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Putin offen für Verhandlungen – Wie kommen wir zu einem Frieden in Europa?

Bereits vor seiner Reise nach China lobte Putin Xis 12-Punkte-Plan für einen Frieden in der Ukraine, in China selbst betonte er mehrmals, dass er offen für Verhandlungen mit der Ukraine sei. Dem Angebot Putins, Verhandlungen ins Auge zu fassen, zeigten die Außenminister der EU jedoch die kalte Schulter.

picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Alexander Kazakov

In der Ukraine wird gestorben, täglich, junge Ukrainer, junge Russen. In Europa hat man sich daran gewöhnt. Zuweilen entsteht der Eindruck, dass Goethes Satire des Bürgers im Faust I wieder aktuell wird, der da sagt: „Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen/Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei,/Wenn hinten, weit, in der Türkei,/Die Völker aufeinander schlagen./Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus/Und sieht den Fluss hinab die bunten Schiffe gleiten;/Dann kehrt man abends froh nach Haus,/Und segnet Fried und Friedenszeiten.“ Doch mit dem Segen ist es zu Ende und auch mit Fried und Friedenszeiten.

Es geht nicht darum, Russland zu rechtfertigen, Russlands Überfall zu verharmlosen. Es geht aber unabhängig vom Standpunkt, den man einnimmt, um Rationalität, darum, jenseits aller erhabenen Gefühle, die sich unsere Pantoffelhelden vor allem von den Grünen so gern bereiten, deutsche und europäische Interessen zu formulieren, von denen allein nur ein sinnvoller, ein erwachsener Umgang mit dem Krieg erfolgen kann. Es geht um kühle Vernunft, nicht um die emotionale Pose und auch nicht um das schlechte Deutsch von Annalena Baerbock.

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Fakt ist, der Krieg in der Ukraine und in Gaza kostet Europa täglich mehr Ansehen, täglich mehr Gewicht in der Welt. Neue Mächte steigen auf, Europa befindet sich im Abstieg. Längst weitet China seinen Einfluss aus, vergrößert durch das Instrument der BRICS-Staaten seine Macht. Die enge Kooperation Europas mit den USA ist essentiell, aber Kooperation, mag und soll sie auch noch so eng sein, beutetet nicht Gefolgschaft. Kooperation endet und Gefolgschaft beginnt dort, wo man gegen eigene Interessen handelt. Die Europäer müssen sich selbst in die Lage versetzen, sich selbst verteidigen zu können, und ihre Interessen, die nicht deckungsgleich mit den Interessen der USA sind, zu vertreten. Das hatte Emmanuel Macron schon einmal formuliert. Das allein reizte schon manchen Grünen hierzulande zum Veitstanz.

In der vorigen Woche reiste Wladimir Putin nach China und traf sich dort mit Xi Jinping. Bereits vor der Reise lobte Putin Xis 12-Punkte-Plan für einen Frieden in der Ukraine, die der chinesische Außenminister bereits im vorigen Jahr auf der Münchener Sicherheitskonferenz vorgeschlagen hat. Der staatlichen chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua sagte Putin vorige Woche Mittwoch: „Wir haben Friedensverhandlungen nie grundlegend abgelehnt.“ Und bekräftigte: „Wir sind offen für einen Dialog über die Zukunft der Ukraine, aber solche Verhandlungen müssen die Interessen aller involvierten Staaten in Betracht ziehen, auch unsere.“ In China selbst betonte er mehrmals, dass er offen für Verhandlungen mit der Ukraine sei. Am Freitag signalisierte er: „Es wird wieder darüber gesprochen, dass man zu Verhandlungen zurückkehren müsste“, sagte der russische Präsident Wladimir Putin am vergangenen Freitag. „Lasst uns zu ihnen zurückkehren.“

Chinas 12-Punkte-Plan beginnt mit der grundsätzlichen Feststellung: „Die Souveränität, Unabhängigkeit und territoriale Integrität aller Länder muss wirksam aufrechterhalten werden.“ Im zweiten Punkt fordert China die „Abkehr von der Mentalität des Kalten Krieges“. „Die Sicherheit einer Region sollte nicht durch die Stärkung oder den Ausbau von Militärblöcken erreicht werden.“

