Nachdem bekannt wurde, dass die syrische Regierung im Rahmen ihrer Wiederaufbaupläne im März 2018 per Dekret beschloss, Grund und Boden sowie Immobilien zu verstaatlichen, deren bisherige Eigentümer nicht innerhalb von 30 Tagen ihre Eigentumsansprüche geltend machen, droht insbesondere den ins Ausland geflohenen Syrern die Enteignung ihres früheren (Immobilien-)Vermögens.
Ihre Rückkehr in die Heimat wird dadurch noch mehr erschwert als es angesichts des Umstands, dass es sich bei vielen der geflohenen Syrer um Oppositionelle und/oder Fahnenflüchtige der syrischen Armee handelt, ohnehin schon der Fall ist. In Syrien besteht für Männer Wehrpflicht. Wer sich ihr durch Flucht entzieht, muss bei einer Rückkehr in seine Heimat mit einer Bestrafung rechnen. Berichtet wird inzwischen von Verhaftungslisten der Regierung, auf denen in großer Zahl (1,5 Millionen) vermutlich nicht nur Oppositionelle, sondern auch Fahnenflüchtige aufgeführt sind, die bei einer Rückkehr festgenommen werden sollen.
Allein deswegen war von Anfang an nicht damit zu rechnen, dass ein Großteil der meist jungen und daher wehrpflichtigen Männer nach dem Ende des Krieges mit ihren mitgebrachten oder inzwischen nachgezogenen Familien freiwillig nach Syrien zurückkehren wird. Das wäre nur vorstellbar, wenn die syrische Regierung sie amnestieren würde. Hinzu kommt, dass Fahnenflüchtige nach dem Ende eines Krieges normalerweise von den Soldaten, die siegreich gekämpft haben, sowie von deren Familien nicht sonderlich hoch angesehen werden. Die syrischen Männer, die sich der Wehrpflicht durch ihre Flucht ins Ausland entzogen haben, müssten wohl eher mit Anfeindungen, mindestens aber mit Stigmatisierungen und entsprechenden Benachteiligungen zum Beispiel bei der Jobsuche oder der Wohnungssuche rechnen, wollten sie nach dem Ende des Krieges nach Syrien zurückkehren. Das wissen sie. Viele von ihnen werden deswegen wahrscheinlich auch selbst dann nicht in ihre Heimat zurückkehren, sollten sie wider Erwarten amnestiert werden.
Das von Assad erlassene Enteignungsdekret bestätigt zusammen mit den Verhaftungslisten alle Vermutungen, dass die syrische Regierung trotz des mit der Fluchtwelle teilweise einhergehenden Verlustes an akademisch qualifizierten Arbeitskräften (Brain Drain) an einer Rückkehr der Geflohenen nicht sonderlich interessiert ist. Sie würden das ohnehin schon bestehende Problem hoher Arbeitslosigkeit (auch von Akademikern) und mangelnden Wohnraum verschärfen und überdies den oppositionellen sunnitischen Bevölkerungsanteil wieder erhöhen, woran den alevitischen Machthabern im Land nicht gelegen ist. Durch die Flucht von mehreren Millionen Syrern ins Ausland hat sich in Syrien überdies nicht nur der Überbevölkerungsdruck verringert, sondern auch der Zufluss von Zahlungen der Geflohenen an ihre Familien zu Hause erhöht. Beides wäre nicht mehr der Fall, sollten die geflohenen Syrer wieder mehrheitlich in ihre Heimat zurückkehren. All dies spricht aus Sicht der syrischen Regierung eher für einen dauerhaften Verbleib der Geflohenen im Ausland als für deren Rückkehr.
Die Bundesregierung hat dies offiziell erstmals mit dem Enteignungsdekret vom März dieses Jahres zur Kenntnis genommen, obwohl sie sicherlich schon länger wußte, dass Assad der Exodus seiner vorwiegend sunnitischen Landsleute ins Ausland in die Hände spielt. Vereinzelte regierungsamtliche Aussagen, ein Großteil der inzwischen ins Land gelassenen rund 500.000 Syrer würde nach einer Beendigung des Krieges wieder in ihre Heimat zurückkehren, sind somit offensichtlich auf Sand gebaut. Der Druck auf eine dauerhafte Integration der syrischen Asylbewerber in den deutschen Arbeitsmarkt steigt dadurch ebenso wie der Druck auf eine Begrenzung oder besser einen Stopp des weiteren Zustroms. Für beides gibt es bislang keine wirksamen Lösungen. Von daher ist die Kritik der Bundesregierung an Assads Rückkehr-Verhinderungsmaßnahmen, gegen die sie unter anderem die UN in Stellung bringen möchte, gut nachvollziehbar. Sollte sie bei der Grenzöffnung 2015 jemals in Erwägung gezogen haben, die damit ausgelösten gesellschaftlichen Probleme ließen sich dadurch vermeiden, dass die ins Land gekommenen Syrer in absehbarer Zeit wieder in ihre Heimat zurückkehren, wurde sie spätestens jetzt durch die syrische Regierung eines besseren belehrt.
Nicht nachvollziehbar ist allerdings die Überraschung und moralische Empörung, mit der die Kritik vorgetragen wird. Die Bundesregierung selbst hat den syrischen Asylbewerben von vornherein versprochen, dass sie als Arbeitskräfte in Deutschland gebraucht werden und deswegen auf Dauer bleiben können. Darin wird sie bis heute sowohl von den Arbeitgeberverbänden, den Gewerkschaften, den Wohlfahrtsverbänden sowie den zahlreichen Hilfs- und Lobbyorganisationen für Asylbewerber unterstützt. Von Plänen einer massenhaften Rückführung der syrischen Asylbewerber in die Heimat nach dem Ende des Krieges war seitens der Regierung bislang jedenfalls nie die Rede; dafür umso mehr von Qualifizierung, Arbeitsaufnahme und Wohnungsbau. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Im Fokus der deutschen Asyl- und Zuwanderungspolitik steht eindeutig nicht die Rückkehr, sondern der dauerhafte Verbleib anerkannter und selbst nur subsidiär geschützter Asylbewerber. Gefordert wird vereinzelt sogar der dauerhafte Verbleib abgelehnter Asylbewerber, sofern sie zum Beispiel eine Ausbildung in einem Pflegeberuf absolvieren.
Mit der Aufnahme von mehr als einer halben Million syrischer Asylbewerber hat die deutsche Regierung somit nicht nur den Betroffenen, sondern auch Assad einen großen (humanitären) Dienst erwiesen. Es ist nicht auszuschließen, dass dies seine Fortsetzung findet, indem zum Beispiel den in der syrischen Provinz Idlip inzwischen konzentrierten Rebellen und ihren Familien seitens der EU auf Betreiben der Bundesregierung und mit Unterstützung der UN ein „Resettlement“ nach Europa ermöglicht wird. Damit wäre erneut sowohl den Betroffenen wie auch der syrischen Regierung geholfen, die sich auf diesem Wege eines weiteren Teils ihrer oppositionellen (sunnitischen) Bevölkerung entledigen könnte.