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Das Leichtgewicht

Mit dem saarländischen Ministerpräsidenten Tobias Hans stürzt ein weiteres Stück Merkel-CDU

Ministerpräsident Tobias Hans steht im Saarland vor der Abwahl. Der 44-Jährige repräsentiert die Merkel-CDU wie kaum ein anderer: biegsam und flexibel bis zur Selbstaufgabe.

IMAGO / BeckerBredel

Neun Jahre hat Tobias Hans studiert. Wirtschaftsinformatik und Informationswissenschaft. An der heimischen Universität in Saarbrücken. Ohne abzuschließen. Karriere macht er trotzdem. In der Politik: 2006 holt die saarländische CDU den damals 28 Jahre alten Studenten als „wissenschaftlichen Mitarbeiter“ in die Landtagsfraktion. Ein Jahr später wird er befördert: zum persönlichen Referenten des saarländischen Justizministers – und bricht sein Studium ab. Ausbildung braucht er jetzt nicht mehr. Bei der nächsten Gelegenheit bekommt Hans auch noch ein Landtags-Mandat.

Nur mit dem Studium hat sich Hans lange und erfolglos abgemüht. In der Politik geht es schnell für ihn. Zumindest wenn Politikfunktionäre entscheiden. In einer Direktwahl unterliegt Hans 2015 Sören Meng (SPD), wird nicht Landrat in Neunkirchen. Zwei Tage später befördert seine Fraktion den Wahlverlierer vom Parlamentarischen Geschäftsführer zum Vorsitzenden. Ein Job, den vorher schon sein Vater acht Jahre lang ausgeübt hatte. Knapp drei Jahre später erbt Hans wieder. Dieses mal den Posten des Ministerpräsidenten, als Annegret Kramp-Karrenbauer nach Berlin wechselt.

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Viel gestalten kann ein saarländischer Ministerpräsident nicht. Nach dem Ende des Bergbaus drohen auch die Schließung von Ford in Saarlouis und das Aus der verbliebenen Arbeitsplätze in der Stahlbranche. Finanziell hängt das Saarland schon jetzt am Tropf des Bundes. In drei Jahren muss es weitere 360 Millionen Euro jährlich einsparen. Bei einem Gesamtetat von rund 5 Milliarden Euro. Geld, das im Wesentlichen für Personalkosten ausgegeben wird. Gestaltungs-Spielraum bleibt da kaum.

Solchen Spielraum brachte jedoch die Pandemie der Politik: Ministerpräsidenten konnten jetzt bis in die Küchen und Schlafzimmer ihrer Bürger reinregieren. Hans machte davon Gebrauch wie kaum ein anderer – gab vor allem 2020 zu Beginn der Pandemie den Hardliner. Saarländer erhielten Bußgelder in dreistelliger Höhe, wenn sie nur einige Dörfer weiter zum Einkaufen fuhren oder älteren Mitmenschen beim Putzen halfen.

Doch Hans ist nicht von Natur aus ein Hardliner. Seine Spezialität als Politiker ist die dreifache Rolle vorwärtsrückwärts. Als die Bürger des Lockdowns müde wurden, war Hans einer der ersten, der öffnen wollte. Regieren nach Meinungsumfragen – ganz wie Merkel. Wobei eben diese Umfragen jetzt gegen ihn sind: Rund 40 Tage vor der Wahl sieht Infratest die CDU bei 29 Prozent, deren Koalitionspartner SPD bei 38 Prozent.  Die Sozialdemokraten haben zudem mehr potenzielle Koalitionspartner als die CDU.

Der schlechte Trend hat Hans verändert: Auf Twitter ist er schon seit über 23 Jahren unterwegs – doch ausgerechnet im Wahlkampf werden seine Beiträge seltener. Seine Vorwärtsrückwärts-Rollen indes werden spektakulärer. Wobei der Buchstabe G Hans kein Glück bringt: Das Wahljahr eröffnete der Ministerpräsident mit der Forderung, dass saarländische Schüler das Gymnasium künftig wieder neun statt acht Jahre besuchen sollen. Dabei war „G8“ zwei Jahrzehnte lang ein Prestigeprojekt der CDU. Daran erinnern ihn SPD und Saarländischer Rundfunk im Wahlkampf genüsslich.

