Tichys Einblick
Politik der Angst

Die RKI-Files legen die mangelhafte Qualität des politischen Personals offen

Folgsamkeit mobilisieren, Verzicht predigen. Das waren Motive der Politiker, die Pandemie-Politik so zu betreiben, wie es die RKI-Files jetzt aufzeigen. Es ist kein Zufall, dass diese Generation von Politikern zu diesen Mitteln greift.

IMAGO / Jens Schicke

Deutschland hat sich nach der Krise gesehnt. Bereits 2019. Genauer gesagt hat sich die politische Klasse nach der Krise gesehnt und rief sie bereits 2019 aus. Über das Jahr verteilt gingen rund 60 deutsche Städte in den „Klima-Notstand“, in dem sie offiziell übrigens immer noch sind. Das sei ja harmlos, hieß es. Am Wort Notstand brauche sich niemand zu stören. Das gelte nur als Geste, die deutlich machen soll, wie wichtig das Thema „Klimaschutz“ sei. So rechtfertigten die Notständler seinerzeit den Ausnahmezustand, den sie 2019 ausriefen.

2020 kam dann der echte Notstand. Der, den die Politik ausrief, um Einschränkungen der Grundrechte wie Kontaktverbote, Ausgangssperren, Schulschließungen, Demonstrationsverbote oder Maskengebote in Bus, Bahnen und teilweise auch im Freien durchzusetzen. Nach der Veröffentlichung der RKI-Files wirkt es so, als ob der Klima-Notstand nur der Kuschel-Notstand war. Die Probe, wie empfangsbereit die Menschen für staatliche Gängelung waren.

Gibt es den Drang der Mächtigen, die Bevölkerung stärker zu gängeln, als es in einem freien, demokratischen Rechtsstaat üblich ist? Den Drang, die Untertanen zu mehr Gehorsam zu erziehen? Sie an ein Leben zu gewöhnen, in dem sie treu folgen. In dem sie nichts haben, aber sich dabei glücklich fühlen. So wie es der Gründer des Weltwirtschaftsforums, Klaus Schwab, formuliert hat.

Noch ist das eine Verschwörungstheorie. So, wie es eine Verschwörungstheorie war, dass es nichts nutzt, FFP2-Masken in der Bahn zu tragen. Dass ein „Lockdown“ mehr Schaden bringt, als er nützt. Dass die Sterblichkeit der Kinder dadurch zunehmen wird. Dass das RKI im Schulterschluss mit der Politik die Fallzahlen nach oben testet, um eine striktere Folgsamkeit zu mobilisieren. All das waren Verschwörungstheorien – bevor das Multipolar Magazin die Theorien mit der Veröffentlichung der RKI-Files bewiesen hat.

Es gibt einen Kronzeugen für die These, dass die Politik danach strebt, Folgsamkeit zu mobilisieren und Verzicht zu predigen. Dass es letztlich inhaltlich egal und nur eine Frage der Effektivität ist, ob der Klimaschutz, der Krieg oder eben eine Pandemie als Vorwand für den Zweck genommen werden, Folgsamkeit zu mobilisieren und Verzicht zu predigen. Der Kronzeuge ist Mister Corona persönlich. Karl Lauterbach (SPD), damals noch zu recht Hinterbänkler im Bundestag, gab schon im ersten Lockdown der Welt ein Interview, in dem er sich öffentlich wünschte, dass die Menschen für den Klimaschutz genauso bereit sein, die Einschränkungen hinzunehmen wie für das Corona-Virus.

Im ersten Lockdown gab es noch eine breite Mehrheit für die Maßnahmen. Dass es ein neues Virus gebe, das es zu erforschen und zu bekämpfen gelte, wofür sich das Gesundheitswesen Zeit verschaffen müsse. Das war eine Argumentation, die viele eingesehen haben. Manche haben schon im Frühjahr 2020 rebelliert. Nach den RKI-Files weiß jeder, der es wissen will, dass diese Mahner weitsichtiger waren. Andererseits lässt sich auch das Vertrauen des Frühjahrs 2020 gut erklären. Eine Gesellschaft braucht Vertrauen. Dass ein Bürger erstmal nicht glauben will, dass seine Regierung ihn belügt, ist wichtig für das Wohlbefinden einer Gesellschaft. Ohne dieses Vertrauen lebt es sich nur schlecht miteinander.

Doch das Vertrauen bröckelte im Verlauf der Lockdowns. Die Vorgaben wurden immer widersprüchlicher. Immer willkürlicher. Zum Beispiel: Stoffmasken helfen überhaupt nicht gegen das Virus und verbreiten nur das Gefühl einer falschen Sicherheit. Stoffmasken dämmen das Virus ein. Stoffmasken genügen nicht gegen das Virus, es müssen FFP2-Masken sein. All diese drei Positionen vertrat das RKI. Innerhalb nur eines Jahres. Immer mit dem Duktus, „die Wissenschaft“ gebiete das. Immer flankiert von einer Politik- und Medienlandschaft, die jeden als „Covidiot“ oder „Corona-Leugner“ diffamierte, der auf den Widerspruch darin aufmerksam machte. Sie vernichteten skrupellos Ruf und wirtschaftliche Existenz der Mahner. Manche Kritiker sperrte der Staat sogar in Untersuchungshaft – aufgrund von Vorwürfen, die sich nicht halten ließen.

