Das Viertel Molenbeek hat einen schlechteen Ruf in Europa. Hier wohnten bekannte islamistische Extremisten, hier baute der Islamist Faoud Belkacem seine terroristische Bewegung „Sharia4Belgium“ auf, hier wurden Kämpfer für den Islamischen Staat (IS) rekrutiert und hier kamen die Waffen her, mit denen bei dem Anschlag auf die Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ Menschen brutal ermordet wurden.
Genau in diesem berüchtigten Viertel steht die größte Moschee Brüssels, die Al-Khalil-Moschee. Ihr langjähriger Imam, der wohl bekannteste Prediger in Belgien, Mohamed Toujgani, steht nun in Terrorverdacht. Er wird als „Bedrohung für die nationale Sicherheit“ gesehen. Der Verdacht: Der Imam rekrutierte für den Dschihad und al-Qaida junge Kämpfer – auch Deutschland spielt anscheinend eine Rolle.
„Dieser Mann war wahrscheinlich der einflussreichste Prediger Belgiens“, sagte der Staatssekretär für Asyl und Migration, Sammy Mahdi, in einer Sitzung des belgischen Parlaments. Schon immer hatte Imam Mohamed Toujgani – der im „Verband der marokkanischen Imame Belgien“ sitzt – den Ruf, ein überaus konservativ-sunnitischer Prediger zu sein. Immer wieder wurde ihm eine Nähe zur islamistischen Muslimbruderschaft nachgesagt. Der 66-jährige Marokkaner gilt schon seit Jahren in Belgien als „einflussreichster Imam“.
Viele Jahre lang konnte Toujgani vor über 3.000 Moscheegängern seine Predigten halten – bis zum letzten Jahr: Mitte Oktober 2021 fiel der Beschluss, den Imam auszuweisen und gegen ihn ein zehnjähriges Einreiseverbot zu verhängen. Dies wurde erst am 20. Januar dieses Jahres von der Staatskanzlei öffentlich gemacht. Der Staatssekretär machte das Zugeständnis, dass man „radikalen Predigern in der Vergangenheit zu viel Spielraum gelassen“ habe, mit der Maßnahme setze man jetzt ein klares Zeichen: „Wir werden diejenigen, die unsere Gesellschaft spalten und unsere nationale Sicherheit bedrohen, nicht tolerieren.“
Warb der bekannteste Imam Belgiens für den Dschihad an?
Der in Belgien und Marokko lebende Imam, der nicht einmal Französisch oder Niederländisch spricht, will nun gegen die Ausweisung und das Einreiseverbot in Berufung gehen. Doch die Entscheidung wurde „auf der Grundlage von Informationen der Sicherheitsdienste“ und „aufgrund von Anzeichen einer ernsthaften Gefahr für die nationale Sicherheit“ getroffen. Am Wochenende wurde der belgischen Zeitung HLN ein Bericht der Anti-Terror-Abteilung Brüssel zugespielt: Demnach war bereits im Jahr 2017 der Name des Predigers in einem Verhörprotokoll der spanischen Guardia Civil gefallen. Ein Zeuge gibt darin als Ex-Dschihadist Auskunft über die jeweiligen Methoden bei der Anwerbung für den Dschihad, den die Terrororganisation al-Qaida im damals von den USA besetzten Irak führte. Diese Auskunft könnte ein Rekrutierungs-Netzwerk aufdecken.
Dem Bericht zufolge war das Zentrum für die Dschihad-Rekrutierung in Brüssel das „Centre Islamique Belge“ (CIB), das im berüchtigten Viertel Molenbeek liegt. Schon immer galt das Zentrum CIB als Hochburg des islamischen Fundamentalismus. Gegründet wurde dieses Rekrutierungszentrum von dem Imam Bassam Ayachi – ein Mann, der als Sprecher des fundamentalistischen Terrornetzwerks Al-Qaida in Europa gilt und ganze Generationen von Dschihadisten inspirierte. Nach den Anschlägen 9/11, aber auch schon davor, erregte der syrische Imam die Aufmerksamkeit der Anti-Terror-Behörden. Im Jahr 2009 wurde Ayachi von italienischen Behörden festgenommen, weil er einen Anschlag auf den Pariser Flughafen „Charles de Gaulles“ geplant haben soll, wie die Polizei damals berichtete. Er und Raphael Gendron, der ebenfalls das CIB leitete, hätten weitere Attentate in Frankreich und Großbritannien geplant. 2012 wurden die beiden verdächtigte Terroristen freigelassen. Danach reiste Ayachi 2013 nach Syrien mit seinen vier Kindern im Namen des Dschihad. 2018 wurde er in Frankreich wegen terroristischer Verbrechen erneut verhaftet.