Mit 2G – zuerst in der Gastronomie, dann im Einzelhandel – war Hans wieder Vorreiter unter den Ministerpräsidenten. Nachdem die Talkshows Karl Lauterbach zum Gesundheitsminister gemacht hatten, schien es zwischenzeitlich so, als ob Hardliner wieder die populäre Rolle in der Pandemie sei. Hans gab sie – und verlor. Vor dem Oberverwaltungsgericht. Das kippte Ende Januar 2G im Einzelhandel.

Hans reagierte wie ein trotziger Sohn: Dann müssten die Saarländer künftig mit FFP2-Masken einkaufen gehen. Den Beschluss setzte er buchstäblich über Nacht um – um ihn nach drei Wochen wieder zu kassieren. Zwischenzeitlich haben Friedrich Merz und Markus Söder die Union neu ausgerichtet und sprechen sich für eine Öffnungspolitik in der Pandemie aus. Da will Hans wieder dabei sein.

Dann präsentiert Hans ein „Team Saarland“ – Prominente, die ihre Beliebtheit auf einen politischen Kandidaten abfärben lassen sollen. Darunter als Kulturexpertin Marisa Winter. Dann aber der Skandal: Diese Frau hat demonstriert. Sie hat dabei keine Maske getragen. Im Freien. Und Schilder mit Kritik an der Corona-Politik wurden da auch noch hochgehalten. Ganz in der Nähe von Marisa Winter. Hans lässt seine Kulturexpertin gehen. Einen Tag, nachdem er sie vorgestellt hat.

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Dabei hätte sich Hans vor Marisa Winter stellen können. Ansatzpunkte wären da gewesen: Die Rolle des Chef-Anklägers übernahm für die SPD der Bundestagsabgeordnete Christian Petry. Dessen Fraktion hatte sich Ende September zum Gruppenfoto aufgestellt. Dabei trug nur ein Abgeordneter eine Maske. Im geschlossenen Raum. Seitdem postet Petry auf seinem Facebook-Account immer wieder Bilder von Treffen mit politischen und gesellschaftlichen Vertretern. Diese sind meist ohne Maske zu sehen. In geschlossenen Räumen. Petrys Angriffe gegen Winter stehen also auf dem wackligen Boden der Doppelmoral. Doch Hans kämpft nicht. Sich wehren, etwas durchstehen ist nicht sein Ding.

Allein FFP2-Masken helfen – Gesundheitsmasken helfen auch: nur drei Wochen braucht Hans für eine solche Rolle vorwärtsrückwärts. Seinen Wunsch als harter Macher, als Durchgreifer zu gelten, kann der Studienabbrecher so nicht verwirklichen. Darin erinnert er an einen anderen saarländischen Politiker: Heiko Maas. Auch ihm hatten die Granden in der Partei die Wege frei geräumt – auch ihn wollten die Bürger jedoch partout nicht wählen. Maas ging sogar so weit, sich mit Dreitagebart und offener Hemdbrust zu inszenieren. Ein Versuch, der kläglich scheiterte. Aber lustig aussah.

Dieses Schicksal droht nun auch Hans. Anders als bei Maas gibt es für den End-Protegierten keine Regierungsfraktion in Berlin, die ihm eine erneute Beförderung nach verlorener Wahl bieten kann. Vielleicht eröffnet diese Situation aber eine Chance für einen Kandidaten, der in Ämtern nicht mehr zu bieten hat, als diese haben zu wollen. Mit seiner Frau betreibt er bei Neunkirchen einen kleinen Pferdehof. Eine gute Rolle. Ganz ohne ständiges Vorwärtsrückwärts.

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