische Begabung eine Tabelle, stünde der Oberleutnant Schmidt oben – der andere Hanseat im Kanzleramt, der Kriegsdienstverweigerer Olaf Scholz (SPD) ganz unten. Dessen gesamte politische Laufbahn ist von Opportunismus geprägt. Machtpolitisch ist er ein Stratege, inhaltlich ein Stümperer. Als Gerd Schröders (SPD) General sang Scholz dessen Lied von der Solidarität, das besagte: Der Staat hilft dir stark zu sein, bist du es dann nicht, hast du Pech gehabt. Selbst im Kanzleramt angekommen, definiert Scholz Solidarität dann so, dass der Arbeitnehmer so viel von seinem Verdienst abgeben muss, dass danach einen besseren Lebensstandard hat, wer erst gar nicht arbeitet. Doch ist das weniger einer Überzeugung des Kanzlers geschuldet. Würde man Scholz glaubhaft versichern, dass er an der Macht bleibt, wenn Deutschland in leuchtendem Gelb erstrahlt, würde er tonnenweise Farbe einkaufen. Wenn einer Schmidts Satz von der Vision und dem Arzt zuerst falsch verstanden und dann in der falschen Version verinnerlicht hat, dann Olaf Scholz. Mit verheerenden Folgen für das Land.

Die faktisch kurze, gefühlt aber bereits ewig währende Kanzlerschaft des Hanseaten 2.0 ist geprägt von einem Mangel an Strategie, von der Helmut Schmidt in seiner Ewigkeit hoffentlich nichts erfährt. Die Kanzlerschaft ist eingeteilt in kurzatmige Einzel-Entscheidungen, die dem Geschmack des Tages geschuldet sind und eben nicht langfristige strategische Ziele verfolgen. Daraus entstehen groteske Ketten aus Handlungen und Wirkungen mit entsprechenden Ergebnissen.

Zum Beispiel in der Migrationspolitik: Zuerst fördert Scholz die unbegrenzte Einwanderung. Dann dreht sich der Wind, weil Landräte und Bürgermeister mit dem Ansturm nicht mehr fertig werden. Also will Olaf Scholz „im großen Stil“ abschieben. Dafür braucht er die Grünen. Die kriegt er nur mit dem Beschluss, zur Abschiebung Vorgesehene vorher zu warnen und mit einem Anwalt auszustatten. Die Folgen: Die Ampel lässt die Landräte und Bürgermeister mit ihren Problemen weiter im Stich. Ein Teil derer, die abgeschoben werden sollen, blockiert die Gerichte. Der andere taucht gleich ganz ab. Mit vielen Einzelentscheidungen hat die Ampel die Lage verschlimmert – weil eine Strategie fehlt. An dem Umgang mit der Bezahlkarte zeigt sich, dass die Grünen Scholz und FDP über den Tisch gezogen haben.

In der Energiepolitik hat das Fehlen strategischen Denkens dazu geführt, dass Deutschland künftig vor drei Alternativen steht: In Dunkelflauten ohne Strom auskommen müssen. Auf LNG-Gas setzen, das auf dem Markt selten oder zumindest unvorstellbar teuer zu werden droht. Oder Kohlekraftwerke weiter oder neu betreiben. Zur Erinnerung. Das wäre dann das Ergebnis von Entscheidungen, die anfangs von der Vision motiviert waren, weltweiter Vorreiter in Sachen Klimaschutz zu werden. Wer Visionen hat, sollte tatsächlich zum Arzt. Wer aber keine Strategie hat, der wird nirgendwo ankommen.

In den Grünen hat Olaf Scholz einen kongenialen – oder vielmehr einen konverpeilten – Partner gefunden. Sie haben die Einzelforderungen erfunden, die nicht zusammenpassen. So werben sie dafür, mehr Güterverkehr auf die Schiene zu verlegen. Dagegen wäre nichts zu sagen, wenn die Schienen nicht überlastet wären. Und auch das wäre kein endgültiges Gegenargument. Schließlich kann ein Staat Schienen bauen lassen, was eine durchaus sinnvolle Investition ist.

Nur: Die Grünen fordern zum einen, mehr Verkehr auf die Schiene zu verlegen. Zum anderen haben sie sich aber dem Ausbau einer Nord-Süd-Strecke verwehrt, die in Rheinland-Pfalz die Mosel quert. Gegen den Ausbau einer neuen Strecke in der Pfalz hat sich eine mächtige Bürgerinitiative gebildet – an der Spitze ein ehemaliger Grüner. Im Mittelrheintal kämpfen die Grünen gegen den bestehenden Bahnlärm. Grüne Mandatsträgerinnen fordern dort Nachtfahrverbote und Geschwindigkeitslimits.

Alle einzelnen Forderungen für sich genommen sind vertretbar. Nur zusammengenommen ergibt es halt Chaos: Ein Netz, das jetzt überlastet ist, soll mehr Verkehr aufnehmen. Ohne ausgebaut zu werden und indem der bisherige und zusätzliche Verkehr ein Drittel der Zeit stillstehen soll. Wer denkt, weiß, das geht nicht. Doch grünes Denken beschränkt sich in der Forderung, in dem auswendig gelernten Satz, dass mehr Verkehr auf die Schiene soll. Wo der dann fahren soll, die Frage überlassen sie anderen. Wobei es einen entscheidenden Unterschied gibt. Die SPD verzichtet auf eine Strategie, weil ihre Vertreter das für Pragmatismus halten. Die Grünen denken, sie seien strategisch ausgerichtet, verwechseln das aber mit dem sturen Verfolgen einer Ideologie.

Beispiel Verteidigungspolitik. Da fordert Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), die Bundeswehr für Söldner zu öffnen. Das klingt so schön grün-rot, so warm nach Multikulti – und löst obendrein das Problem des Personalmangels. Die Vizepräsidentin des EU-Parlaments und deutsche Ex-MInisterin, Katarina Barley (SPD), fordert Atomwaffen für Deutschland und Frankreich. Beides für sich genommen ist einer Diskussion wert. Zusammen genommen würde Deutschland aber eine Macht, die Atomwaffen in die Hand von schlecht ausgebildeten Söldern legt, die keinen Bezug zum Heimatland haben.

Der Bundeskanzler hat die Richtlinienkompetenz. Er muss einzelne Forderungen zu einem schlüssigen Gesamtkonzept formen. Doch keiner Aufgabe verweigert sich der zweite Hanseat derart hartnäckig. Scholz lässt’s laufen und nimmt’s, wie’s kommt. Genau das führt Deutschland in das Chaos, das sich jeden Tag aufs Neue beschreiben lässt. Unter Scholz mag das Land keine Visionen haben – aber zum Arzt muss es trotzdem.

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