Tichys Einblick
Landesrechnungshof

Sanierungsfall Berlin – oder: ein Pandemiekredit, der zu vielem taugt

Die Bundeshauptstadt nutzte die pandemische Notlage für sich und gönnte sich einen Sonderkredit. Ein Teil wurde zur „Rücklage“ umgewandelt – vermutlich als Notgroschen für bessere Zeiten. Der Landesrechnungshof fördert noch andere Seltsamkeiten ans Licht der Öffentlichkeit.

Eigentlich sollten große Städte Wohlstandsmagnete sein. In ihnen konzentrieren sich Kunden und Kreative mit zahllosen sich bietenden Gelegenheiten für Unternehmen, Start-ups und andere Gewerbetreibende. Eigentlich müssten damit auch sprudelnde Steuereinnahmen und folglich geringe Geldsorgen der öffentlichen Haushalte einhergehen. Eigentlich.

Aber in den beiden größten deutschen Städten, die zugleich Bundesländer sind, scheint das anders zu sein. Hamburg und Berlin liefern sich seit einigen Jahren ein Wettrennen um den zweiten Platz, was die Pro-Kopf-Verschuldung der deutschen Bundesländer angeht. Geschlagen werden sie nur von Bremen. Zählt man die Extrahaushalte und die landeseigenen Fonds, Einrichtungen sowie Unternehmen dazu, dann liegen die beiden Gemeinwesen heute bei einer Pro-Kopf-Verschuldung von über 20.000 Euro und damit rund doppelt so hoch wie der Durchschnitt der restlichen Länder.

Diese Zahlen präsentierte nun der Landesrechnungshof Berlin im zweiten Teil seines Jahresberichts 2021 (Seite 34). Genauer gesagt: Im Pandemiejahr 2020 überholten die Hauptstädter die Hanseaten durch die starke Neuverschuldung im eigentlichen Haushalt ebenso wie in den landeseigenen „sonstigen Fonds, Einrichtungen und Unternehmen“ (kurz sFEU).

Die Kunst der Extrahaushalte und die Not der Landesunternehmen

In Hamburg pflegt man hier vor allem die Kunst der Extrahaushalte, wie es sich für die Stadt des ehemaligen Bundesfinanzministers und Cum-Ex-Künstlers Olaf Scholz gehört. In Berlin regiert hingegen der Staatsmonopolkapitalismus der landeseigenen Unternehmen und steuert nun bald ein Viertel der Landesschuld bei. Kontinuierlich war und ist vor allem der Finanzsonderbedarf der BER-Flughafengesellschaft, die zwischen 2010 und 2023 die Hälfte aller Zuschüsse (1,3 Milliarden Euro) erhielt.

Die Verlagerung der „Investitionstätigkeit“ in „Bereiche außerhalb des Kernhaushaltes“ wird vom zuständigen Landesrechnungshof als besonderes Problem der Berliner Finanzen kritisiert. Landesunternehmen und Sondervermögen könnten Kredite aufnehmen, was dann indirekt den Schuldenstand und das finanzielle Risiko des Landes erhöht. Die Gesamtverschuldung des Landes Berlin lag Ende 2020 bei 63,7 Milliarden Euro – ein neuer Höchststand in der an Schuldenhöhepunkten reichen Geschichte des deutschen Hauptbundeslandes. Und egal, wie sich diese Schulden nun auf Haushalt und Sondervermögen verteilen, ihr starker Anstieg setzt die Landespolitiker unter Druck, auf den Pfad der Konsolidierung zurückzukehren, den sie in den Jahren vor der Pandemie, vermutlich eher notgedrungen als willig, beschritten hatten.

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Der Rechnungshof mahnt eine Rückführung der „hohen Verschuldung im Kernhaushalt“ ebenso wie bei den Sondervermögen an. Ihm wurden dazu einige neue Instrumente in die Hände gelegt, zum Beispiel ein Prüfungsrecht bei den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften. Auf diesem Feld wird man also vielleicht bald die eine oder andere Überraschung erleben. Bisher waren auch die sechs Wohnungsbaugesellschaften der Stadt – wie überall da, wo Macht nicht kontrolliert wird – für alle Arten von Unregelmäßigkeiten und Ineffizienz anfällig.
Die Pandemie hilft Berlin auch über die Notlage hinaus

Ins Fadenkreuz der Haushaltsprüfer gerät daneben vor allem das Finanzgebaren im Umfeld der „pandemischen Notlage“ des verstrichenen Jahres. Die bot der klammen Hauptstadt die Gelegenheit, sich eine großzügige Finanzspritze zu verpassen, ja eigentlich sogar mehrere. Zum einen ermächtigte das Abgeordnetenhaus den Senat zu einer „pandemiebedingten Kreditaufnahme“ von 7,3 Milliarden Euro. Diese Summe, so verriet Rechnungshofpräsidentin Karin Klingen vor dem Abgeordnetenhaus, entspricht immerhin den gesammelten Kredittilgungen aus den vorangegangenen acht Jahren. Auch so kann man Sparpolitik (oder ihr Imitat) ungeschehen machen.