Gleichzeitig fordert China, dass die „legitimen Sicherheitsinteressen aller Länder ernst genommen“ werden müssten. In den Punkten drei und vier weist China darauf hin, dass alle Parteien „rational bleiben und Zurückhaltung üben“ sollten, damit die Krise nicht „weiter verschärft“ wird „oder sogar außer Kontrolle gerät“. Desweiteren legt China wert darauf, dass Atomwaffen nicht zum Einsatz kommen, Zivilisten geschützt und sichere Fluchtkorridore eingerichtet werden, humanitäre Hilfe ermöglicht und unterstützt wird, die Konfliktparteien sich strikt an das humanitäre Völkerrecht halten, die Grundrechte von Kriegsgefangenen achten und auch Gefangene austauschen, Kernkraftwerke oder andere friedliche Nuklearanlagen nicht angegriffen werden und der Wiederaufbau nach dem Konflikt unterstützt wird.

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Die Verhandlungschance wurde damals nicht genutzt, weil den USA und der EU die chinesischen Vorschläge nicht weit genug gegangen waren. Und so berechtigt die Kritik auch gewesen sein mag, kann doch niemand in Washington oder in Brüssel ernsthaft erwartet haben, dass China die Positionen der USA oder der EU oder der Ukraine einnehme, dann benötigte man keine Verhandlungen. Es liegt nun mal im Wesen von Verhandlungen, dass unterschiedliche Positionen bestehen, für die man in den Gesprächen eine Kompromisslösung finden muss.

Dem möglicherweise halbherzig und nur auf chinesischen Druck hin entstandenen Angebot Putins, Verhandlungen ins Auge zu fassen, zeigten die Außenminister der EU die kalte Schulter. Zum einen verwies man darauf, dass die Ukraine entscheide, wann über den Frieden verhandelt werde. Diese Position ist eine Schimäre, denn so abhängig wie die Ukraine von Waffenlieferungen und von Geld aus der EU und den USA ist, beleidigt dieses Statement die Intelligenz der Bürger. Und natürlich tönte Annalena Baerbock von der Partei, die den Krieg für sich zu entdecken begonnen hat: „Wir wollen den Frieden. Und um den Frieden sichern zu können, braucht es die volle Unterstützung der Ukraine.“ Was stellt sich die Frau aus dem Völkerrecht vor? Dass Moskau die Waffen strecken wird und Sergej Lawrow von Annalena Baerbocks Styling besiegt augenverdrehend auf die Knie fällt?

Man sehe sich einmal die Wirtschaftsdaten Russlands und Deutschlands an. Jacob Kierkegaard vom Think-Tank German Marshall Fund weist richtigerweise darauf hin, dass „Putin … die russische Wirtschaft auf Kriegswirtschaft umgestellt und einen Ökonomen zum Verteidigungsminister gemacht“ hat. Und zieht daraus die falsche Schlussfolgerung, dass Wladimir Putin „noch lange Krieg führen will“. Denn abseits von allen Spekulationen sagt das zunächst einmal nur, aber das immerhin, dass Putin noch lange Krieg führen kann. Kann die Ukraine das auch? Kann Europa das auch?

Dieser Krieg, den Robert Habeck benutzt, um das Desaster seiner Wirtschaftspolitik zu vertuschen, dieser Krieg, der Europa mit jedem Tag, den er dauert, schwächt, stärkt zugleich China und auch Russland in der Welt. Europa verliert in der Welt zusehends an Achtung, an Gewicht. Das liegt beileibe nicht nur an diesem Krieg, aber eben auch. Kierkegaard unterliegt der fatalen Fehleinschätzung, dass Russland eine Niederlage erleiden wird. In der Tat ist es fraglich, ob Russland den Krieg gewinnt, nicht fraglich ist hingegen, dass Russland den Krieg wohl kaum verliert. Für letzteres sprechen folgende Argumente:

  1. Erstens gibt es in Russland gegen Putin keine einflussreiche Opposition, im Gegenteil, eine Mehrheit des Volkes steht zu Putins Politik,
  2. zweitens ist Russland nicht isoliert in der Welt,
  3. drittens besitzt Russland alle wichtigen Rohstoffe,
  4. viertens schaden die Sanktionen Russland nicht im ausreichenden Maße, sondern die EU und am härtesten Deutschland,
  5. fünftens kann Russland über Umwege und über seine Verbündeten einen Teil der Sanktionen umgehen,
  6. sechstens wird Russland nicht aufgeben.

