Tichys Einblick
Mandatsverlust wegen Softwarefehler

Sachsen: AfD-Sperrminorität „rückgängig gemacht“

Können deutsche Landeswahlleiter keine Wahlergebnisse mehr lesen? Egal, was hinter dem „Softwarefehler“ in Sachsen steckt, welcher der AfD in letzter Sekunde die Sperrminorität stiehlt – der Eindruck ist verheerend.

Jörg Urban (AfD), Vorsitzender der AfD in Sachsen

picture alliance/dpa | Kay Nietfeld

Das beste Deutschland aller Zeiten macht seinem Ruf wieder alle Ehre. Im Ausland mittlerweile bekannt für seine „dümmste Energiepolitik aller Zeiten“, Messerdelikte und – spätestens seit der EM – für seine unzuverlässige Eisenbahn, schlägt der ehemalige Ordnungsstaat ein neues Kapitel auf. Ein Softwarefehler soll daran schuld sein, dass die AfD in Sachsen ein Mandat weniger bekommt, als noch am Sonntagabend verkündet. Sie käme dann nur auf 40 statt 41 Sitze.

Es ist ein Sitz, der es in sich hat. Denn er trennt die Blauen von der Sperrminorität. Wenn eine Fraktion mehr als ein Drittel des Landtages für sich reklamiert, kann sie in Eigenregie all jene Gesetze blockieren, die nur mit Zwei-Drittel-Mehrheit möglich sind. Verfassungsänderungen oder die Auflösung des Landesparlaments wären davon betroffen. Sie könnte zusätzlich die Wahl von Präsidenten oder Richtern am sächsischen Verfassungsgerichtshof und am Landesrechnungshof verhindern.

Der sächsische Landeswahlleiter hatte bereits am Montagmorgen erklärt, das Ergebnis zu überprüfen. Es hatte Unstimmigkeiten bei der Angabe der Stimmverteilung und der Zuteilung der Sitze gegeben. In Sachsen war laut WELT das D‘Hondt-Verfahren zum Einsatz gekommen, das größere Parteien leicht bevorzugt – obwohl nunmehr auch in Sachsen das Sainte-Laguë zum Einsatz kommen sollte. Bei der Bundestagswahl gilt die Berechnungsmethode nach Sainte-Laguë bereits seit 2009. Die Seite wahlrecht.de hatte auf die Diskrepanz hingewiesen.

Folge: CDU und AfD verlieren einen Sitz im Landtag, SPD und Grüne erhalten einen dazu. Die CDU erhält demnach 41, die AfD 40, das BSW 15, die SPD 10, die Grünen 7, die Linke 6 Sitze und die Freien Wähler einen Sitz. Mit 80:40 von 120 Sitzen könnten damit theoretisch alle Parteien zusammen weiterhin Gesetze via Zweidrittel-Mehrheit beschließen und Richter ernennen.

Der Fall ist gleich doppelt erstaunlich. Erstens, weil ein solcher „Softwarefehler“ niemandem bei den Behörden auffiel. Der Fehler ist nicht nur peinlich und symbolisch für den einst wie am Schnürchen funktionierenden Beamtenstaat Deutschland.

Er weist auch auf einen zweiten Umstand hin: nämlich das seit Jahren im freien Fall befindliche Vertrauen in das Wahl-Prozedere und Ergebnisse. Obwohl während der Berlin-Wahl das Chaos offenkundig war und Zweifel an der Legitimität des Ergebnisses, versuchten die Verantwortlichen damals die Mängel, Fehler und Manipulationen zu vertuschen. Damals gab es keinen Landeswahlleiter, der sofort eingriff, um ein Ergebnis rückgängig zu machen.

Vielleicht, weil in der Hauptstadt die Traumkoalition aus SPD, Grünen und Linken die Mehrheit bekam? Vielleicht hätte so mancher Behördenchef in Berlin schwitzigere Finger bekommen, hätte die AfD dort triumphiert.

Der „Rotstift im Nachhinein“ hat jedenfalls dramatische Auswirkungen. Gerade in Ostdeutschland. Hatte bei der letzten Thüringen-Wahl Angela Merkel noch verkündigt, die Wahl müsse „rückgängig“ gemacht werden, so wird nun nicht nur viele Sachsen der Gedanke bedrücken, hier sei im Nachhinein eine Wahl korrigiert worden. Wer versucht, die größte bzw. zweitgrößte Partei einer Landtagswahl weiterhin aus der Regierung herauszuhalten, der muss damit rechnen, dass auch dieser „Softwarefehler“ als Manipulation gedeutet wird.

Dann tragen auch solche Meldungen zur vielbeschworenen „Vergiftung des politischen Klimas“ bei. Insbesondere, wenn Landeswahlleitungen zeigen, wie fix sie plötzlich reagieren können, wenn beim Wahlergebnis etwas – in ihrem Sinne – schiefgelaufen ist. In Berlin brauchte es dafür ein Verfahren vor dem Berliner Verfassungsgerichtshof und dem Bundesverfassungsgericht. Die Korrektur trat dort nicht nach Stunden, sondern Jahren ein. Die klammheimliche Freude der „demokratischen“ Medien über die rettende Kunde wird dabei umso mehr die Frage aufwerfen, wie glaubwürdig Wahlergebnisse in diesem besten aller möglichen deutschen Landen sind.

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