Tichys Einblick
Blut, Schweiß und Energiesparen

Robert Habeck und andere Prediger des Verzichts sind unglaubwürdig

Die Regierung ruft zu Opfern auf. Damit steht sie historisch nicht alleine da. Solche Aufrufe hat es immer wieder gegeben, vermutlich am berühmtesten ist der von Winston Churchill. Doch selten wirkte eine Regierung bei dem Appell so unglaubwürdig wie die deutsche.

IMAGO/photothek

„Ich habe nichts zu bieten, als Blut, Mühen, Tränen und Schweiß.“ Diese Worte Winston Churchills haben sich in das kollektive Gedächtnis eingebrannt. Mindestens in das britische, aber auch in das weltweite. Der frisch gewählte Premierminister schwor damit seine Bürger auf die Opfer ein, die der Krieg gegen Hitlers Deutschland ihnen noch bringen würde. Churchill war glaubwürdig und daher erfolgreich. Die Briten gewannen den Krieg. Auch weil sie früher zu Opfer bereit waren als die faschistischen Deutschen: Während in Deutschland noch Konsumgüter hergestellt wurden, war die britische Industrie längst auf die reine Kriegswirtschaft umgestellt. Während die deutsche Regierung aus ideologischen Gründen lange zögerte, bezog die britische Regierung die Frauen seines Landes längst in die Rüstungsproduktion mit ein.

Churchill hielt die Rede drei Tage nach seinem Amtsantritt, als sich die totale und rasche Niederlage Frankreichs im „Blitzkrieg“ bereits abzeichnete. Der Wechsel war notwendig. Seinem Vorgänger Neville Chamberlain hätte die britische Bevölkerung den Aufruf kaum abgenommen, Blut, Mühen, Tränen und Schweiß zu opfern. Er hatte durch seine schweren politischen Fehler England erst in die Position gebracht. Churchill hingegen hatte früh vor der Gefährlichkeit Hitlers gewarnt und gemahnt, England müsse eine Politik der Stärke betreiben. Das machte ihn in seiner und Chamberlains konservativer Partei lange zum Außenseiter. Er hat also selbst Opfer gebracht, deswegen haben ihm die Briten dann die Aufforderung, Opfer zu bringen, abgenommen.

TE-Podcast
Bauer Willi: „Die Welt steuert auf eine drastische Verknappung der Lebensmittel zu"
Von dieser Glaubwürdigkeit ist die deutsche Regierung weit entfernt. Auch wenn sie sich jüngst in Gesten gefällt, „Blut, Schweiß und Tränen“-Reden zu halten. Die jüngsten stammen vom Chef der Netzagentur, Klaus Müller, der nicht mehr will, dass die Deutschen täglich duschen. Und von Vizekanzler Robert Habeck (Grünen), der sie aufruft, mehr Rad statt Auto zu fahren, die Gardinen zuzuziehen und eine niedrigere Raumtemperatur zu akzeptieren. Der letzte Vorschlag erinnert an den von Thilo Sarrazin, in der Wohnung mal einen Pulli zu tragen, um die Heizkosten zu senken. Den ehemaligen Berliner Finanzsenator stempelten linke Parteien wie Grüne, ARD und SPD dafür zu einer Art Sozialfaschisten und „dummen Opa“ ab.

Die existenzvernichtende Brutalität, mit der Mahner bisher abgewatscht wurden, ist ein Grund, warum diejenigen heute besonders unglaubwürdig sind, die damals mit sichtbarer Freude an der Vernichtung andere abgewatscht haben. Zumal Grüne, Merkel-CDU und SPD ohnehin keine Churchills sind – sondern Chamberlains. Ihre schweren politischen Fehler haben das reiche Deutschland in eine Lage gebracht, in der Energiesparen kein freiwilliger Akt sein wird, sondern die Folge von Energiemangel: der überhastete Ausstieg aus der Atomenergie, der beschleunigte Ausstieg aus der Kohle, der wenig durchdachte Umstieg auf erneuerbare Energien und die Abhängigkeit zu Russland, die von den Einordnungs-Profis von ARD und ZDF übersehen wurde. Allerdings nicht komplett übersehen. Wenn vor dieser Abhängigkeit gewarnt wurde, etwa durch den damaligen US-Präsidenten Donald Trump, starteten ARD und ZDF einen Wettbewerb, wer treuer Haltung zeigen und lauter „Fake News“ brüllen kann.