Tatsächlich verbrauchte man im Jahr 2020 nur knapp zwei von den über sieben Milliarden Euro. Die restlichen 5,4 Milliarden steckte man in eine „Pandemierücklage“. Wirklich gebraucht hätte man übrigens nur einen Bruchteil (0,5 Milliarden Euro), denn allein durch Corona-Zuschüsse gewann das Land Berlin 2,9 Milliarden Euro als Einnahmen, bei Mehrausgaben von 3,4 Milliarden Euro.

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Vor den Abgeordneten sagte Berlins oberste Rechnungsprüferin Klingen, solche Sonderkredite dürften „nur zur Bewältigung der Folgen der Pandemie aufgenommen und verwendet werden“. Und das müsse jeweils transparent im Haushalt ausgewiesen werden. Das Landesparlament quittierte solche Äußerungen Klingens mit eher löchrigem Applaus. Der Bericht der Rechnungshofs fordert ganz klar, die Mittel zur Kredittilgung einzusetzen, wenn sie nicht für die Pandemiefolgen gebraucht werden. Dieser Fall wird immer wahrscheinlicher, wenn man – wie die Landesrechnungsprüfer – annimmt, dass weder 2021 noch 2022 „mit einer außergewöhnlichen Notsituation“ zu rechnen war oder ist.

Zu bevorzugen sei in jeder Lage die konjunkturbedingte Schuldenaufnahme – auch in Notsituationen. In dem Fall müssen der Kredit und seine Verwendung nämlich im normalen Haushalt auftauchen. Dagegen entsteht durch das Instrument der pandemiebedingten Verschuldung automatisch ein Sonderhaushalt, der nicht mehr vom Plenum des Landesparlaments kontrolliert wird, sondern nur noch von dessen Hauptausschuss. Ein weiteres Beispiel, wie die Demokratie durch die zahllosen Sonderregelungen zur Pandemie geschwächt wird.

LED-Leuchten für die Pandemie, Staatsgeld für das Edeka-Kühlregal

Ein paar Beispiele der Falschverwendung dieser ‚Pandemiemittel‘ sind dem Rechnungshof schon jetzt aufgefallen: 2021 wurden aus der gebildeten Rücklage der Neubau und die Sanierung mehrerer Gebäude an verschiedenen Berliner Universitäten finanziert, darunter Seminarräume und eine Sporthalle der Humboldt-Uni, ein Hörsaal der TU und der Akkuturm der Hochschule für Technik und Wirtschaft. Auch die Sicherheitsbeleuchtung an der Hochschule für Musik Hanns Eisler war offenbar dringend reparaturbedürftig und zudem pandemiewichtig: Studenten wie Studentinnen dürften sich auf den inzwischen einsameren Gängen weniger sicher gefühlt haben.

Laut Rechnungshofbericht bestanden diese Neubau- oder Sanierungsbedarfe freilich schon vor der Pandemie. Dasselbe Problem sehen die Prüfer bei der Finanzierung des Programms für Nachhaltige Entwicklung (BENE), einem Förderpaket zum Umwelt- und „Klimaschutz“ in der Klimastadt. Für das BENE-Programm wurden pauschal 22,4 Millionen Euro aus dem speziellen Pandemie-Kredit entnommen. Über BENE förderbar sind zum Beispiel Projekte zur Lärmminderung, zum energiesparenden Gebäudebau oder auch zur „naturnahen Gestaltung“ von Schulhöfen und Kita-Außenflächen („Ein Garten entsteht“).

Auch ein Edeka-Supermarkt ließ sich die benötigte „energiesparende Kälteanlage“ vom Land bezahlen. Zweifel, dass solche Projekte irgendetwas mit der Corona-Pandemie zu tun haben, darf man haben. Auch der Landesrechnungshof stellt sich unter die Zweifler, zum Beispiel wenn es um die Umrüstung der Straßenbeleuchtung von Gasleuchten auf LED-Lampen geht. Der „Verursachungszusammenhang“ zwischen Pandemie und der neuen LED-Beleuchtung sei „nicht ohne Weiteres ersichtlich“, heißt es vorsichtig in dem Bericht.

Die 500.000-Euro-Frage zum Thema saubere Schulen

In Zukunft will der Rechnungshof stärker beratend auf die Landesregierung einwirken, zum Beispiel wenn es darum geht, sich bei den Ausgaben zu beschränken. In Klingens Worten klingt an, dass dies wohl der einzige Weg aus der übermäßigen Berliner Schuldenlast sein wird. Von einer Belebung der Wirtschaft und Investitionstätigkeit verspricht sie sich nicht allzu viel. Auch an dieser Stelle ertönte wieder der fleckige Applaus derjenigen, die die Realität den Luftschlössern vorziehen.

