„Es bleibt eine große Herausforderung, die Streitkräfte materiell zu modernisieren. Hierzu bedarf es nicht nur eines leistungsstarken Rüstungs-bereiches und zuverlässiger industrieller Partner, sondern auch einer hinreichenden Finanzierung.“ So steht es im zwölften Bericht zu Rüstungsangelegenheiten, den das BMVg nun vorgelegt hat. Veröffentlicht wurde nur Teil 1, in dem von „kontinuierliche(n) Erfolge(n) bei Rüstungsprojekten“ die Rede ist. Im nicht-öffentlichen zweiten Teil sollen Risiken sowie eingeleitete Maßnahmen und erzielte Fortschritte bei einem Dutzend dieser 20 wesentlichen Beschaffungsvorhaben im Mittelpunkt stehen. Es bleibt demnach bei der Geheimniskrämerei in zentralen Rüstungsfragen, der Öffentlichkeit werden wie bereits im letzten Jahr Informationen vorenthalten. Immerhin führt bereits der zugängliche Teil zu interessanten Erkenntnissen.
Große Ausgaben – große Bürokratie
Die für Rüstungsausgaben der Bundeswehr jährlich eingeplanten Finanzmittel sind gewaltig. In den einzelnen Kategorien ergibt sich im Bundeshaushalt 2021 folgendes Bild:
- Militärische Beschaffungen 8,09 Milliarden Euro
- Materialerhaltung 4,53 Milliarden Euro
- Forschung, Entwicklung, Erprobung 1,65 Milliarden Euro
- Betreiberlösungen 3,38 Milliarden Euro
Der Bundeswehr lief in den ersten zehn Monaten 2020 denn auch eine gehörige Menge neuen Wehrmaterials zu. Eine kleine Auswahl:
- 1 Fregatte 125
- 3 Transportflugzeuge A400M
- 19 Schützenpanzer Puma (siehe Bild)
- 600 Maschinengewehre MG5
- 898 Transportfahrzeuge 5 t und 15 t
- 4352 Schutzwesten sowie
- 238.888 Kampfstiefel.
Beschaffungs- und Nutzungsorganisation mit Defiziten
Nachdem die Materialausstattung der Streitkräfte seit Jahren heftig in der Kritik steht, hat Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer 2019 die Einrichtung einer Arbeitsgruppe Umsetzung zur Optimierung der Beschaffungs- und Nutzungsorganisation verfügt. Hinter diesem trockenen Bürokratendeutsch steht immerhin ein Fortschritt im Vergleich zur sechsjährigen Amtszeit ihrer Vorgängerin von der Leyen. Jahrelang hatte diese hin und her untersuchen lassen, Modelle erstellt und wieder verworfen, die auf eine Agenturlösung hinauslaufen sollten. Außer Millionen teuren Beraterverträgen wurde kaum etwas zustande gebracht.
Kramp-Karrenbauer hatte zügig entschieden, es prinzipiell bei den vorhandenen Strukturen zu belassen. Nicht die eine große umfassende Reform, sondern viele kleine Verbesserungsschritte sollen zum Ziel führen. Ob die eingeleiteten Maßnahmen tatsächlich zu nachhaltigen Fortschritten im Beschaffungsprozess führen, wird TE weiter verfolgen.
Nicht zuletzt wird auch eine sogenannte Agenda Nutzung betrieben. Übergeordnetes Ziel dabei ist, die Beschaffung und Bereitstellung von Versorgungsartikeln zu optimieren. Von Aufbau und Weiterentwicklung einer Lieferkette (Supply Chain Management) war schon vor Jahrzehnten die Rede, anscheinend gingen die Kenntnisse im Laufe der Zeit verloren. Nun soll – endlich wieder – ein 30-Tage-Einsatzvorrat an Ersatz- und Austauschteilen aufgebaut werden, damit Flugzeuge fliegen, Schiffe und Panzer fahren können. So bekommen Bundeswehrbürokraten zusammen mit denen der gewerblichen Wirtschaft für viel Geld Dinge wieder in den Griff, die Jahrzehnte lang schon mal funktioniert haben. Die Standardsoftware SAP soll dabei zusätzlich helfen. Für nicht wenige Bundeswehrangehörige klingt das extra bedrohlich.