Toujgani reiste auch nach Deutschland – für die Dschihad-Anwerbung?
Nun soll auch der berühmte Imam Mohamed Toujgani vor vielen Jahren für den Dschihad im Irak rekrutiert haben. Laut einem internen Bericht der Sicherheitsbehörden stand Ayachi der radikale Prediger Abdelkader Chouaa zur Seite, der über Verbindungen zur terroristischen „Hofstad Gruppe“ in den Niederlanden verfügt haben soll. Aus derselben Gruppe stammt der islamistische Mörder des Regisseurs und Islamismus-Kritikers Theo van Goth. Der Zeuge in dem Bericht benannte neben Ayachi und Chouaa, die enge Kämpfer angeworben haben sollen, Imam Toujgani. Während Ayachi an der Spitze dieser Rekrutierungszelle für al-Qaida gestanden habe und Chouaa seine rechte Hand gewesen sei, soll Toujgani der dritte Leiter dieses Netzwerks gewesen sein. Als Imam für die große Al-Khalil-Moschee in Molenbeek könnte er ein leichtes Spiel gehabt haben, junge Kämpfer für den Dschihad zu gewinnen.
Das Dokument geht allerdings nicht auf die genaue Rolle ein, die er in diesem Netzwerk gespielt haben soll. Im Bericht ist jedoch festgehalten, dass Tujgani mit Chouaa mindestens zweimal ins Ausland gereist ist: Im Februar 2006 nach Deutschland und im Mai desselben Jahres nach Spanien, um Gläubige zu treffen, die „die gleichen Ideen teilen“, berichtet HLN. Dies könnte bedeuten, dass Toujgani eine Islamisten-Zelle in Deutschland besuchte, was wiederum die Frage aufwirft, ob der Imam auch in Deutschland junge Muslime für den Dschihad anwarb. Welchen Vereine oder Personen er in Deutschland besuchte, ist bisher nicht bekannt.
Verbindungen zu Anschlägen 2015 in Paris
Laut Polizeibericht wurde die Existenz des Rekrutierungsnetzwerks durch den Abzug von zwei jungen Muslimen aus Brüssel in den Irak bewiesen: Ali Tabich (damals 26) und Rachid Ahrouch (27) im November 2005, der im selben Jahr verstarb. Tabich kehrte im Mai 2006 nach Hause zurück und wurde zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Im Jahr 2017 wurde er zusammen mit zwei seiner Brüder verhaftet, weil sie angeblich Sprengstoff-Herstellungsmaterial an die Attentäter in Brüssel geliefert haben sollen. Sie wurden schließlich freigelassen. Die drei mutmaßlichen Leiter dieses Rekrutierungsnetzwerks – Ayachi, Chouaa und Toujgani – wurden bisher aus Mangel an Beweisen nicht strafrechtlich verfolgt. Doch die berüchtigte Moschee in Molenbeek war bereits in den 1980er Jahren bekannt für die Rekrutierung von Jugendlichen für den Dschihad in Afghanistan sowie dafür, dass mindestens drei der Angreifer der Anschläge von Paris – Abdel Hamid Abaaoud, Chakib Akrouh und Salah Abdeslam – die Moschee besucht haben.
