Meinetwegen kann Robert Habeck im Matrosenanzug von der Revolution im November in Kiel 1918 träumen, und so gestärkt von diesem großen Traum gegen die AfD, gegen Donald Trump, gegen das Wetter, gegen die soziale Markwirtschaft, gegen das Eigentum, gegen die Freiheit, gegen diejenigen, die es vorziehen, selbst zu denken, gegen die, die sich ein Eigenheim bauen wollen, gegen eine Welt voller Feinde, gegen die neuen, heimlichen Allianzen, die doch so zahlreich sind, dass der wackere Streiter für die grüne Wahrheit, sie gar nicht alle aufzuzählen vermag, zu Felde ziehen.
Aber muss es denn die Literatur sein, mit der er sich beschäftigt, und von der er doch augenscheinlich nichts versteht? Warum sich nicht lieber mit Bedienungsanleitungen für Windkrafträder oder mit Mutmachepostillen für kommende Blackouts beschäftigen? Allerdings kommt der Grünen-Chef nur dem nach, worum er vom Deutschen Taschenbuchverlag gebeten wurde. Wie kann ein Verlag es fertigbringen, Weltliteratur mit einem Vorwort aus Krähwinkel zu versehen?
Sicher, auch in der DDR wurden Vorworte und Nachworte zu Texten verfasst, um die politisch korrekte Lesart vorzugeben. Zur Ehre der Literaturwissenschaftler sei allerdings gesagt, sie wussten, was sie taten, und sie taten es, damit der Text überhaupt erscheinen durfte. Robert Habeck weiß hingegen nicht, was er tut, denn sein Vorwort hat zwar viel mit Robert Habeck und wie er die Welt sieht zu tun, aber so gut wie gar nichts mit Orwells Roman. Welcher Leser George Orwells will aber über Habecks Weltsicht informiert werden?
Habeck dokumentiert gleich zu Beginn seine Unkenntnis
Gleich im ersten Satz des Vorworts zu „1984“ liegt der grüne Parteichef so weit daneben, dass man bereits zu hoffen wagt, das schlimmste hinter sich zu haben: „George Orwell ist der Analytiker des Totalitarismus.“ George Orwell ist mit Sicherheit ein ausgezeichneter Schriftsteller, der möglicherweise in einer Minute sanfter Spottlust für Robert Habeck die Bezeichnung „little Brother“ gefunden hätte, doch als der Analytiker des Totalitarismus darf immer noch zu recht Hannah Arendt gelten, aber auch Elias Canetti mit „Masse und Macht“, auch Alexander Jakowlew und Roy Medwedjew, Giovanni Amendola, Carl Joachim Friedrich und Zbigniew Brzeziński wären zu nennen.
Eine Studie an der Frankfurter Universität, an der knapp eintausend Studenten – zum großen Teil aus dem linken Spektrum –, teilnahmen, ergab, dass viele Studenten nicht mehr mit anderen Meinungen konfrontiert zu werden wünschen und ein Drittel der Befragten es ablehnen, Redner mit anderen Meinungen zu Fragen des Islams, der Migration oder der Genderpolitik überhaupt an der Hochschule zu dulden. Über ein Drittel der Befragten verlangen, dass Lehrenden die Lehrbefugnisse verweigert werden, wenn sie eine abweichende wissenschaftliche Meinung vertreten und sprechen sich dafür aus, dass Bücher aus der Bibliothek entfernt, also „gesäubert“ werden.
George Orwell demonstriert dieses exkludierende Verhalten in dem Essay „Über den Nationalismus“ am Beispiel der englischen Russland-Freunde, die selbst die gewagtesten Verrenkungen unternahmen, um die Existenz der sowjetischen Konzentrationslager zu übersehen. In diesem nationalistischen Denken, das man besser exklusiv-moralistisch nennen sollte, weil es alles exkludiert, das nicht der eigenen moralischen Haltung entspricht, spielen Realitäten keine Rolle mehr, es handelt sich lediglich um die Macht, die eigene Position durchzusetzen – ohne Rücksicht auf Verluste. Zu den Mitteln dieser Macht zählt das Mehrheitsargument, das „Wirsindmehr“ oder die Mehrheit aller Wissenschaftler, die Mehrheit aller Wasserfrösche – ad infintum. Orwell antizipiert die Identitätspolitik der Linken, wenn er als konstitutiv für diese Haltung die Vorstellung benennt, dass sich „Menschen wie Insekten klassifizieren“ und in Gruppen einteilen ließen. Die englische Übersetzung des lateinischen Grundsatzes „divide et impera“ lautet dementsprechend auch: Diversity. Die Identifikation mit einer Gruppe führt dann dazu, dass sie über die Interessen aller anderen Gruppen gestellt wird, eines ihrer totalitären Mittel findet sich in der Quote, die ja nichts anderes macht, als „Menschen wie Insekten“ zu klassifizieren.