Strategischer Industriedialog zur Trümmerbeseitigung
Miteinander zu reden ist immer besser als übereinander. Bereits seit 2014 läuft ein strukturierter Dialog zwischen BMVg und dem Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie e.V. (BDSV). Dieser soll zu einem gemeinsamen Verständnis in Managementfragen, im militärischen Beschaffungswesen, zur Verbesserung der Einsatzbereitschaft und im Vertragswesen etc. beitragen. Neues Vertrauen zwischen Bundeswehr und Ausrüsterindustrie soll sich einstellen.
Und die Ursachen?
Unsere hell- und weitsichtigen Politiker reden gerne von der Abstellung von Fluchtursachen auf dem afrikanischen Kontinent. Tags darauf stimmen Sie weiteren Exportsubventionen für die europäische Landwirtschaft zu und tragen damit zum Versiegen afrikanischer Einkommensquellen bei. Das Ergebnis ist bekannt. Beispiele hinken bekanntlich immer, aber einige Mechanismen auf dem Sektor Verteidigungsindustrie sind ähnlich schizophren.
Politisch gesetzte Rahmenbedingungen sind ursächlich für die endlosen Kalamitäten in der Militärrüstung:
- Aus Gründen der Autarkie und Souveränität versuchen Länder mit entsprechendem Potenzial ihre Verteidigungsindustrie abzuschirmen, ein Wettbewerb findet damit kaum statt.
- Rüstungsmärkte sind in mehrfacher Hinsicht abgeschottete Märkte. Ein Rüstungsgut darf nicht frei exportiert werden, grenzüberschreitende Exporte selbst in befreundete Länder bedürfen der Genehmigung.
- Die Entwicklung von Rüstungsgütern wird mit hohen Geldbeträgen subventioniert, ausländische Mitbewerber werden teilweise von der Auftragsvergabe ausgeschlossen – einerseits.
- Andererseits werden grenzüberschreitende Rüstungskonglomerate und auch industriell darbende Regionen mit Rüstungsprojekten gefördert.
- Rüstungsgüter sind oftmals technologisch anspruchsvoll und komplex, der Entwicklungsaufwand bei geringen Stückzahlen entsprechend immens. Die um sich greifende Übertechnisierung trägt dazu bei, den Entwicklungs- und Beschaffungsaufwand zusätzlich zu steigern.
- Das Einfahren der Friedensdividende nach dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes hat zu einer in Teilen nachvollziehbaren Verringerung der Verteidigungsausgaben geführt: Industrielle Mitbewerber schieden aus, der Konkurrenzdruck ließ weiter nach.
Diese Rahmenbedingungen führen zu einer deutlichen Bevorzugung der nationalen Rüstungsschmieden. Ein Waffensystemauftrag gibt ihnen für lange Jahre dicke Trümpfe in die Hand. Erworbene Kenntnisse und Fertigkeiten sind kaum auf Konkurrenten übertragbar, eine Konkurrenz ist kaum zu fürchten. Wenn doch Einschnitte drohen, wird gerne das Arbeitsplatzargument gezogen.
Die Politik beschimpft die Beschaffer, drei Finger der Hand weisen aber zurück
Rüstungsunternehmen in allen Ländern nutzen diese Lage für ihre Zwecke. Ihren oftmals direkten Zugang zu politischen Entscheidungsträgern setzen sie zum eigenen Vorteil ein. So wirken vermeintliche politische Zwänge, bürokratisches Unvermögen und Firmeninteressen zum Nachteil der Armeen wie auch der Steuerzahler zusammen. Im Ergebnis diktieren nationale oder auch transnationale Champions die Bedingungen. Man muss kein Prophet sein um vorhersagen zu können, dass die zunehmende Verflechtung der europäischen Rüstungsindustrie diesen Mechanismen zusätzlichen Schub verleiht. Die Verteidigungshaushalte können gar nicht so schnell steigen, wie ihnen die Preise davonlaufen. Auch diese Zusammenhänge sind aus dem aktuellen BMVg-Bericht zu Rüstungsangelegenheiten herauszulesen. Die 20 bedeutsamsten deutschen Rüstungsprojekte sind hinsichtlich ihres Leistung-, Zeit- und Kostenrahmens dort dargestellt. Wer wissen möchte, wohin die Milliarden fließen, führe sich diesen Bericht zu Gemüte.