Noch fleckiger wird er nur, wenn Klingen ins Detail geht und Beispiele von konkreter Geldverschwendung anführt. So ist es beispielsweise bei der inzwischen drei Jahre alten Schulbauoffensive des Senats, zu der einerseits immer mehr Projekte hinzukommen – wer will es den Bezirken auch verdenken – und andererseits Dauer und Kosten des Gesamtprojekts immer weiter ausgedehnt werden. Auf eine Wirtschaftlichkeitsuntersuchung hatte man zu Beginn großzügig verzichtet. Jetzt dauert eben alles doppelt so lang und wird damit auch doppelt so teuer.

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Auch die Ausübung der Vorkaufsrechts der Bezirke zulasten des Steuerzahlers wird kritisch von Klingen angeführt. Sie spricht von „zum Teil schon realisierten“ hohen Haftungsrisiken. Mit anderen Worten: Was der Kreuzberger Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) bestellt hat, bezahlen nun Steuerbürger aus ganz Deutschland. Der Landesrechnungshof führt „derzeit eine breitangelegte Prüfung zur grundsätzlichen Strategie der Vorkaufsrechtsausübung“ aus. Strategie, das ist fast schon zu viel der Ehre… Aber man kann Klingen wohl so verstehen, dass es um die Sinnhaftigkeit des Vorgehens an sich geht.

Doch das scheint nicht einmal das Ende der Fahnenstange zu sein, wo es um die absolut sinnfreie Verpulverung von Geldern geht: „Ein Bezirksamt hat einer Beratungsfirma mehr als eine halbe Million Euro für den Vorschlag gezahlt, dass in den Schulen künftig weniger gereinigt wird als bisher.“ Das ist, Klingen sagt es, „ein Fall, von dem man nicht denken würde, dass so ein Umgang mit öffentlichen Geldern vorkommen kann“. Gelächter im Abgeordnetenhaus.

Als „roten Faden“ der berichteten Vorfälle entdeckt Klingen „die fehlende Kenntnis bzw. die fehlende Einhaltung von Verfahren“. Man kann es nicht ganz vermeiden, hier erneut an die vielen (grünen) Stadträte zu denken, die offenbar das Bau- und Verkehrswesen der Stadt für ihre ganz private Spielwiese halten. Der Auftritt Klingens im Stadtparlament, bei dem sie erstmals den Rechnungshofbericht präsentieren konnte, verdankt sich einer Gesetzesänderung, die vielleicht auch den vergangenen Skandälchen und Skandalen in diesem Bereich zu danken ist.

Corona-Hilfen als politisches Geschäftsmodell

Das Stadtberliner Defizit des laufenden Jahres schätzt der Landesrechnungshof auf rund drei Milliarden Euro. Auch für die kommenden Jahre (bis 2025) plant das Land Mehrausgaben bzw. Finanzierungslücken von zwei bis drei Milliarden Euro pro Jahr. Dazu will man auch die verbliebenen Normal-Landesrücklagen von 3,5 Milliarden Euro aufzehren.

METZGERS ORDNUNGSRUF 42-2021
Der Bundesrechnungshof mahnt: Keine Zukunft auf Pump
Die ausgezahlten Corona-Hilfen stammten auch im laufenden Jahr vor allem aus Bundesmitteln (knapp vier Milliarden Euro) und nur zum geringeren Teil aus Landesmitteln (531 Millionen Euro). Allerdings ist nicht einmal das 500-Millionen-Soforthilfe-Paket von 2020 bis jetzt vollständig abgeflossen. Auch hier sprang der Bund großflächig ein. Nur drei Millionen Euro flossen etwa in die Schankwirtschaftshilfe (vorgesehen waren 90 Millionen Euro). Man darf annehmen, dass man es schlicht nicht nötig hatte. Die Mehrausgaben hat man sich aber schon einmal genehmigt, vielleicht ja für bessere Zeiten.

Es waren übrigens die großzügigen Corona-Hilfen, die dem alten und neuen Kultursenator Klaus Lederer (Linkspartei) angeblich eine so große Popularität „aus guten Teilen der Szene“, und dies „lange bevor der Bund diese Klientel überhaupt erkannt“ hatte. So urteilte die Taz, die es dank Verwurzelung im hauptstädtischen Soloselbständigen-Milieu wissen muss. Eines scheint jedoch an der Rechnung nicht zu stimmen: Der Kultursenator entdeckte zwar einen Finanzbedarf, vermochte ihn aber selbst nicht zu decken, sondern organisierte allenfalls den Durchfluss von Bundeshilfen sowie die Schaffung eines Nebenhaushalts namens Pandemie-Sonderkredit, den er dann – mithilfe von Sozialdemokraten und Grünen – doch nicht ausgab, sondern für künftige Wohltaten aufsparte. Dass ihm der Landesrechnungshof an dieser Stelle einen Strich durch die Rechnung macht, wäre allerdings zu hoffen.

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