Habeck weiß nicht, dass „1984“ keine „Analyse“ ist
Zum anderen kann „1984“ schon vom Genre her keine Analyse anstellen, das sollte Robert Habeck eigentlich wissen, wenn er sich ernsthaft einmal mit so etwas wie Literaturwissenschaft beschäftigt haben sollte. Denn wäre der Roman die Analyse des Totalitarismus, wäre er als Roman schlichtweg misslungen. Romane analysieren nicht, sie erzählen. Nun gehört aber Orwells Roman „1984“ zu den großen und beeindruckenden Dystopien der Weltliteratur und tritt hierin an die Seite von Aldous Huxleys „Schöne, neue Welt“, Jewgenij Samjatins „Wir“, Arthur Koestlers „Sonnenfinsternis“ und auch Andrej Platonows „Tschewengur. Die Reise mit offenem Herzen“.
Ohne Orwells Bericht „Mein Katalonien“ gelesen zu haben, braucht man nicht über „1984“ zu schreiben, denn hier in Spanien erlebt Orwell hautnah und unter Lebensgefahr die Praktiken des Stalinismus, die Säuberungen, den Totalitarismus, was noch fehlt, erfährt der Autor kurz darauf in der BBC, nämlich das Appeasement der BBC, der Linksliberalen dem linken Totalitarismus Stalins gegenüber.
Während Spanier und Interbrigadisten an der Front gegen die Faschisten kämpften, exekutierten Stalins Schergen hinter der Front die Kommunisten, die Trotzkisten, die Bucharinisten, die Nichtstalinisten, die sich in der POUM (Partido Obrero de Unificación Marxista, Arbeiterpartei der Marxistischen Einheit) organisiert hatten, und die Anarcho-Syndikalisten. Zu Moskaus Henkern gehörte übrigens auch der spätere Stasi-Chef der DDR, der „Kaderoffizier“ Erich Mielke, der nach dem Mord an zwei Polizeioffizieren auf dem Berliner Bülow-Platz 1931 nach Moskau geflohen war. Zeitweilig musste sich Orwell, der der POUM nahestand, verstecken.
Habeck kennt den Zusammenhang von „1984“ und „Farm der Tiere“ nicht
Bevor man also wie Robert Habeck über die Aktualität von Orwells Roman deliriert, gehört es schlicht zum Handwerk, einen Blick auf die Publikationsgeschichte des Romans zu werfen. Vor dem Roman „1984“ verfasste Orwell die berühmte Fabel „Farm der Tiere“, in der die kürzeste Definition für den Kommunismus zu finden ist: „Alle Tiere sind gleich, aber einige Tiere sind gleicher als andere.“ Beide Werke müssen strikt zusammen betrachtet werden, weil beide Texte ihre Entstehung nicht nur der Erfahrung des Stalinismus verdanken, sondern weil der Kampf um die Publikation der „Farm der Tiere“ in den Roman „1984“ einfließt. Da unschwer hinter der Tierfabel Stalins Herrschaft über die Sowjetunion zu erkennen war, lehnte Orwells linksliberaler Verleger die Publikation ab. Drei weitere Verleger schlossen sich der Ablehnung an, übrigens nicht aus qualitativen, sondern aus politischen Erwägungen heraus.
Habeck ignoriert, dass „1984“ Stalins Kommunismus meint
Habeck in seinem Vorwort zu „1984“ geht sogar noch zwei Schritte weiter. Er ignoriert, dass „1984“ vollständig Stalins Kommunismus im Blick hat, er nimmt das nicht einmal wahr, sondern schüttelt den lästigen Zeitbezug nach ein paar halbherzigen Bemerkungen zur Diktatur ab, und insinuiert, dass Orwell das Buch gegen Donald Trump und gegen die AfD geschrieben habe. Hier verkennt Habeck Orwells Roman vollkommen, und er muss es, wenn er sich nicht höchst unangenehme Fragen stellen will. George Orwell nahm als Sozialist am Spanischen Bürgerkrieg teil. Dort erlebte er auf geradezu traumatische Weise die totalitäre Realität der emanzipatorischen Utopie des Kommunismus. Aus der großartigen Idee der sozialen Gerechtigkeit und der Emanzipation der Menschen wurde ein Zwangsstaat, ohne Gerechtigkeit, ohne Emanzipation.