Die Widersprüche und die Willkür nahmen zu: Das Virus breitet sich aus, wenn Kollegen zusammen im Auto sitzen, aber nicht, wenn sie an der Werkbank nebeneinander stehen. Das Virus breitet sich aus, wenn man im Flieger die Maske nicht trägt – aber nicht, wenn es ein Regierungsflieger ist. Das Virus breitet sich ohne Maske nur in der Bahn aus, aber nicht im Flugzeug. Das waren alles Positionen, die in der Pandemie galten – alles immer gedeckt von „die Wissenschaft“. Als ob die mit einer Stimme sprechen würde und es keine unterschiedlichen Forschungsergebnisse gäbe. Wer andere als die offiziellen Ergebnisse publiziere, solle vom öffentlichen Diskurs ausgeschlossen werden. Das forderte der Staatsfunkhetzer Jan Böhmermann – bis heute unbestraft.

Als die Pandemie vorbei war, kam der Klimaschutz zurück. 2019 war das letzte Jahr, in dem sich der Klimawandel aufhalten ließ. 2020 auch. Und weil es 2022 peinlich gewesen wäre, wieder das letzte Jahr auszurufen, laufen nun die letzten vier Jahre, in denen sich der Klimawandel noch stoppen lässt. Doch das Klima als Motiv, um Gehorsam zu organisieren und Verzicht zu predigen, verliert an Strahlkraft. Nicht zuletzt durch die Letzte Generation, die sich anmaßte, sich Arbeitnehmern in den Weg zur Arbeit zu setzen, dann aber selbst zum Urlauben nach Bali oder Mexiko jettete. An die Seite von Corona und Klima gesellte sich daher der Krieg. Neuerdings will Wladimir Putin Europa bis nach Calais überrollen. Glaubt man Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), ist der Russe in 15 Minuten am Kurfürstendamm.

Was treibt aber dieses Panikorchester an? Warum ist das Schüren von Angst zum bevorzugten Mittel dieser Politiker-Generation geworden? Geht es wirklich nur um den Klimaschutz, wenn Lauterbach sagt, er wolle die Menschen im gleichen Gehorsam und Verzicht halten wie in der Pandemie? Stimmt auch die Verschwörungstheorie, dass das Weltwirtschaftsforum die freie Welt in eine unterdrückte Gesellschaft transformieren will? Es würde passen, dass es mit Schwab wieder ein Deutscher ist, der eine Bewegung anführt, die die Welt ins Unglück treibt.

Bleiben wir auf dem Boden des Beweisbaren. Bleiben wir in der Bundesrepublik. Die wurde 72 Jahre von einem bunten Strauß an Kanzlern regiert. Da war alles dabei: Vom sozialistischen Widerstandskämpfer gegen die Nazis über den katholischen Dissidenten, der im Land blieb, bis zum Hitler-Jungen, den Oberleutnant der Wehrmacht und ja, auch bis zum Funktionär der NS-Zeit. Es folgten ein Kanzler, der sich aus armen Umständen nach oben arbeitete und eine Kanzlerin, die nach ihrer FDJ-Laufbahn in der Bundesrepublik Karriere machte. Diese unterschiedlichen Charaktere hatten alle eins gemeinsam: Sie kamen aus dem Leben. Die Geschichte hat sie geprägt. Und wenn jemand im Einzelfall ihre Politik nicht gut hieß, so musste er doch anerkennen, dass sie einem strikten Weltbild folgten.

Diese Generation hat sich überlebt. Ihr ist eine Generation gefolgt, der Inhalte egal sind. Führungskräfte wie Olaf Scholz (SPD), Markus Söder (CSU) oder Hendrik Wüst (CDU) können am gleichen Tag eine Forderung vertreten und auch das Gegenteil davon. In Sachen Corona gab es kaum eine Position, die Söder zwischenzeitlich nicht eingenommen hätte. Scholz ist für „Abschiebung im großen Stil“ und bekämpft gleichzeitig die Forderung nach Remigration – je nachdem, von wo gerade der Wind herkommt.

Doch Scholz, Söder oder Wüst sind nur die Vorboten. Sie haben immerhin noch Lebenswege hinter sich. Die nächste Generation steht bereit. Ricarda Lang (Grüne) ist ihre typische Vertreterin. Sie haben nichts anderes erlebt als Kreißsaal, Hörsaal und Plenarsaal. Es sind Apparatschiks, deren Leben auf einen Versorgungsjob in der Politik zuläuft. Die von ihren Parteien in hoch bezahlten Versorgungsjobs gehalten werden, selbst wenn der Wähler sie energisch zurückgewiesen hat so wie Frank-Walter Steinmeier oder Nancy Faeser (beide SPD).

