Die russische Außenpolitik zielt darauf, ehemalige Sowjetrepubliken heim ins Russische Reich zu holen und den hegemonialen Einfluß auf ehemalige Staaten des Warschauer Paktes zurückzuerlangen. Putin ist es bereits gelungen, eine strategische Sicherheitslücke in Europa zu erzeugen.
Der russische Präsident Putin verkündete in seiner Rede vor Abgeordneten und anderen Regimeeliten in Moskau, dass Russland Ende des Jahres 2017 eine neue atomgetriebene Rakete getestet habe. Diese könne jeden Punkt auf der Erde erreichen und sei nicht von Raketenabwehrsystemen abfangbar. Darüber hinaus teste Russland neue Unterwasserdrohnen, die mit Atomwaffen bestückt werden könnten. Auch hätte Russland kleinere Atomsprengköpfe entwickelt, welche in nicht abfangbare Marschflugkörper passten.
In dieser Woche wurde auch bekannt, dass eine russische Hackergruppe massive Cyberangriffe auf die deutsche Bundesregierung durchgeführt hat. Der Hackergruppe, hinter der nach Erkenntnissen des deutschen Verfassungsschutzes russische Regierungsstellen stehen, sei es gelungen, in den Informationsverbund Berlin-Bonn einzudringen. Der Informationsverbund Berlin-Bonn umfasst das Bundeskanzleramt, die Bundesministerien, den Bundesrechnungshof und die deutschen Sicherheitsbehörden.
Schon länger bekannt ist, dass russische Hackergruppen auch für die Cyberangriffe auf Hillary Clinton im US-Präsidentenwahlkampf 2016, auf Emmanuel Macron im französischen Präsidentenwahlkampf 2017, auf Regierungen von NATO-Staaten und auf den Deutschen Bundestag verantwortlich sein sollen.
Angesichts der russischen Annektierung der Krim, Russlands verdecktem Krieg im Osten der Ukraine, der russischen Intervention in Syrien auf Seiten des Diktators Assad, russischen Cyberattacken im US-Wahlkampf, im französischen Präsidentenwahlkampf und auf die deutsche Bundesregierung, angesichts der russischen Unterstützung von rechten und linken systemkritischen politischen Bewegungen in Europa und angesichts Russlands wiederholter und in dieser Woche erneuerter Verweise auf seine nuklearen Vernichtungsmöglichkeiten sollten die europäischen Regierungen endlich aufwachen: Das konventionelle und nukleare militärische Potential Russlands hat zusammen mit Russlands Willen zu „Neuen Kriegen“ und hybrider Kriegführung eine strategische Sicherheitslücke in Europa erzeugt, die zusehends größer wird.
„Das heutige Russland hat zwar nicht die Fähigkeit zu raumgreifenden Offensiven in den westlichen Teilen Europas, wohl aber dazu, in den baltischen Staaten und auch in Teilen Polens schnelle territoriale Gewinne zu erzielen. Die baltischen Staaten lassen sich mit den derzeitigen Kräften nicht verteidigen; sie wären – wie es ‚war games‘ auf amerikanischer Seite nahelegen – in wenigen Tagen überrannt.“
Spätestens seit dem 17. Oktober 2011 betrachtet Wladimir Putin die postsowjetischen Staaten als weggebrochene Teile eines einzigen Staates: „Die Sowjetunion ist zusammengebrochen. Doch woraus bestand die Sowjetunion? Aus Russland. Sie hieß nur anders.“ Und bereits 1994 erklärte der damals noch weithin unbekannte Putin bei den 101. Bergedorfer Gesprächen der Körber Stiftung in St. Petersburg, „dass Rußland im Interesse der allgemeinen Sicherheit und des Friedens in Europa freiwillig riesige Territorien an die ehemaligen Republiken der Sowjetunion abgegeben hat; darunter auch solche Territorien, die historisch immer zu Rußland gehört haben. Ich denke dabei nicht nur an die Krim oder an Nordkasachstan, sondern beispielsweise auch an das Kaliningrader Gebiet. Die Folge ist, dass jetzt plötzlich 25 Millionen Russen im Ausland leben, und Rußland kann es sich einfach nicht leisten – allein schon im Interesse der Sicherheit in Europa;-, daß diese Menschen willkürlich ihrem Schicksal überlassen bleiben“ (Rechtschreibung und Zeichensetzung im Original).
Putin äußerte dies im Zusammenhang mit Fragen von doppelten Staatsbürgerschaften und Minderheitenschutz. Wie der Schutz von Minderheiten mit russischer Abstammung im Ausland dann in der Praxis abläuft, wurde vor dem Einmarsch Russlands in Georgien im Jahr 2008 und der Annektierung Südossetiens durch Russland mit der Ausgabe von russischen Pässen an die Bewohner Südossetiens vorexerziert.
Und mit der Annektierung der Krim 2014 und dem weiterhin andauernden verdeckten Krieg im Osten der Ukraine hat Putin de facto die ersten Schritte unternommen, um die Ukraine heim ins russische Reich zu holen. Durch die Annektierung der Krim hat Russland sowohl die Schlussakte von Helsinki von 1975 verletzt als auch die Charta von Paris für ein neues Europa von 1990 sowie das Budapester Memorandum von 1994. Ein Land, das diese fundamentalen Verträge hinsichtlich der Ukraine verletzt, wird auch vor der Verletzung dieser Verträge bezüglich anderer Staaten nicht zurückschrecken, wenn sich dafür Gelegenheiten bieten sollten.
Das Regime Putin wird die desolate Lage des Westens für sich zu nutzen wissen, um diese Gelegenheiten wahrscheinlicher werden zu lassen. Eine strategische Sicherheitslücke in Europa konnte Putin bereits erzeugen. Von Wirtschaftssanktionen wird sich Putin auch weiterhin nicht abschrecken lassen. Und ob die sehr begrenzten Truppenstationierungen im Baltikum und Polen auf Russland dauerhaft abschreckend wirken, muss leider bezweifelt werden. Es liegt in den Händen der europäischen Regierungen und der USA, die strategische Sicherheitslücke in Europa schnell und entschieden zu schließen.