Darum hält sich das tiefere Interesse für Hitler bei Orwell in Grenzen, denn Hitler stellte für ihn einen Rückfall in die Barbarei dar, doch Stalin bedeutete den Verlust der Zukunft. Doch Habeck will sich die Vorstellung dieser lichten Zukunft nicht durch ihre totalitäre Realität verderben lassen, deshalb schweigt er dort, wo Orwell Fragen stellt, und versucht sogar zu vertuschen, dass Orwell diese und keine anderen Fragen aufwarf. Will man über eine Fabel sprechen, die an „die Adresse von Diktatoren und Diktaturen ganz allgemein gerichtet“ ist, müsste man Franz Kafkas „In der Strafkolonie“ oder dessen Roman „Der Prozess“ befragen. Aber auch das ist nicht ganz so eindeutig, denn Brecht hatte in Svendborg Walter Benjamin darauf hingewiesen, dass Kafkas Werke eine prophetische Seite habe. Kafka habe die Angst „Angst vor dem Ameisenstaat“ gepackt, davor „wie sich die Menschen durch die Formen ihres Zusammenlebens sich selbst entfremden. Und gewisse Formen dieser Entfremdung habe er vorhergesehen, wie z.B. das Verfahren der GPU.“ Einen knappen Monat später kam Brecht noch einmal darauf zurück, nannte Kafkas Roman „Der Prozess“ ein prophetisches Buch und sagte: „Was aus der Tscheka werden kann, sieht man an der Gestapo.“ Mit GPU und Tscheka benutzte Brecht nur die Namen für den sowjetischen Staatsicherheitsdienst. Zwei Jahre später hatte im anbrechenden Großen Terror der sowjetische Staatssicherheitsdienst die Gestapo längst eingeholt.
Habeck erkennt nicht, dass „1984“ eine Lektion für Linke und Linksliberale ist – für seinesgleichen
Der Roman „1984“ ist vor allem eine Lektion für Linke und Linksliberale, eine Lektion u.a. für Robert Habeck. Linke und Linksliberale müssen, wenn sie es mit einer freiheitlichen und gerechten Gesellschaft, mit einer Gesellschaft, „worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist“ ernst meinen, sich Orwells Fragen stellen, die bis heute unbeantwortet sind. Die Funktionäre in der DDR und in der Sowjetunion haben diesen Satz von Marx und Engels stets andersherum verstanden, nämlich so, dass die freie Entwicklung aller, die Bedingung für die freie Entwicklung eines jeden sei – und nach der Lektüre des Vorworts scheint auch Robert Habeck dieser Lesart zuzuneigen.
Ist es Narzissmus, ist es Realitätsverlust, ist es ein einziger Freudscher Versprecher, aber fast alles, was der Grünen-Chef den Politikern der AfD, Donald Trump, den Rechtspopulisten, den „autoritären Herrschern“ vorwirft, gewinnt Robert Habeck lediglich aus seinem Blick in den Spiegel und belegt damit, dass die Linksliberalen im Moralismus längst der totalitären Versuchung erliegen.