Blut, Mühen, Tränen und Schweiß müssen aber auch vorgelebt werden, wenn sie als Appell glaubwürdig sein wollen. Von Winston Churchill ist eine exemplarische Anekdote erhalten: Ein Mitarbeiter aus seinem Stab beantragte ein freies Wochenende, um heiraten zu können. Churchill lehnte ab und stellte die rhetorische Gegenfrage: Der Krieg liege seinem Mitarbeiter wohl nicht? Dem Ziel, Deutschland zu schlagen, hatten sich alle und alles unterzuordnen. Deswegen blieb Churchill im bombardierten London und deswegen arbeitete er so hart, dass es auf Kosten seiner Gesundheit ging. Er lebte Opferbereitschaft vor.

Zehntausende weiter auf den Straßen
Corona-Spaziergänge halten an: Immer mehr wird auch Inflation und Preisexplosion Thema
Sparsamkeit ist nun nicht gerade das, wofür die Ampelregierung steht. Ihre erste Amtshandlung war es, die Sparpolitik der Vorgänger-Regierung zu beerdigen. In Folge seiner Corona-Politik hat der deutsche Staat in seiner Gänze laut Statistischem Bundesamt bereits über 300 Milliarden Euro Defizit in den Jahren 2020 und 2021 angehäuft. Die Schleusen für weitere Schulden sind dank der Ampel nun weit offen. Nur heißen diese künftig „Sondervermögen“, mit diesem sprachlichen Trick soll vom gefährlichen Tun abgelenkt werden. Der liberale Finanzminister Christian Lindner (FDP) geht bei dem Kasperletheater vorne weg. Ein weiterer Grund, warum Bürger beim Opfern nicht folgen wollen: Eine Regierung, die sich wie ein Zweijähriger die Augen zuhält, um Gefahren abzuwehren, erweckt nur wenig Vertrauen.

Nicht mal im Kleinen, nicht mal im Symbolischen ist die Bundesregierung bereit zu sparen: Zum 1. Juli erhöhen sich die „Diäten“ im Bundestag um 310 Euro, die Bezüge der Abgeordneten steigen somit auf rund 15.000 Euro im Monat. Das ist fast das Vierfache von dem, was ein durchschnittlicher Arbeitnehmer in Deutschland erhält. Noch unverschämter schlägt das Hamburger Parlament zu: „Die Bürgerschaft“ will sich die Bezüge sogar um 15 Prozent erhöhen. Die Mitglieder der Bundesregierung erhalten demnächst 1,8 Prozent mehr. Sie profitieren von einer Erhöhung der Bezüge im öffentlichen Dienst, die die Ampel übernimmt. Angesichts der Krise hätte sie darauf verzichten können.

Aber geht es um die eigenen Reihen, dann hat es der Staat nicht mit Sparen. Für den öffentlichen Dienst gab es 2020 und 2021 Corona-Zuschläge. 600 beziehungsweise 1.300 Euro. Davon profitierten auch die „wissenschaftlichen Mitarbeiter“ im Bundestag. Jeder Bundestagsabgeordnete kann ohnehin 23.205 Euro im Monat für solche Mitarbeiter ausgeben, die Kosten übernimmt der Bürger. Auch diese Etats wurden jüngst um rund 450 Euro erhöht. Die 23.205 Euro sind nur die Lohnkosten, die Abgaben für Kranken- oder Pflegekasse kommen noch obendrauf. 736 Abgeordnete hat das Deutsche Parlament, so viele wie noch nie. Reformen über eine Verkleinerung des Parlaments werden stets angemahnt, aber keiner setzt sie um.