Immer wieder hat sich Toujgani, der vorher Imam der Al-Khalil-Moschee war, in Belgien bei der Prävention gegen Radikalisierung eingesetzt. Das war ein falsches Spiel, das sich auch in Deutschland beobachten lässt: Muslimische Vereine und Personen, die im Verdacht des Islamismus stehen, bieten Angebote zur Prävention gegen Radikalisierung an – ein Instrument, um die eigene Radikalität zu verschleiern. Dass Toujgani alles andere als ein Mann ist, der Hass und Radikalisierung nicht duldet, enthüllen verschiedene Videos. In einem Video von 2009 hält Toujgani eine Predigt, in welcher er zur „Verbrennung“ von „zionistischen Unterdrückern“ in Israel aufruft. Dies stellt nichts anderes als einen Mordaufruf gegen Juden und Israelis dar. Damals entschuldigte sich Toujgani für seine Äußerungen. Er sprach von einem „Ausrutscher“ sprach und verwies auf den „kritischen geopolitischen Kontext“ des Gaza-Krieges – eine unzureichende Entschuldigung für einen antisemitischen Mordaufruf.
Dschihadismus und Muslimbruderschaft
Die Al-Khalil-Moschee wurde 1985 von der Muslimbruderschaft gegründet und ist die einflussreichste Moschee in Brüssel. Der Fall zeigt wieder einmal, dass die Muslimbruderschaft und Dschihadismus viel enger zusammenliegen, als es oftmals in der medialen Öffentlichkeit thematisiert wird. In den 1970er Jahren haben Muslimbrüder offiziell den Einsatz von Gewalt dem Kampf um „Palästina“ gewidmet. Doch weil vielen Muslimbrüdern dies nicht radikal genug war, spalteten sich von der Muslimbruderschaft Gruppen wie al-Ǧihād al-Islāmī und al-Ǧamāʿa al-Islāmiyya ab, aus denen dann die Terrororganisation al-Qaida hervorging. Dies würde erklären, weshalb ein Imam einer von der Muslimbruderschaft gegründeten Moschee mutmaßlich junge Kämpfer für den Dschihad al-Qaidas im Irak anwarb.
Immer wieder wird die Muslimbruderschaft in Deutschland überwiegend als „Legalistischer Islamismus“ betitelt, also Islamisten, welche die Gewalt ablehnen und stattdessen mit politischen Mitteln ihre islamistischen Ziele erreichen wollen. Dies wird auch von einigen Verfassungsschutzämtern so kategorisiert; dies liegt jedoch auch daran, dass Radikalität erst bewiesen werden muss. Dass von einem großen Teil der Muslimbrüdern tatsächlich Gewalt abgelehnt wird, ist alles andere als realistisch. Bereits der Musimbruderschafts-Gründer, Hassan al-Banna, trat für den bewaffneten, offensiven Dschihad in den 1930er Jahren gegen Nicht-Muslime ein und verherrlichte das Märtyrertum. Der Chef-Ideologe Al-Banna formulierte in fünf Sätzen die Grundüberzeugungen der Muslimbrüder: „Gott ist unser Ziel. Der Prophet ist unser Führer. Der Koran ist unsere Verfassung. Der Dschihad ist unser Weg. Der Tod für Gott ist unser nobelster Wunsch.“ Diese Leitsätze verwenden die Muslimbrüder als festen Kodex, es ist für Muslimbrüder Gesetz.
In Deutschland existiert in Berlin eine fast gleichnamige Moschee namens Ibrahim-al-Khalil-Moschee, sie gilt als Ableger der al-Nur-Moschee in Berlin Neukölln, die wiederum verdächtigt wird, in Verbindung mit der „Islamischen Gemeinschaft in Deutschland“ (IGD) zu stehen. Die IGD ist der zentrale Ableger der Muslimbruderschaft in Deutschland. Die al-Nur-Moschee bestreitet diese Nähe. Auch der damalige Imam der Ibrahim-al-Khalil-Moschee, Abdelkader Daoud, soll muslimische Gläubige dazu angestiftet haben, sich in Syrien dschihadistischen Gruppen anzuschließen, um gegen das Assad-Regime zu kämpfen. Seit 2014 wird gegen den Imam aus Marokko ermittelt, der diese Vorwürfe von sich weist. Die Moschee steht im Zentrum von Ermittlungen wegen des Verdachts der Vorbereitung einer staatsgefährdenden Gewalttat.