In Orwells heute wieder sehr aktuellen Essay „Die Pressefreiheit“, der ursprünglich das Vorwort zur „Farm der Tiere“ bilden sollte und das Versagen der Linkliberalen, ihre totalitären Neigungen und Zensorengelüste geißelte, aber damals nicht gedruckt wurde, äußerte Orwell über Linksliberale klar und deutlich: „Der dunkle Punkt der literarischen Zensur in England ist, dass sie weitgehend freiwillig geschieht …. Doch dieselbe verhüllte Zensur wirkt auch in Büchern und Magazinen, ebenso wie in Theaterstücken, Filmen und im Radio … es ist nicht verboten dies oder jenes zu sagen, aber es ist „unschicklich“, es zu sagen, so wie es zu viktorianischer Zeit „unschicklich“ war, in Gegenwart einer Lady Hosen zu erwähnen. Jeder, der die herrschende Orthodoxie anzweifelt, sieht sich mit verblüffender Wirksamkeit zum Schweigen gebracht. Eine wirklich unzeitgemäße Meinung bekommt fast nie eine faire Anhörung, weder in der Volkspresse, noch in den Intellektuellenmagazinen.“
Habeck weiß nicht, was über seine „Grenzen des Sagbaren“ bereits bei Orwell steht
Was Orwell „unschicklich“ nennt, nennt Habeck die „Grenzen des Sagbaren“, die angeblich in Deutschland verschoben und überschritten werden. Doch Habeck möchte in Wahrheit, dass das „Unschickliche“ verboten wird, indem aus dem Unschicklichen als einer Frage des guten Tones eine Angelegenheit des Staatsanwaltes wird, denn schließlich weiß jeder, dass, wer Grenzen überscheitet, auch bestraft wird. Der Grünen-Chef bestätigt in seinem Vorwort sogar, dass in Deutschland „Sprachverbote“ existieren, denn diejenigen, die alle Grenzen des Sagbaren verschieben und überschreiten, „beklagen sich, dass es in Deutschland Sprachverbote gebe.“
Wenn Robert Habeck mit Orwell das „Neusprech“ als eine Sprache definiert, die „“gereinigt“ ist, die „schädliche Begriffe ausgemerzt hat“ und damit nicht mehr nur Propaganda ist, sondern eine eigene Wirklichkeit schafft“, dann hat der Grünen-Chef mit bewundernswerter Präzision das Wesen des Genderismus und der Political Correctnes auf den Punkt gebracht, als den totalitären Versuch durch die Manipulation der Sprache die Wirklichkeit zu verändern. So heißt es schon im Roman: „Die Revolution ist vollzogen, wenn die Sprache geschaffen ist.“ Und weiter kann man bei Orwell lesen: „Mit dem Jahr 2025 – aber vermutlich schon früher – wird jede wirkliche Kenntnis der Altsprache verschwunden sein. Chaucer, Shakespeare, Milton, Byron werden nur noch in Neusprachfassungen vorhanden sein, und damit nicht einfach umgewandelt, sondern in das Gegenteil verkehrt, was sie waren.“ So wie Robert Habeck in seinem Vorwort die Aussage des Romans in sein Gegenteil zu verdrehen sucht. Werden nicht bereits die Bücher von Autoren wie Astrid Lindgren einer Reinigung unterzogen, müssen nicht literarische Werke, aber auch Filme mit Trigger-Warnungen versehen werden? Haben nicht durch öffentliche Gelder finanzierte Filmstiftungen den Anspruch auf Qualität inzwischen durch die Überfüllung des sozialistischen Wettbewerbs in Diversity und Political Correctness ersetzt?
Habecks sinnloser Satz: „Sprache schafft dir Wirklichkeit.“
Staunen löst Robert Habeck dennoch aus, wenn auch ungewollt, mit dem sinnlosen Satz: „Sprache schafft dir Wirklichkeit.“ Ganz abgesehen davon, wer das ominöse Habeck’sche „dir“ sein soll – das arme Gespenst aus Dystopia? -, schafft Sprache keine Wirklichkeit, sondern Sprache ist ein Ausdruck von Wirklichkeit. Vielleicht hat man es auch mit einem Druckfehler zu tun, und es sollte eigentlich heißen: „Sprache schafft die Wirklichkeit“, allerdings nur im Koran, denn der behauptet, dass Allah schafft, indem Allah spricht.
Aber der Grünen-Chef geht noch weiter, denn die wundertätige Sprache schafft auch Wirklichkeit in der Politik. Das gemahnt an die Aussprüche der jeweiligen Großen Vorsitzenden. Man erinnert sich noch gut daran, dass bspw. Maos Spruch „Lasst tausend Blumen blühen“ ganze Stauden von Arbeitslagern in der Wirklichkeit sprießen ließ.
Wer sich aber im Sinne Habecks verantwortlich zeigt, darf reden, nur benötigt der keine Freiheit mehr, weil er aus „Verantwortung“ sagt, was er sagen muss. Die Freiheit der Rede besteht in der Freiheit, das zu äußern, was man sagen möchte, worüber man diskutieren möchte, nicht darin, nachzuplappern, was man sagen soll. Es gehört nicht zu Freiheit, sich verantwortlich zu zeigen, denn Habecks „Verantwortlichkeit“ erinnert sehr an den Klassenstandpunkt, den man einzunehmen hat, wenn man überhaupt reden möchte, es erinnert sehr an den Grundsatz jeder Diktatur: jeder darf frei meine Meinung äußern, wer davon abweicht, handelt gezielt unverantwortlich und wer unverantwortlich handelt, dem muss das Recht auf die freie Meinungsäußerung entzogen werden, denn über die Freiheit befindet derzeit die Bundeskanzlerin, im Herbst vielleicht schon Robert Habeck. Es hat sich unter Merkel bereits jetzt schon ein Freiheitszuteilungsmanagement herausgebildet. Die Freiheit gehört nicht mehr den Bürgern, sondern sie wird ihnen wie die Häppchen den dressierten Tieren im Zoo zugeteilt, wenn sie nach dem Willen des Dresseurs springen.