Diese Generation ist nicht in der Politik, um dort etwas zu tun, sondern um in der Politik zu sein. Sie ist sich für keine Dummheit zu schade. Etwa wenn Lang vor die Kamera tritt und den Untertanen gesunde Ernährung predigt – auch wenn sie dafür offensichtlich keine Expertin ist. Es ist oft genug eine Generation, die nicht mal in den Geisteswissenschaften einen Abschluss schafft, in denen die Abschlüsse verschleudert werden.

Bis 2019 war es eine Generation, die mächtig war, aber nicht als mächtig wahrgenommen wurde. Politiker, wie Malu Dreyer (SPD), die gewählt wurden, weil sie als Sozialministerin Schecks im Land verteilte und dabei so unglaublich gütig lächelte. Von der sich die Wähler dachten, wenn schon jemand einer den Job machen muss, dann halt lieber so eine Nette.

Malu Dreyer übernahm von Kurt Beck mit Rheinland-Pfalz ein Land am Rande des Gestaltungsspielraums. Die Kassen waren leer und die Legitimation durch lächelndes Scheckverteilen war in Gefahr. Doch Corona brachte einer Politikerin wie Dreyer Gestaltungsspielraum zurück. Ihr Kollege Tobias Hans (CDU) verbot im Saarland den Untertanen, den Ort weiter als bis zum nächsten Supermarkt zu verlassen. Dreyer erlaubte ihren Untertanen, zum Spazieren aufs Land zu fahren. Ist sie nicht die Heilige Malu von Trier? Plötzlich konnte sie wieder ihr Image als Gütige legitimieren, weil Corona ihr die Macht dazu in die Hand gab. Die missbrauchte sie, um 2021 den Ungeimpften das Feiern von Weihnachten verbieten zu wollen. Aber Macht ist keine Macht, wenn sie nicht ab und an auch ausgeübt wird.

Die Politiker-Generation 2024 ist intellektuell nackt. Sie kommt aus der guten Zeit, in der es reichte, als Politiker Schecks zu verteilen. Wenn es dafür kein Geld mehr gibt, fällt der Generation nicht mehr ein, als immer neue Schulden zu machen. Die nennen sie dann beschönigend Sondervermögen. Für irgendwas muss so ein Studium einer Geisteswissenschaft ja gut sein. Auf Deutschland steuert ein gewaltiges Haushaltsdefizit zu, eine nicht zu füllende Rentenlücke und der Sanierungsstau von Straßen, Brücken und Schienen ist jetzt schon augenfällig. Der Netzempfang ist international nicht wettbewerbsfähig. Die Wirtschaft ist es auch nicht mehr – das sagen Finanzminister Christian Lindner (FDP) und „Wirtschaftsminister“ Robert Habeck (Grüne) persönlich.

Diese Politiker-Generation braucht den Notstand. Er legitimiert sie. Wenn sie Krieg führen, wenn sie das dieses Mal wirklich letzte Jahr nutzen, um den Klimawandel noch zu bekämpfen, oder wenn sie zum Besteckkasten einer Diktatur greifen, um ein Virus einzudämmen, dann lacht niemand über sie. Übergewicht hin, abgebrochenes Studium her.

Scholz punktet derzeit. Schlau ist der Kanzler. Er hat erkannt, dass diese Bevölkerung nicht in den Krieg folgen will. Nicht ihm, nicht den Wüsts, Söders und schon gar nicht den Faesers und Steinmeiers oder gar einem Friedrich Merz (CDU). Also inszeniert er sich als „Friedenskanzler“. Wenn die Bevölkerung schon das Vertrauen in die Politik verloren hat, dann schlägt das hanseatische Cleverle für sich wenigstens Kapital draus. Pragmatisch ist das, aber es ist auch so wenig nachhaltig wie Flüge der Letzten Generation nach Bali oder Mexiko.

Es ist keine Antwort auf die Legitimationskrise dieser Politiker-Generation. Doch: Sie spürt den Vertrauensschwund selbst. Deswegen stilisiert sie die Delegitimierung auch zum Staatsverbrechen. Dieser Vertrauensverlust ist tatsächlich ein Problem für die Gesellschaft. Es lässt sich schwer zusammenleben, wenn jeder Schritt der Mächtigen unter Generalverdacht steht. Doch es sind eben diese Mächtigen, die durch ihre Doppelmoral und durch ihr fahrlässiges Verhalten das Vertrauen verspielt haben. Das zeigen die RKI-Files deutlich auf.

Max Frisch lässt seinen Don Juan sagen, dass es mit der Erkenntnis wie mit der Oberfläche des Wassers sei. Verliere sich der Blick erst einmal in der Tiefe, so ist er nicht mehr zurückzunehmen. Es ist nicht am Bürger, sich wieder blindes Vertrauen in die Politik aufzubauen. Es ist an der Politik, dieses Vertrauen zurückzugewinnen. Wenn sie den einfachen Weg geht, auf diesen Prozess verzichtet und sich stattdessen die Legitimisierung durch das Beschwören von immer neuen Notständen zurückholt, dann wird dieses Land noch einen schweren Weg vor sich haben.

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