Als Napoleon Moskau eroberte, brannten die Russen ihre Hauptstadt nieder, Napoleons verlustreicher Rückzug bedeutete den Anfang seines Endes. Es ließen sich historische Beispiele in Hülle und Fülle beibringen. Und auch Jakob Kierkegaard kann die Finger nicht von historischen Vergleichen lassen, von denen er augenscheinlich zu wenig versteht. Seiner Ansicht nach muss die Ukraine weiterkämpfen, um alle Gebiete zurückzuerhalten. „1916 hätte man auch nicht erwartet, dass Frankreich das Elsass zurückerhält“, sagt er. „Aber genau das ist am Ende passiert.“ Kierkegaard fällt der irrigen Ansicht anheim, dass das Friedensangebot der Mittelmächte 1916 nicht ernst gemeint war, so wie Putins Erwähnung von Verhandlungen nur eine Falle, eine Finte sei.

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Doch lautet die Frage anders, wenn wir den historischen Kontext bemühen: Wie viel Not, Leid, Tod, wie viele verlustreiche Materialschlachten hätten vermieden werden können, wenn man sich 1916 zusammengesetzt hätte? Versailles hätte vermieden werden können, der Aufstieg der Faschisten und der Nationalsozialisten in Europa, der Zweite Weltkrieg. Es heißt, dass die Entente besonders auf französischen Druck sich nicht zu Verhandlungen bereitfand, weil Deutschland auf dem Status quo von 1914 bestand und deshalb nicht über Elsass-Lothringen, das seit 1871 zum deutschen Kaiserreich gehörte, verhandeln wollte. Welchen Preis soll die Ukraine bezahlen, welchen Preis sind wir bereit, zu entrichten? Es sind Fragen, die man am besten ohne Emotion, sondern mit kühlem Abwägen beantwortet. Die Frage, ob man durch Verhandlungen den Aggressor noch belohnt, ist eine emotionale Frage, die Frage, ob man den Aggressor durch Nachgiebigkeit zu weiteren Aggressionen ermuntert, eine rationale, allerdings auch eine komplexe.

Selbst wenn Putins Angebot eine Finte ist, selbst wenn es eine vergiftete Offerte darstellt, wäre es nicht besser, den Versuch zu unternehmen? Ist Verhandeln nicht allemal besser als Schießen? In Verhandlungen zu gehen, stellt genauso wenig eine Schwäche dar, wie sie abzulehnen, es kommt darauf an, wie gut die Gründe sind, es kommt darauf an, wie man in die Verhandlung geht und welche Alternativen man besitzt. Kommt man zu einem Frieden, der nicht den Keim eines neuen Krieges in sich trägt, das ist die anspruchsvolle Frage.

Wie man selbstbewusst in Gespräche geht und vor der internationalen Gemeinschaft nicht am Nasenring durch die Manege geführt wird, zählt eigentlich zum diplomatischen Handwerk. Was man in den Reden europäischer Politiker, was man in den Reden von Annalena Baerbock und von Marie-Agnes Strack-Zimmermann, von Roderich Kiesewetter und Anton Hofreiter vermisst, sind Gedanken, Ideen und Konzepte, wie man den Krieg möglichst schnell und auf dem Verhandlungsweg beilegen kann. Niemand behauptet, dass dies ein einfacher Weg ist, doch er ist der einzige. Auf einer Panzerkanone sitzend auf den Roten Platz zu donnern, dürfte wohl kaum die Lösung sein. Das ist nur lustig im Film, und auch dann nur in dem Klassiker von Stanley Kubrick aus dem Jahr 1964 „How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb“.

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