Habeck passt zum „Freiheitszuteilungsmanagement” von Merkel
Gilt nicht das Prinzip von Rede und Gegenrede, ist die Demokratie nicht der Wettstreit um das beste Argument? Warum spricht Robert Habeck nicht über den so grassierenden, wie denunziatorischen Kontaktschuldvorwurf, der immer mehr um sich greift. Konnten wir nicht beobachten, dass kürzlich die Schriftstellerin Monika Maron ihren Verlag verlor, weil sie ein paar ältere Essays im „falschen“ Verlag veröffentlicht hat. Robert Habeck scheint die Passage in „1984“ überlesen zu haben, die in dem Satz gipfelt: „Es war nicht ratsam, auch nur in der Nachbarschaft solcher Leute gesehen zu werden“, sonst hätte man ihn sicher im Habeck’schen Vorwort gefunden. Der Satz gehört zu den zentralen Aussagen des Romans.
Der Grünen-Chef, der, geht es nach Markus Söder, im Herbst Regierungsverantwortung übernehmen wird, warnt vor denen, die die „Demokratie zu einer Volksherrschaft umbauen wolle“, doch man muss nicht einmal Altgriechisch gelernt haben, um zu wissen, dass Demokratie Volksherrschaft heißt.
Habeck hätte über Herbert Belter schreiben sollen
Kurz vor dem Lockdown hatte ich Einsicht in die Stasiakten von Herbert Belter. Herbert Belter war einundzwanzig Jahre alt und Student des dritten Semesters der Wirtschaftswissenschaft in Leipzig. Er wollte es nicht hinnehmen, dass die ersten Wahlen in der DDR keine freien, wie versprochen, sondern Blockwahlen waren, Scheinwahlen, die Bestätigung der Diktatur der SED, die ihre Herrschaft als wahre Demokratie darstellte und ihren Wahlverein „Nationale Front des demokratischen Deutschland“ nannte. Das Volk hatte sich im Szenarium der SED, dadurch als demokratisch verantwortlich zu erweisen, indem es den Wahlschein unverändert zu falten und öffentlich in die Wahlurne zu werfen hatte als Bekenntnis zur „demokratischen“ Herrschaft der SED.
In seinem kurzen Schlusswort im Prozess hatte Herbert Belter gesagt: „Man klagt mich an, ich hätte antisowjetische, antidemokratische Literatur aufbewahrt. Ich erhebe Einspruch gegen eine solche Bezeichnung dieser Literatur, die bei mir beschlagnahmt wurde.“ In den Stasiakten fiel mir ein Büchlein in die Hände, dessen Deckblatt mir verriet, dass es sich um eine Publikation des Ostberliner Dietz Verlags handelte: Die 1848er. Mit Texten von Heinrich Heine, Georg Herwegh und Ferdinand Freiligrath. Als ich das Deckblatt um- und die erste Seite aufschlug, überraschte mich ein anderer Titel: George Orwell: 1984. Auch, weil Herbert Belter dieses Buch verteilte, wurde er nach Moskau verschleppt und nachts von dem Massenmörder Blochin im Keller des Gefängnis erschossen, seine Leiche noch in der selben Nacht eingeäschert und seine Asche in einem Massengrab auf dem Donskoi Friedhof verscharrt. Leben und Tod des jungen Mannes sollten für alle Zeit ausgelöscht sein.
Darüber hätte Robert Habeck schreiben müssen.
Für die Aktualität, ganz gleich worin sie gesehen wird, von Orwells „1984“ spricht, dass allein in diesem Jahr sechs Neuübersetzungen des Romanes erschienen sind. Besonders zu empfehlen ist die von Gisbert Haefs, der kongenial bereits die Werke von Rudyard Kipling ins Deutsche gebracht hat, und die nun im Manesse Verlag erschienen ist.
George Orwell, 1984. Neu übersetzt von Gisbert Haefs, mit einem Nachwort von Mirko Bonné. Manesse, 448 Seiten, 22,00 €.