Über 130 Millionen Euro erhalten die Abgeordneten allein im Bundestag jährlich an Bezügen. Über 205 Millionen Euro müssen die Bürger für die Mitarbeiter der Abgeordneten aufbringen. Dazu kommen die Lohnnebenkosten für diese Mitarbeiter. Dazu kommen die Kosten für die Mitarbeiter, die nicht bei den Abgeordneten selbst, sondern bei den Fraktionen angestellt sind. Wenn es um sich selbst geht, ist die Politik noch nicht auf „Blut, Schweiß und Tränen“ eingestellt.

Das gilt genauso wenig für ihre Lieblingsprojekte: Die Fernsehgebühren wurden erst erhöht. Dennoch arbeiten ARD und ZDF bereits an der nächsten Gebührenerhöhung – vor allem SPD und Grüne unterstützen sie dabei. Hunderte Millionen Euro verschlingt der „Kampf gegen Rechts“. Allein das Familienministerium hat die Summe für „Demokratie Leben!“ um 15 Millionen Euro auf 165,5 Millionen Euro aufgestockt. „Menschen stärken Menschen“ erhalten 18 Millionen Euro. Solche Initiativen sind Beschäftigungsprogramme für Geisteswissenschaftler – rot-grünes Klientel.

Abhängigkeit von russischem Gas
Habeck ruft zum Energiesparen auf: „Zehn Prozent Einsparungen geht immer“
Über 300.000 Menschen studieren in Deutschland geisteswissenschaftliche Fächer. Als Geisteswissenschaftler sozialversicherungspflichtig beschäftigt waren laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2020 rund 8000 Menschen. Wir bilden also – bezahlt von Steuergeldern – weit über Bedarf Geisteswissenschaftler aus. Besonders sie brauchen daher die Jobs als wissenschaftliche Mitarbeiter in den Parlamenten oder als Weltretter in finanziell gut ausgestatteten Projekten des Staates oder als Einordner bei ARD und ZDF.

Zum Vergleich: Medizin studieren in Deutschland rund 100.000 Menschen. Dabei liegt der Numerus Clausus nahezu bei 1,0 – viel mehr Menschen würden Medizin studieren wollen. Wir bräuchten sie auch dringend, denn Deutschland hat bereits einen Ärztemangel, der durch Pensionierungen noch viel dramatischer werden wird. Doch Medizinstudienplätze sind deutlich teurer als die für Geisteswissenschaftler. Statt dringend benötigte Ärzte auszubilden, schaffen Ministerpräsidenten lieber günstige geisteswissenschaftliche Standorte, damit sie auch noch die 30. größte Stadt in ihrem Land zum akademischen Standort erklären können. Selbstsucht statt Gemeinwohl. Die Patienten, die monatelang auf einen Termin warten müssen, werden sie dann mit einer „Blut, Schweiß und Tränen“-Rede trösten.

Ebenso wie der Ärztemangel kommt der Energieverzicht, ist im Ansatz auch schon erkennbar. Nicht weil die Menschen Robert Habeck folgen würden – sondern weil sie sich Strom nicht mehr leisten können. Und auch, weil die Netzstabilität angesichts der deutschen Energiepolitik wackelt. Bei Churchill war der Aufruf zu Verzicht ein Mittel, um ein übergeordnetes gemeinsames Ziel zu erreichen: den Sieg über NS-Deutschland. Bei Habeck und Co ist der Aufruf zu Verzicht ein Versuch, eigene Fehler zu kaschieren. Wer Predigern wie Habeck nicht glaubt, zeigt daher wachen Verstand. Zumal diese beim Aufruf zum Verzicht näher an Heinrich Heine sind als an Winston Churchill. An Heines berühmten Zitat. Dem vom Wasser predigen und Wein saufen.

Genauer: „Ich kenne die Weise, ich kenne den Text, Ich kenn auch die Herren Verfasser / Ich weiß, sie tranken heimlich Wein. Und predigten öffentlich Wasser.“

Anzeige
Die mobile Version verlassen